Gaza-Krieg: Frieden den Ruinen

Das Abkommen zwischen der rechten israelischen Regierung und der islamistischen Hamas wird kommen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Palästinenser in Khan Junis warten auf die Ausgabe von gekochten Mahlzeiten.
Palästinenser in Khan Junis warten auf die Ausgabe von gekochten Mahlzeiten.

Die Unterschriften der Kriegsparteien stehen auf dem Papier, nachdem es am Donnerstag Verzögerungen gab. Israels Sicherheitskabinett hat das Abkommen mit der Hamas für eine Waffenruhe im Gazastreifen und den Austausch von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge gebilligt und hat auch für die Regierung eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen. Die sollte am Freitagnachmittag darüber entscheiden. Die Waffenruhe wird am Sonntag in Kraft treten, danach sollen die Kämpfe endlich eingestellt werden.

Die Vereinbarung unterstütze »die Erreichung der Kriegsziele«, teilte das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit. Überraschungen in letzter Minute sind nun nicht mehr zu erwarten, obwohl Gegner des Abkommens noch Einspruch dagegen einreichen können. Nach israelischem Recht dürfen Angehörige von Terroropfern gegen die Freilassung bestimmter palästinensischer Häftlinge Einspruch einlegen. Für eine solche Petition beim Obersten Gericht haben sie 24 Stunden nach einem Regierungsbeschluss Zeit.

Widerstand aus der Regierungskoalition

Allgemein wird erwartet, dass die Richter keinen Grund für ein Eingreifen des Obersten Gerichts gegen den Beschluss der Regierung sehen werden, im Zuge des Deals palästinensische Häftlinge für aus Israel in den Gazastreifen verschleppte Geiseln auszutauschen.

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Der rechtsextreme israelische Sicherheitsminister Itamar Ben Gwir hatte bereits am Donnerstagabend angekündigt, aus der Regierungskoalition auszuscheiden. Sollte »dieses unverantwortliche Abkommen angenommen und umgesetzt« werden, werde er zusammen mit seinen Parteikollegen die Regierung verlassen, drohte er auf einer Pressekonferenz und machte nochmals deutlich, wie seine Strategie aussehen würde: die humanitäre Hilfe und die Versorgung mit Strom und Wasser im Gazastreifen bis zur Freilassung aller Hamas-Geiseln »vollständig einzustellen«. Ben Gwir schlug die Tür aber nicht vollständig zu, sondern bot an, gegebenenfalls ins Kabinett zurückzukehren, wenn der Gaza-Krieg nach Abschluss der ersten Phase des Abkommens fortgesetzt werde.

Waffenruhe beginnt am Sonntag

Dass Ministerpräsident Netanjahu seine rechtsextremen Koalitionspartner so vor den Kopf stoßen konnte, um diese Waffenruhe zu vereinbaren, deutet darauf hin, dass er sich sicher fühlt. Jedenfalls sicherer, als wenn er dem Druck für ein Abkommen, der zuletzt vor allem aus den Vereinigten Staaten kam, standgehalten hätte. Zugeständnisse an die Rechte machte Israels Verteidigungsminister Israel Katz: Er will im besetzten Westjordanland alle Siedler, die sich in sogenannter Administrativhaft ohne Anklage befinden, sofort entlassen. Die Haftbefehle gegen sie würden aufgehoben, teilte dessen Büro mit.

Planmäßig soll die Waffenruhe am Sonntag um 12.15 Uhr Ortszeit (11.15 Uhr Mitteleuropäische Zeit) beginnen. Die ersten drei Geiseln könnten am selben Tag frei kommen, israelischen Medien zufolge gegen 16 Uhr Ortszeit (15.00 Uhr MEZ).

Laut UN-Satellitenzentrum sind fast 69 Prozent der Gebäude in Gaza zerstört oder beschädigt. Das entspricht 170 812 Gebäuden.

So weit, so gut – aber die Bedenken wegen der Umsetzung des recht komplizierten Plans bleiben. Das Abkommen soll in drei Phasen umgesetzt werden, was den Kriegsparteien Raum lässt, nach jeder Phase die Umsetzung zu verzögern oder auszusetzen. Der israelische Historiker Tom Segev hält das Abkommen denn auch für »viel zu kompliziert« und »viel zu detailliert«, sagte er dem Radiosender Radio Eins, sodass er sich nicht wundern würde, »wenn das alles zusammenbricht«.

Tatsächlich ist die getroffene Vereinbarung komplex. Laut Planungen wird die Hamas in der ersten sechswöchigen Phase 33 israelische Geiseln freilassen, darunter Frauen, Kinder, ältere Menschen, Zivilisten und Verwundete. Israel werde dafür im Gegenzug etwa 1000 Palästinenser aus den Gefängnissen entlassen, auch solche mit »längeren Haftstrafen«. Danach entscheidet sich, wie es weitergeht mit den restlichen 68 Geiseln, die sich noch in Händen der Hamas befinden. Und ob Israel sich tatsächlich nach und nach aus dem Gazastreifen zurückzieht.

Schwere Zerstörungen der Infrastruktur

Wie schnell die Feuerpause die humanitäre Situation im Gazastreifen überhaupt verbessern kann, ist fraglich angesichts der schweren Zerstörungen der Infrastruktur. Laut den vom UN-Satellitenzentrum (UNOSAT) ausgewerteten Satellitenbildern waren bis zum 1. Dezember 2024 fast 69 Prozent der Gebäude im Gazastreifen zerstört oder beschädigt. Das entspricht 170 812 Gebäuden.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, dass zwischen Oktober 2023 und Mai 2024 mehr als 90 Prozent der Gebäude auf 58 Quadratkilometern des Grenzgebiets des Gazastreifens zu Israel »zerstört oder schwer beschädigt« wurden. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen würde der Wiederaufbau in dem Gebiet bis zu 15 Jahre dauern und bis zu 50 Milliarden Dollar kosten.

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