Kapitalismus im Panik-Modus

Im Notfall-Weltsystem: Was sind die Bedingungen, unter denen Donald Trump regiert?

  • Achim Szepanski
  • Lesedauer: 7 Min.
Wie kann man spekulatives Kapital einfangen?
Wie kann man spekulatives Kapital einfangen?

Überfischt, überbewertet, überkommuniziert, mit Marken überhäuft, überästhetisiert, übermedikamentisiert, überwacht, übervirtualisiert, übermedialisiert« (Arthur Kroker und David Cook, 1989): Es ist heute insbesondere die spekulative Kapitalisierung, die – untrennbar verbunden mit dem Aufstieg der vernetzten Computer – in Folge von ekstatischen Steigerungsexzessen zum Über geführt hat: Zu viel Kapital, aber auch zu viele Bilder und zu viele Zeichen, die jeglichen historischen Sinn neutralisieren und eine weiße Zensur durch Exzess ausüben.

Achim Szepanski

Fast genau ein Jahr vor dem Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump hielt Achim Szepanski am 17. Januar 2024 in der Hamburger Galerie der abseitigen Künste einen Vortrag über die Polykrise des Kapitalismus, den wir in Auszügen drucken. Prägnant beschreibt Szepanski die politökonomischen Verhältnisse, in denen Trump nun regiert. Der linke Frankfurter Theoretiker und Labelmacher starb am 22. September im Alter von 67 Jahren.

Diese Art der Simulation durch exzessive Realitätsüberlastung zieht nach Jean Baudrillard eine neue Eskalation der Fettleibigkeit nach sich, die schließlich im Müll aller Art sichtbar wird: Atommüll, Chemiemüll und Industriemüll, aber auch das Übermaß an Meinungen, Gesetzen und Texten, die wie Kadaver im Strom des Verderbens und des Verderblichen treiben. Der Weltkapitalismus scheint in einen paradoxen, einen beschleunigenden und zugleich erschöpfenden Panik-Modus übergegangen zu sein, in dem die Ekstatik des »Über« als Überakkumulation und Überspekulation auf die destruktiven Aktivitäten des Kapitals trifft, insbesondere hinsichtlich der Kapitalisierung der Natur und der Erzeugung einer globalen Surplus-Bevölkerung.

Die gegenwärtigen ökonomischen, sozialen und geopolitischen Konflikte, für die in den Medien der Begriff der »Polykrise« (Adam Tooze) zirkuliert, könnten in ihrem Zusammenspiel in naher Zukunft durchaus eine katastrophische Dynamik entfalten: das spekulative Kapital und seine Blasenbildungen; ein Inflationsschub, der die Zentralbanken zu einer Straffung der Geldpolitik zwingt; Pandemien und eine brutale ökonomische Ungleichheit; die Schuldenkrise der Unternehmen, wenn die Zinssätze für Kredite steigen; eine Immobilienblase, die platzt; das steigende Risiko einer globalen Stagflation respektive Rezession.

In einer Polykrise sind die verschiedenen Schocks, die die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bereiche durchdringen, zwar differenziert und von unterschiedlicher Intensität, aber sie interagieren und vermischen sich, sodass im Ergebnis das (offene) Ganze noch stärker in die Krise getrieben wird, als wenn die Krise lediglich das Ergebnis einer Summe von Teilkrisen wäre. Das Entscheidende besteht darin, dass diverse Schocks und Krisen zusammenwirken, sich überlagern und vermischen, sodass eine polyzentrifugale Krise hereinbricht, die katastrophischer als jede Krise ist, die nur aus einer Summe von Teilkrisen resultiert.

Die Katastrophe kommt einer andauernden und sich verschärfenden Polykrise gleich, in der Zusammenbrüche in allen Bereichen stattfinden und eine Rückkehr zur Normalität in weite Ferne verschoben ist. Die Dinge werden beschleunigt und zugleich angehalten, bevor sie enden, um sie so auf unbestimmte Zeit in der Spannung ihrer Erscheinung zu halten. Die Katastrophe vollendet sich nie, aber mehr als das, denn indem sie sich nie vollendet, wird sie zum Realen, zur Realität als Simulation ihrer selbst.

Unter Marxisten herrscht weitgehend Einigkeit, dass die Finanzkrise von 2008 den Beginn einer strukturellen Krise des Weltkapitalismus markiert. Im Gegensatz zur Medizin, in der die Krise die Heilung auslösen soll und damit verschwindet, geht die gegenwärtige Polykrise anscheinend nicht vorbei, vielmehr scheint sie in Permanenz zu delirieren, ohne jeden Ausweg, alternativlos wie der Kapitalismus selbst.

Die Katastrophe vollendet sich nie, sie wird zur Realität als Simulation ihrer selbst.

Es dominiert jetzt der (krisenhafte) Exzess des spekulativen Kapitals – die Beschleunigung der Kreation ständig neuer Vermögenstitel, ein Prozess, der in Abständen zu einem finanziellen Kollaps führt und weite Teile der Bevölkerungen vor allem im globalen Süden in immer neue Miseren, Verarmung und finanzielle Ungewissheiten stürzt. Es ist aber nicht die Realökonomie, welche die Finanzökonomie vorantreibt, sondern es ist umgekehrt die Finanzökonomie, welche die Realökonomie strukturiert. Dabei gilt es stets zu berücksichtigen, dass der »Wert« eines finanziellen Investments dem kapitalistischen Produktionsprozess nicht nachgeordnet ist, sondern ihm vorausgeht. Er existiert nicht, weil Mehrwert produziert wurde, sondern weil das finanzielle Kapital zuversichtlich ist, dass die Realisierung von Renditen in der Zukunft stattfinden wird.

Das globale Geldkapital ist heute weniger in Industrie- oder Technologieunternehmen geparkt oder wird aktiv über bestimmte Hedgefonds und Banken verwaltet, sondern wird von großen Vermögensverwaltungsgruppen wie BlackRock, State Street und Vanguard verwaltet (und passiv verwaltet), die nach dem Finanzkollaps von 2008 zu einer wichtigen Fraktion des transnationalen Kapitals geworden sind und neue Investitions- und Kontrollfunktionen auf globaler Ebene übernehmen. Diese Vermögensverwaltungsfirmen folgen mit ihren diversifizierten Portfolios zunehmend passiv den Aktienindizes, anstatt aktiv mit Aktien, Anleihen oder Derivaten zu handeln; sie agieren eher als Finanzintermediäre, wenn sie die Aktionärsfunktion in öffentlichen Unternehmen übernehmen und Finanzkanäle bereitstellen, in die wohlhabende Eliten investieren.

Das wohl größte Non-Event der neoliberalen Ära des Kapitalismus ist die Stagnation der Wirtschaft in der Phase der vierten »industriellen Revolution«, die auch durch die digitale Automatisierung und die damit verbundenen Produktivitätsfortschritte noch nicht überwunden ist. Das Paradoxe ist, dass die Produktivitätswachstumsraten im verarbeitenden Gewerbe gerade dann einbrachen, als sie aufgrund der Automatisierung eigentlich rapide ansteigen sollten.

Das schwache Wirtschaftswachstum in der kapitalistischen Weltwirtschaft wird seit dem Jahr 2022 von einer unerwarteten Inflation der Energie-, Rohstoff- und Lebensmittelpreise begleitet. Zwar spielen Angebot und Nachfrage auf den traditionellen Märkten eine gewisse Rolle bei den dramatischen Schwankungen, doch die weitaus bedeutendere Ursache für den Anstieg der hohen Preise (und ihren anschließenden Absturz) liegt auf den Finanzmärkten.

Bei Haushalten mit niedrigen und mittleren Einkommen wirkt der Anstieg der Energiepreise direkt auf das Konsumverhalten. Sie werden zu Einsparungen gezwungen und erleiden Realeinkommensverluste. Die staatlichen Ausgleichszahlungen sind für die unteren Schichten wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Sozialpolitik geht es nun wie dem Politischen selbst. Man verabreicht sie den Massen in einer homöopathischen Dosis, verdünnt sie so weit, dass sie im Verhältnis zur Gesamtlösung verschwindend gering wird und nur noch eine Spur hinterlässt, die so winzig ist, dass sie kaum mehr wahrgenommen wird, aber schließlich als Simulation (als eine Politik der wohlgemeinten Ratschläge, wie man spart) überlebt.

Es ging bei der ersten industriellen Revolution unter anderem um die Durchsetzung einer auf fossilen Brennstoffen basierenden Technologie, eine bis heute vergiftete Frucht der Geschichte, so Andreas Malm. Das gegenwärtige Klima ist ein Produkt von andauernden CO2-Emissionen in der Vergangenheit. Die Emission einer Tonne CO2 wäre nicht so gefährlich, wenn sich nicht schon Billionen Tonnen CO2 in der Atmosphäre befänden; es ist also die totale Akkumulation, welche die Temperaturen ansteigen lässt, und je mehr CO2 ausgestoßen wird, umso geringer sind auch die Aussichten, den stattfindenden Anstieg überhaupt noch bremsen zu können. Heute ist der Globus zu einer Müllhalde der Produktionsanlagen und der Konsumverarbeiter der Hypermärkte geworden. Im Hinblick auf die seit Langem bestehende Verwüstung des Globus spricht Jason Moore von einem »allgemeinen Gesetz der Überverschmutzung«.

Die durch alle Medien, von links bis rechts, von der Neoklassik bis zum Postkeynesianismus geisternde Debatte Stimulus versus Austerität bescheinigt den Staaten unverdrossen die Potenz, Krisen noch lösen zu können – nur ist diese längst erschöpft. Die Profitraten in der Industrie stagnieren, während das ekstatische Wachstum des spekulativen Kapitals die Kluft zwischen orbital zirkulierendem Geldkapital und dem durch die Ausbeutung der Arbeitskraft geschaffenen Mehrwert ständig vergrößert. Mit dem Philosophen Fabio Vighi lässt sich von einem illiberalen Meta-Notfall-Weltsystem sprechen, welches die neue Normalität auszeichnet. Wenn nach Walter Benjamin die Katastrophe darin besteht, dass es immer so weitergeht, dann können wir in Zukunft mit einer für weite Teile der Weltbevölkerung immer unzumutbareren Drastik von Normalität rechnen, deren katastrophisches Moment sich kaum noch verschleiern lässt.

Von Achim Szepanski erschien 2023 »Ekstase der Spekulation. Kapitalismus im Zeitalter der Katastrophe«, im Verlag Galerie der abseitigen Künste. Im Laika Verlag sind mehrere Bücher von ihm erschienen, darunter »Kapitalisierung« (zwei Bände), »Kapital und Macht im 21. Jahrhundert« und »Der Non-Marxismus«.

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