Die Hingebungsvollen, Eigensinnigen und Widerspenstigen

Gisela Höhne hat mit »Dann mit RambaZamba« ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben – eine Liebeserklärung an das Theater trotz aller Widrigkeiten

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Nur scheinbar aus der Zeit gefallen »Doña Rosita bleibt ledig« am RambaZamba-Theater
Nur scheinbar aus der Zeit gefallen »Doña Rosita bleibt ledig« am RambaZamba-Theater

Eine ihre Abschiedsinszenierungen als Intendantin des Berliner RambaZamba-Theaters war 2014 »DADA-Diven«. Der fulminante Abschluss einer Ära, die 25 Jahre zuvor begonnen hatte, als sie zusammen mit ihrem damaligen Mann Klaus Erforth ein besonderes Theater gegründet hatte. Ein Theater für ihren Sohn Moritz, der 1976 mit Down-Syndrom geboren wurde.

Da hatte Gisela Höhne gerade ihr Schauspielstudium beendet und sah sich künftig schon auf der Bühne des Deutschen Theaters stehen, wo Erforth erfolgreich inszenierte. Aber jetzt ein behindertes Kind, das Ende aller Träume? In ihren nun erschienenen Erinnerungen »Dann mit RambaZamba« erfahren wir, wie ihr damals zumute war: »Ich will so gern weiter Theater spielen und bin nicht bereit für ein Leben als Mutter Theresa.«

Was also tun? Moritz in ein Heim geben und ihr Leben geht weiter, als wäre nichts geschehen? Die Versuchung ist da: Wenn es egal gewesen wäre, wer sich um ihn kümmert, dann hätte sie es getan. Aber schnell merkt sie: Es ist nicht egal. Moritz zeigt sich anhänglich, aber bleibt sehr langsam. Er braucht viel mehr Zeit für alles, was es zu lernen gibt.

Es ist ihre Zeit, die sie nun für ihr Kind opfert. Ihre Freundinnen vom Theater, erinnert sie sich, blieben nach und nach alle weg, weil sie es nicht aushielten, stundenlang auf dem Teppich zu liegen und mit aller Aufmerksamkeit zu warten, bis Moritz einen Bauklotz von einer auf die andere Seite gelegt hatte. Aber  sie hält es nicht nur aus, sondern lebt mit Moritz bis heute eng zusammen, kennt sein Leben, seinen besonderen Rhythmus – und nun ist Moritz seit über 30 Jahren eine Stütze des Ensembles.

Er hat sprechen gelernt, so gut, dass er auf der Bühne stehen kann, sich zur Musik zu bewegen, und er spielt verschiedene Instrumente. All das, was Kinder mit Down-Syndrom angeblich nie lernen, können sie hier. Es ist das Ergebnis von Zuwendung, Geduld und gemeinsamen Projekten. Manche nennen das ein Wunder, aber Gisela Höhne hat dieses »Talent zum Menschen«, wie es Tschechow sagen würde: Sie ist auf freundliche, aber beharrliche Weise fordernd.

Ihren eigenen Glücksanspruch hat sie nie dabei aufgegeben. Nach Klaus Erforth, von dem sie sich schließlich trennte, kamen neue Lieben, Männer wie Frauen. Nein, eine Mutter Theresa ist sie nicht geworden, sie promovierte in Theaterwissenschaft, leitete das RambaZamba-Theater, das dann Sohn Jacob vor zehn Jahren übernahm, »ein radikaler Wechsel«, der auch schmerzhafte Seiten für sie hatte.

Doch nach einer mehrjährigen Pause hat sie 2023 noch einmal an ihrem alten Haus inszeniert: »Doña Rosita bleibt ledig« von García Lorca, ein nur scheinbar aus der Zeit gefallenes Stück, wie sie betont. Sie weiß: »Glück ist nicht programmierbar. Es gibt keinen Anspruch darauf, aber es ist da, wo wir es nicht erwarten, wo wir uns einlassen.«

Was ist das Geheimnis ihres Erfolgs als Regisseurin und Theaterleiterin? DADA-Diven zeigte es: Sie liebt all jene, mit denen sie zusammen etwas entstehen lässt. Es dauert, so lange es eben dauert. Sechs Wochen Probe und dann Premiere? Manchmal gingen ihre Proben fast ein Jahr lang. Moritz war das Zeitmaß.

Wie er brauchten sie hier alles etwas länger, aber dann wurde es auch besonders gut: von »Mongopolis« (2003) bis »Der gute Mensch von Downtown« (2014). Mit den eigenen Beschränkungen zu spielen, hatten sie hier nie Probleme. Wir haben unsere Behinderungen, andere die ihren. Mache jeder so gut er kann daraus einen Vorzug! Was manche hier traurig macht, ist etwas anderes. Heute werden kaum noch Kinder mit Down-Syndrom geboren, weil man die Erbkrankheit frühzeitig diagnostizieren kann. Sterben wir etwa aus, fragt sich nicht nur Moritz.  

»DADA-Diven« war eine höchst avantgardistische, geradezu eine philosophische Inszenierung. Das Ensemble konnte die schwierigsten Texte von Daniil Charms bis Kurt Schwitters und Ernst Jandl über die Bühne bringen, weil es allen so großen Spaß machte. Das Spiel mit dem Absurden ist eben nichts Abstraktes, es beginnt mit einzelnen Buchstaben, mit Geräuschen und schwingt sich dann plötzlich auf zum Salto mortale des Ausrechenbaren. Plötzlich wird dieses unheimlich: »Es wird gleich beginnen. Es beginnt. Es hat begonnen.« Und schon lehnt man sich bequem in seinem Sitz zurück. Jetzt also! Und dann übergangslos: »Es wird enden. Es endet. Es ist beendet.« Wenn man nicht aufpasst, ist das Leben schon vorbei, wenn man noch glaubt, es gehe los. Und wenn man genau aufpasst? Dann auch, aber es kann, wie Gottfried Benn sagt, noch »kurzbelichtet Zeichen« geben.

Höhne weiß aus dem engen Zusammenleben mit ihrem Sohn Moritz, dass abstrakte Zugänge für das RambaZamba-Ensemble noch weniger funktionieren als sonst schon. Es muss ein Fest der Sinne sein! So haben ihre Inszenierungen immer etwas von Zirkus, aber einem mit philosophischem Anspruch.

Es war Heiner Müller, der, als der Trägerverein Sonnenuhr 1992 entstand samt Kunstwerkstatt und Bühne, eine nicht geringe Summe spendete und darüber 1994 schrieb: »In einer Welt, in der die tägliche Geschwindigkeit bestimmt wird durch Computer, Wahrnehmung sich vor allem über elektronische Medien realisiert, setzt die Arbeit von SONNENUHR auf archaische Äußerungen von Individuen. Dass sie anders sind, ist eine Qualität im Zeitalter der Nivellierungen.«  

Gisela Höhnes sehr persönliche Erinnerungen, die von Höhen und Tiefen, nicht nur auf dem Theater handeln, sind von einer erstaunlichen Heiterkeit getragen. Man liest es und denkt: Wie schwer muss vieles gewesen sein und dann erfährt man, wie sich alles Schwere ertragen lässt, wenn man es mit Freude trägt.

Natürlich ist ein Behindertentheater (um dieses unschöne Wort einmal zu benutzen) überaus anstrengend. Denn wer, wie auch immer, behindert ist, hat doch oft einen starken Willen. Und das ist gut so. Aber die vielen starken Einzelwillen, die oft nicht wollen, was sie sollen (manchmal mit gutem Grund), muss man dann immer wieder dazu bringen, gemeinsam über Grenzen zu gehen, um etwas zu schaffen, das stark und neu ist. Ein Ganzes werden! Diese Utopie ließ Gisela Höhne immer wieder Wirklichkeit werden. Da war – und ist – viel Verführungskunst im Spiel, wie mir scheint.

Verführung? Die Kunst, sich auf etwas einzulassen, das anders ist, als man es erwartet. Sie erinnert im Buch an die vielen Schauspieler und Schauspielerinnen, die RambaZamba prägten. Auch ich sehe sie vor mir, die meisten sind heute noch dabei. Ein Fototeil, den Sibylle Bergemann schon vor einer Reihe von Jahren schuf, zeigt die flirrende Atmosphäre bei RambaZamba.

Da sind vor allem die starken Frauen um Nele Winkler, Franziska Kleinert, Juliane Götze und Zora Schemm, deren Präsenz mich von Anfang an fasziniert hat. Aber auch Jonas Sippel, über den Höhne, in der ihr eigenen Art lauter Liebeserklärungen zu machen, notiert: »Der kleine, schlanke Mann mit dem Down-Syndrom, gelenkig und stets in Bewegung, ist wieder einer der besonderen Schauspieler, so ganz anders als Moritz, doch genauso intensiv: hypermotorisch, wissbegierig, immer am Thema (Antike oder deutsche Sagen).«

Wer, wenn er so von seiner Regisseurin charakterisiert wird, würde im Spiel nicht alles geben? Und das tun sie dann auch, ebenso hingebungsvoll wie eigensinnig, manchmal auch widerspenstig.

Gisela Höhne: Dann mit RambaZamba. Mitteldeutscher Verlag, 352 S., br., 24 €.
Die Buchvorstellung mit Gisela Höhne findet Berliner Pfefferberg-Theater am 23. Januar um 20 Uhr statt.

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