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»Sicherheit in Syrien ist nicht garantiert«

Nach dem Assad-Sturz forderten Politiker Abschiebungen nach Syrien. Pro Asyl sagt: Das ist vorschnell

Der 14-jährige Syrienkrieg ist auch nach seinem Ende allgegenwärtig: Ein Obsthändler in Damaskus baut seinen Stand auf einem Panzer der gestürzten Assad-Armee auf.
Der 14-jährige Syrienkrieg ist auch nach seinem Ende allgegenwärtig: Ein Obsthändler in Damaskus baut seinen Stand auf einem Panzer der gestürzten Assad-Armee auf.

Kaum war das Assad-Regime in Syrien gestürzt, forderten deutsche Spitzenpolitiker von Robert Habeck bis Friedrich Merz, Rückführungen syrischer Menschen zu ermöglichen. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert die Debatte und sagt: Von Sicherheit und Stabilität in Syrien kann noch längst nicht die Rede sein. Der flüchtlingspolitische Sprecher der Organisation, Tareq Alaows, war in Syrien, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen.

»Noch vor drei Monaten hätte ich kaum gewagt, von dieser Reise zu träumen«, erzählt Alaows. Nach mehr als zehn Jahren im Exil konnte der Deutsch-Syrer zum ersten Mal wieder seine Familie sehen und Menschen treffen, die er zuletzt in seiner Schulzeit gesehen hatte.

Möglich wurde diese lang ersehnte Reise erst durch das Ende des von Bashar al-Assad geführten Regimes im Dezember. In nur elf Tagen nahm die islamistische Oppositionsgruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) zunächst große Städte im Norden ein und gewann dann mit Hilfe von bewaffneten drusischen und sunnitischen Gruppen aus dem Süden die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus. »Als diese Gruppen Damaskus einnahmen, war die HTS immer noch in Homs«, sagt Alaows und betont: Nicht nur die HTS hat Syrien von Assad befreit, auch Minderheitsgruppen haben ihre eigenen Städte selbst befreit. Genau darin sehen viele Beobachter die Vollendung der syrischen Revolution gegen Assad, die 2011 begonnen hatte.

Inzwischen regiert die Interimsregierung, angeführt von HTS-Chef Ahmad al-Scharaa, das gesamte Land. Eine ordentliche Wahl soll laut al-Scharaa erst in zwei Jahren stattfinden. »HTS ist als Nachfolgerin der Nusra-Front entstanden. Es ist eine islamistisch-ideologische Gruppe, und so hat sie auch im Nordwesten Syriens bisher regiert.« In der HTS-kontrollierten Enklave Idlib habe es viele Demonstrationen gegen al-Scharaas Art zu regieren gegeben. Die Versprechen der HTS, die Situation auch für Minderheiten zu verbessern, seien »deshalb mit Vorsicht zu genießen«, so Alaows.

»Die syrische Community ist ein Teil von Deutschland und wird es auch bleiben.«

Tareq Alaows Pro Asyl

»Es gibt große Ängste bei den Minderheiten«, berichtet der Pro-Asyl-Sprecher. In christlich geprägten Gebieten in Damaskus habe er beispielsweise gesehen, dass Bewohner ihre Häuser an Weihnachten nicht beleuchtet haben. »Die Straßen waren leer.« Aber es gebe auch Hoffnungsmomente, wie etwa in der Stadt Jaramana, wo Drusen, Kurden, Sunniten und Christen ein gemeinsames Weihnachtsfest veranstaltet haben, um zu signalisieren, dass Christen in Sicherheit feiern können.

Dass bald politische Stabilität einkehrt, davon könne man laut Alaows noch nicht ausgehen. Weiterhin gibt es verschiedene bewaffnete Gruppen im Land, die jetzt um Macht buhlen. Die türkisch unterstützte Miliz SNA etwa greift immer noch kurdische Gebiete im Nordosten an. Auch das türkische Militär bombardiert derzeit regelmäßig die kurdische Selbstverwaltung.

Dazu kommt, dass immer noch viele Städte Syriens nach dem 14-jährigen Krieg zwischen Assad und der bewaffneten Opposition in Trümmern liegen. Teilweise sind Stadtteile komplett unbewohnbar, in einem Großteil des Landes gibt es keine Stromversorgung und über 80 Prozent der Menschen in Syrien sind von humanitärer Hilfe abhängig.

Dass also alle Syrer in Deutschland einfach so nach Syrien und in ihre Häuser zurückkehren können, wie es die deutsche Abschiebe-Debatte suggeriert, ist schlichtweg falsch. Viele Menschen wollen auch gar nicht zurück, etwa weil sie von der Gewalt des Assad-Regimes so traumatisiert sind, dass sie keinen Fuß mehr in das Land setzen wollen, erzählt Alaows. Gerade die jüngere Generation habe oft gar keinen richtigen Bezug zu Syrien oder spreche nicht einmal Arabisch, weil sie das Land als Kinder verlassen habe. Wiederum andere haben sich hier ein Leben aufgebaut, das sie nicht einfach aufgeben wollen, haben eigene Betriebe, einen sicheren Job, stecken mitten im Studium oder in der Ausbildung.

»Es braucht jetzt Haltung, statt Hetze! Anstatt syrische Geflüchtete, die in Deutschland leben und längst Teil der Gesellschaft geworden sind, wegzustoßen und zu verängstigen, braucht es die klare Botschaft: Die syrische Community ist ein Teil von Deutschland und wird es auch bleiben«, sagt Tareq Alaows. Konkret fordert Pro Asyl die Bundesregierung dazu auf, den Schutzstatus von Syrer*innen weiterhin und unabhängig von der Erwerbstätigkeit zu garantieren.

Außerdem sollen syrische Menschen ihre Heimat besuchen können, ohne ihren Schutzstatus zu verlieren. Dies würde ermöglichen, dass Syrer*innen »Familienmitglieder besuchen, verschwundene Angehörige suchen oder die Lage vor Ort bewerten können.« Auf Anfrage des »nd« erklärten das Bundesinnenministerium (BMI) und das Auswärtige Amt, dass man an einer solchen Option arbeite. Nach »nd«-Informationen setzt sich das BMI in dem Prozess dafür ein, eine einmalige Reise plus Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen. Pro Asyl dagegen fordert eine unbeschränkte Reisemöglichkeit. Ob eine solche Option überhaupt noch vor Ende der Legislatur geschaffen werden kann, ist allerdings unklar.

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