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»Unis sind keine sterilen Orte fernab der Gesellschaft«
Die Organisierenden der Frankfurter Konferenz »Talking about (the Silencing of) Palestine« im Interview
Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker bezeichnete Ihre Konferenz als »Wanderzirkus bekannter Israel-Hasser«; die Goethe-Universität verweigert Ihnen Räume. Hängt das miteinander zusammen?
Die Hetze gegen die akademische Konferenz »Talking about (the Silencing of) Palestine« begann durch eine Pressemitteilung Beckers vom 7. Januar. Wenige Minuten davor wurden uns die Räumlichkeiten von der Goethe-Uni entzogen. Dass es eine koordinierte Vorabsprache gab, liegt nahe. Becker verbreitete nicht nur die falsche Behauptung, eine der Moderator*innen habe »große Teile des Programms bestimmt«, sondern diskreditierte die gesamte Konferenz mit Antisemitismusvorwürfen. Wir überprüfen ebenfalls die Falschdarstellung der Raumanfrage durch das Präsidium und die Behauptung, die Anfrage wäre von der antragstellenden Professorin zurückgezogen worden. Auch eine Einflussnahme prozionistischer Personen in der Senatssitzung vom 18. Dezember 2024 steht im Raum. Statt mit den Organisierenden ins Gespräch zu treten, wird mit der »FAZ« gesprochen. Damit diskreditiert die Uni-Leitung nicht nur ihre eigene Diskursfähigkeit, sondern schadet auch dem Image der Goethe-Uni als Ort der Wissenschaftsfreiheit.
Das Planungskomitee der Konferenz »Talking about (the Silencing of) Palestine« besteht laut eigenen Angaben aus Studierenden und studentischen Aktivist*innen, wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und Professor*innen aus Frankfurt am Main und ganz Deutschland. Die Konferenz wird in Partnerschaft mit dem Verein »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« organisiert. Das Programm ist auf talkingpalestine.de einzusehen.
Sie vermuten andere Motive hinter der Verweigerung?
Die Aussagen der Uni gegenüber der »FAZ« lassen darauf schließen, dass hinter der Ablehnung des Antrags, codiert als »Rückzug« der Antragstellenden selbst, politische Motive stehen. Der Ton ihres Statements knüpft an die Rhetorik Beckers an. Ohne Begründung negieren sie den wissenschaftlichen Charakter der Konferenz. Palästina und Palästinenser*innen, also die Thematik der Konferenz, werden in keinem Nebensatz erwähnt. Zwischen den Zeilen wird unmissverständlich deutlich, was die Uni-Leitung als akzeptablen akademischen Diskurs zählt und was nicht.
Warum haben Sie überhaupt auf die Uni als Austragungsort gesetzt?
Die Uni sollte ein Ort sein, wo Fragen gestellt, Wissen produziert und revidiert werden kann, ohne Angst vor Zensur. Inzwischen ist klar, dass die Goethe-Uni hingegen auf undemokratischen und autoritären Strukturen fußt. Kritische Aufklärung und Geschichtsaufarbeitung werden von hegemonialen Interessen und bürokratischen Hürden verdeckt. Der andauernde Genozid in Gaza liefert offenbar nicht genug Anlass, kritische und offene Diskurse zu führen. Die Verstrickung von Unis in die Normalisierung von Gewalt gegen Palästinenser*innen durch den einseitigen oder verunmöglichten Diskurs macht es notwendig, diese Debatten auch dort auszutragen. Unis sind keine sterilen Orte fernab der Gesellschaft.
In ihrer Pressemitteilung vom 13. Januar bekennt sich die Hochschule zur Freiheit von Forschung und Lehre, kritisiert aber, dass die Veranstalter*innen »zwischen Aktivismus und wissenschaftlicher Arbeit nicht trennscharf unterscheiden«. Teilen Sie diese Auffassung?
Die Konferenz ist ein Zusammenschluss aus Wissenschaftler*innen, Student*innen und Aktivist*innen. Ein Blick in das Programm reicht aus, um die akademische Tragweite der Veranstaltung zu verstehen. Es geht etwa um epistemische Diskurse zu Silencing, die wissenschaftliche Kontextualisierung von Rassismus und Antisemitismus, Völkerrecht, Genozid-Prozesse und Weiteres. Wissenschaft und Aktivismus sind nicht deckungsgleich. Viele Wissenschaftler*innen haben aber den Anspruch, mit ihrer Arbeit gegenwartsbezogene und relevante Forschung zu betreiben. Sich Palästina zu widmen, eben weil es hochaktuell und gesellschaftlich zutiefst relevant ist, eint sie weltweit mit einer großen Anzahl von Menschen über unterschiedliche Professionen hinweg.
In den Medien stand die Teilnahme der Aktivistin Hebh Jamal im Zentrum der Kritik, da diese als Hamas-Sympathisantin gelte. Wie gehen Sie mit diesen Anschuldigungen um?
Die Moderatorin hat sich bis heute weder positiv noch negativ auf die Hamas bezogen. Sie ist seit mehreren Monaten äußerster Vulnerabilität ausgesetzt, weil ihre Familie direkt vom Genozid in Gaza betroffen ist. Zu erwarten, dass sie sich in einer solchen Situation zur Hamas positioniert, ehe sie sprechen darf, ist rassistisch. Sie hat in einem Video auch gegen Beckers Diffamierungen Stellung bezogen. Wir prüfen aktuell, ob wir juristisch gegen ihn vorgehen.
Die Konferenz wird jetzt in alternativen Räumlichkeiten stattfinden. Was erwartet die Teilnehmenden inhaltlich?
Wir haben international renommierte Forscher*innen eingeladen, etwa aus der Genozid- und Holocaust-Forschung sowie aus den Bereichen der Politikwissenschaften, der Rechts- und der Kulturwissenschaften. Zentrale Forschungsfragen befassen sich unter anderem mit Fragen der kritischen Geschichtsschreibung und epistemischer Gewalt in und um Palästina, der Kontextualisierung und Instrumentalisierung von Antisemitismus und Rassismus, mit Praktiken des Widerstands sowie der Bedeutung von Wissenschaftsproduktion und sozialen Bewegungen für die Ausweitung demokratischer Rechte und Gleichheit für alle. Darüber hinaus finden auch Workshops zu Themen wie Film, Kunst, dekolonialer Queer-Feminismus oder auch der internationalen Protestbewegung statt.
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