Ein Konzert wie ein Melodram: Tarwater in Berlin

Zeitlos, beharrlich und schön: Tarwater sind wieder da

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Ihre Musik bezieht ihre Spannung und Schönheit nicht aus dem Groove, sondern aus den Soundschichtungen: Tarwater.
Ihre Musik bezieht ihre Spannung und Schönheit nicht aus dem Groove, sondern aus den Soundschichtungen: Tarwater.

Zehn Jahre ist das letzte Album von Tarwater her, aber man merkt es der Musik nicht an. Und zwar insofern, als das Geklicke, die Melodien, Beats und Geräusche, die die Band bei ihrem Berliner Konzert im Hebbel am Ufer am Freitag zusammenkonstruiert hat, auch genau so gut 2008 oder auch 1998 hätten produziert worden sein können. Für das neue Album »Nuts of Ay« gilt das gleiche.

Tarwater gehörten in den ausgehenden 1990er Jahren zur ersten Welle von Elektronik. Damals entstand hierzulande ein Meer aus Sounds, fabriziert von Laptop-Künstler:innen, und Tarwater, Kreidler und To Rococo Rot, drei Bands, in denen es personelle Überschneidungen gab und gibt, waren so etwas wie ein Elektronik-Projekt-Triumvirat. Die Musik war latent bis manifest verkopft und bezog ihre Spannung und Schönheiten nicht aus dem Groove, sondern aus den Soundschichtungen: Kopfhörerelektronik.

Das Zeitlose der Sounds am Freitag hat auch deswegen nichts Altbackenes, weil das stoisch Beharrliche gewissermaßen Teil der Soundwelt von Tarwater selbst ist. Die Stimme von Ronald Lippok ist eine der sonorsten, im Vergleich dazu wirkt zum Beispiel selbst Leonard Cohen noch wie Mariah Carey. Lippoks Stimme steht in fließenden Soundlandschaften und beschreibt eher, als dass sie Emotionales ausdrücken würde. Das ergibt dann allerdings wieder ein gehörige Aufladung, und Tarwater sind unter den drei genannten Bands so etwas wie die stillen Melodramatiker. Wäre das Konzert im HAU ein Film gewesen, es wäre ein Melodram, erzählt von einem Erzähler, der schon alles gesehen und erlebt hat.

Das funktioniert als ästhetisches Konzept an diesem Abend genau so gut wie 1998 oder 2000, den Jahren, in denen die stilbildenden Tarwater-Alben »Silur« und »Animals, Suns & Atoms« erschienen sind. Die live zum Trio erweiterte Band von Lippok und Bernd Jestram, die auch schon bei der Ostberliner Avantgardeband Ornament & Verbrechen gemeinsam agierten, spielte dann auch viele inzwischen kann man sagen Klassiker, neben neuen Stücken, die sich ohne jeden Bruch ins Gesamtbild einfügen. Mehr als 20 Jahre alt sind inzwischen »All of the Ants Left Paris«, »Watersample« und, als letztes Stück vor der Zugabe, »Seven Ways to Fake a Perfect Skin«, das Lied an dem man das abgeklärte Drama, das die Band in ihren Stücken inszeniert, musikalisch wie auch textlich konzentriert nachvollziehen kann.

Es ist etwas unterschwellig sehr Berührendes in dieser Musik, und man kann nicht genau bestimmen, woher es kommt, auch weil die Band geradezu demonstrativ jede klassische Form von Emotionalisierung im Pop vermeidet: drei Musiker auf der Bühne, weitgehend reglos. Wenn sich doch etwas bewegte, dann, wenn Ronald Lippok sich zur Leinwand hinter ihm drehte, um sich ein paar Visuals anzuschauen. Vielleicht aber auch gerade deswegen: Man streicht alles durch, was unmittelbar expressiv ist und verlegt jedes Gefühl, verschlüsselt, ins demonstrativ-akademische Sounddesign.

Der Abend endete dann auch mit einem Stück ausgerechnet der Pogues, gespielt auf eine Weise, die wirkt, als ginge es darum, eine Antithese zu einer Folkpunk-Band zu bilden. Versoffen und exzessiv da, ostentativ nüchtern und hyper-kontrolliert hier. Trotzdem entfaltet der Text von Shane McGowan seine Wirkung: »When I was young, I watched the cars / When I was older, I drank in bars (...) I found a love, she gave me dreams / She left me drunk in New Orleans / So cold and lonely, so all alone / I wished my heart was made of stone«. Ein irgendwie programmatischer Abschluss, der die Herangehensweise von Tarwater an die eigene Musik und an die Popgeschichte sehr schön zusammenfasst.

Der Abend war von den Morning Stars eröffnet worden, der neuen Band von Keyboarderin und Sängerin Barbara Morgenstern, deren erste Alben zur selben Zeit wie die von Tarwater erschienen waren. Der Bassist Alex Paulick spielt ansonsten unter anderem bei Kreidler, die wiederum personell mit To Rococo Rot verbunden sind, in denen dann auch wieder Tarwater-Sänger Ronald Lippok spielt. Gitarrist Felix Müller-Wrobel und Schlagzeuger Sebastian Vogel waren früher bei der Hamburger Band Kante.

In dieser Konstellation entsteht ein vertrackter Art-Pop, der gerne stoisch auf einem kurzen Melodieverlauf oder einem stoischen Rhythmus insistiert, um dann immer wieder den Vorhang hochzuziehen und das jeweilige Stück auf Breitwand zu ziehen. Die klassische Indie-Laut-Leise-Dynamik quasi in den Wechsel von »geschlossen« und »offen« zu überführen. Insofern passten Morning Stars im HAU ganz wunderbar zu Tarwater, auch wenn beide Bands völlig unterschiedlich klangen.

Tarwater: »Nuts of Ay« (Morr Music)

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