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  • Dschungelcamping in Sierra Leone

In einem Reiseland vor unserer Zeit

Warmherzige Menschen, einsame Strände, tropische Natur: Sierra Leone ist ein Traum für unverwöhnte Afrika-Entdecker

  • Carsten Heinke
  • Lesedauer: 6 Min.
Palmölmacher im Dorf Kambama nahe Tiwai Island: Nur schwer lässt sich die Mühle drehen. Für ein Lächeln reicht die Kraft dennoch.
Palmölmacher im Dorf Kambama nahe Tiwai Island: Nur schwer lässt sich die Mühle drehen. Für ein Lächeln reicht die Kraft dennoch.

Die Sonne geht gerade unter, als unser Bus bei Vaama die Landstraße verlässt. Wie vielerorts zwischen der Küstenebene und den Guinea Highlands nutzt man auch in dieser dünn besiedelten Region im Südosten von Sierra Leone die raren Urwaldreste zunehmend für Landwirtschaft.

Auf schmalen Feldern unter wilden Palmen, Gummibäumen und Guaven wachsen Maniok, Erdnüsse und Süßkartoffeln, Bohnen, Mais und Hirse – Zutaten für vielfältigste köstliche Gerichte. Wo die Bäume schon gerodet sind, gedeiht der Reis, hierzulande Nahrungsmittel Nummer eins. »Große Mengen davon werden heute importiert«, erfahren wir von Peter Momoh Bassie. Denn längst nicht mehr reiche die Ernte für alle – wie noch zu Beginn der 90er Jahre. »Nach dem Bürgerkrieg war alles anders«, sagt der 38-Jährige, der uns auf diesem Rundtrip durch sein wunderschönes, hart geprüftes Land im Westen Afrikas begleitet. Die brutale Schreckenszeit von 1991 bis 2002 erlebte er als Kind und Jugendlicher.

Bewegt, doch ohne jede Bitterkeit spricht Peter von seinen traumatischen Erinnerungen. Uns berühren sie genauso wie die Zuversicht und Lebensfreude dieses glücklichen Familienvaters. Seinen Beruf wählte der Guide und Reiseleiter ganz bewusst, denn er ist sicher: »Wenn Menschen nach Sierra Leone kommen, weil sie sich für Land und Leute interessieren, ist das eine große Chance für uns.«

Historische Orte und deren Geschichte sollten seiner Meinung nach zu jeder Rundreise gehören: »Das Wissen über die Vergangenheit hilft uns, die Gegenwart besser zu verstehen.« Und so gehörten auch zu unserem Programm Museen und Gedenkstätten der Hauptstadt Freetown und die Festung auf Bunce Island. Bis zur Abschaffung der Sklaverei 1807 verschleppte man dorthin Zehntausende von freien Menschen und verkaufte die, die überlebten, wie Ware oder Vieh.

Bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1961 war Sierra Leone eine britische Kolonie. Heute zählt es weltweit zu den ärmsten Ländern. 2023 betrug das jährliche Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in Sierra Leone rund 750 US-Dollar, auf über 850 sollte es 2024 steigen, bis 2029 sogar auf über 970.

Eine Flussinsel als Liebesgabe

Der Abendhimmel glüht. Und auch der Boden strahlt im Licht der Busscheinwerfer feuerrot. Der Regen hat den Weg zu einer Buckelpiste ausgewaschen. Die letzten Kilometer strecken sich. Nimmt sich doch unser umsichtiger Fahrer Zeit, sein eher wenig sportliches Gefährt und uns im Ganzen durch den löchrigen Parcours zu manövrieren.

Gewöhnlich reisen Gäste im Geländewagen durch das Land mit zauberhaften Stränden, Inseln, Regenwald und Bergen. Schicke Lodges und Resorts mit Sternen sucht man hier vorerst vergeblich. Der sich gerade erst entwickelnde Tourismus mag für einige noch viele Mankos oder Makel haben. Für andere ist diese Unvollkommenheit, ergänzt durch warmherzige Freundlichkeit, gerade reizvoll und vielleicht die größte Attraktivität einer authentischen Entdeckungsreise.

Hier und da ein ferner Feuerschein und Umrisse einfacher Hütten. Stockfinster ist es, als wir Kambama, das Etappenziel, erreichen. Das Dorf am Moa ist einer der Ausgangspunkte für Touren nach Tiwai. Vom Fluss und dessen Nebenarmen komplett eingeschlossen, hütet dieses Schutzgebiet wertvolle Schätze aus der reichen Tier- und Pflanzenwelt Westafrikas. Als Herzensgeschenk einer Stammeskönigin, der dieses kleine Paradies einmal gehörte, erhielt es schon im 19. Jahrhundert einen Sonderstatus. Zum offiziellen Schutzgebiet erklärte man die Flussinsel vor rund 40 Jahren.

Dschungelcamping in Sierra Leone – In einem Reiseland vor unserer Zeit

Wir sind spät. Die Dorfbevölkerung erwartet uns seit Stunden. Als wir aussteigen, begrüßen uns die Menschen freundlich in der Dunkelheit. Ich spüre Neugier, Gastfreundschaft wie auch geschäftliches Interesse. Die Überfahrt im Boot ist zwar bereits gebucht. Doch der Gepäcktransport zum Anleger ist »freier Markt« und heiß umworben. Nach jeder Tasche, jedem Koffer greifen viele Hände. Selbst wer nichts zum Tragen abbekommt, begleitet uns zum Fluss. Handytaschenlampen leisten gute Dienste, auch aufmerksame Hinweise zur Wegbeschaffenheit.

Geschickt wird jeder respektive alles in das kleine flache Kastenboot gestapelt. Auf wundersame Weise bringt es uns in rabenschwarzer Nacht mit viel Geknatter und ganz ohne Licht zum Ufer vis-à-vis. Mittels Solarlaterne findet jeder sein Quartier am Waldesrand. Meins ist eine runde Hütte, ringsum völlig offen, nur mit Gaze überspannt. Den Sockel aus Beton verziert ein Bild des Goldhelm-Hornvogels nebst seinem Namen.

Mit Fönwelle im Regenwald

Vor der Tür drängen sich jede Menge potenzieller Mitbewohner – summende und brummende bis lautlos fliegende und flatternde Insekten. Obwohl ich im Dunklen öffne, kommen einige mit rein. Wohl oder übel muss ich meine Unterkunft mit ihnen teilen. Im Schein des Lämpchens untersuche ich die beiden Einzelbetten. Die Moskitonetze reichen nicht an allen Seiten bis nach unten.

Auf Beleuchtung werde ich ab jetzt verzichten. Denn bei jedem Lichtstrahl sausen draußen neue Schwärme turboflugfähiger Krabbeltiere raschelnd oder klopfend gegen Tür und Fliegengitter. Im Dunkeln höre ich fast nur das gleichmäßige Rasseln der Zikaden. Das und auch die herrlich frische Waldluft voller Sauerstoff befördern mich dann doch ganz schnell ins Land der Träume.

Als es am Morgen über mir laut poltert, glaube ich, noch immer dort zu sein. Doch die schrillen Schreie, die den Krach begleiten, sind real. Ich bin wach und es ist hell. Die Nachtinsekten schlafen – und auf dem Blechdach meiner Hütte spielen wilde Affen Fangen.

Tipps
  • Beste Reisezeit: in der Trockenperiode zwischen November und April
  • Anreise: Brussels Airlines fliegt mit Stopp in Brüssel von Berlin, Frankfurt oder München nach Freetown, Ethiopian Airlines mit Stopp in Addis Abeba, Turkish Airlines mit Stopp in Istanbul.
  • Einreise: mit Reise­pass und Visum, das recht­zeitig vor der Reise online beantragt und bezahlt werden muss (https://evisa.sl), sowie dem Nach­weis einer Gelb­fieber-Impfung
  • Gesundheit: Empfohlen sind Malaria-Prophy­laxe und Imp­fun­gen gegen Hepa­titis A und Polio­myeli­tis, evtl. auch Dengue­fieber, Hepa­ti­tis B, Toll­wut und Typhus.
  • Unterkünfte und Hotels: Camping gibt es auf Tiwai Island (www.tiwaiisland.org) sowie auf Banana Island in den Zelten des
    Bafa Resorts (www.bafaresort.com) oder den Hütten von
    Daltons Banana Guesthouse (https://daltonsbananaguesthouse.com). Hotels: in Freetown das »Radisson Blu Mammy Yoko« (www.radissonhotels.com), weiter südlich am John Obey Beach das »Estuary Resort« mit Bunga­lows (www.visitsierraleone.org/hotel/estuary-resort).
  • Rundreisen & Touren: Der sierra-leonische Reise­veran­stalter »Tourism is Life« bietet sowohl kom­plette Reise­pakete mit Trans­port, Verpflegung und Übernachtung als auch Tagestouren an. Individuelle Rundreisen durch Sierra Leone, auch in Kombination mit anderen Zielen in Westafrika, organisiert der deutsche Afrika-Spezialist Akwaba Afrika (https://akwaba-afrika.de).
  • Auskünfte: Fremdenverkehrsamt von Sierra Leone (https://de.tourismsierraleone.com)
    sierra-leonische Botschaft in Deutschland (https://slembassy-germany.org)

Später bei der Wanderung bekommen wir von ihnen mehr zu hören und zu sehen. »Nirgendwo anders auf der Welt habt ihr die Chance, so viele Arten von Primaten auf so engem Raum zu treffen wie auf Tiwai Island«, kommentiert der Guide Mohamed das rege Treiben in den Bäumen über uns. Elf Spezies der hoch entwickelten Verwandten des Menschen, darunter seltene Dianameerkatzen, Mangaben und Schimpansen sowie deren Lieblingsbeutetiere – Stummelaffen – leben im Inselregenwald, der mit gerade einmal 1200 Hektar etwa so groß ist wie der Edersee in Hessen.

Von den scheuen Zwergflusspferden riechen und sehen wir nur diverse Spuren. Umso so häufiger zeigt uns der Wald seine gefiederten Bewohner. Mein Favorit: der Goldhelm-Hornvogel, ein wirklich lustiger Geselle. Seinen Kopf schmückt eine rotblonde, zerzauste Fönwelle à la Rod Stewart oder Tiffy aus der Sesamstraße. Sein merkwürdiger Ruf klingt wie eine Kindertröte oder Blasen auf dem Kamm.

Sonderbar ist auch sein wuchtig wirkender, nachhallender Flügelschlag. Er erinnert an die übertriebenen Fluggeräusche großer Trickfilmvögel oder -drachen. Und als Mohamed verrät, dass mein »Hüttentier« außer viel Früchten auch sehr gern Insekten frisst, steht für mich fest: Die nächste Nacht in einer Campinghütte auf Tiwai verbringe ich mit so einem komischen Vogel.

Die Recherche wurde unterstützt vom Sierra Leone National Tourist Board.

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