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Finanzen der Sozialkassen instabil
DAK und VdK fordern grundlegende Reformen zur Entlastung der Beitragszahler
Die Politik bedient sich gern der Rücklagen der Sozialversicherungen, oder streicht nach Haushaltslage einst gesetzlich beschlossene Zuschüsse für diese. Auch die Ampel-Koalition hielt sich bei der Zweckentfremdung der Sozialbeiträge nicht zurück: Aus den Rücklagen der gesetzlichen Kassen wurden 2,5 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds umgeleitet. In den Fonds fließen die Versichertenbeiträge, aus ihm werden den Kassen ihre Ausgaben bezahlt.
Die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung wurden um fünf Milliarden Euro gekürzt. Zahlungen in den Pflegevorsorgefonds, der eigentlich die Beiträge ab 2035 stabil halten soll, wurden 2024 und eigentlich auch für die nächsten Jahre ausgesetzt. Auch die Arbeitslosenversicherung muss zusätzliche Aufgaben für Langzeitarbeitlose in Höhe von 2,7 Milliarden Euro stemmen. Die Schieflage bei den sozialen Kassen wird sich bei Anhalten der schwachen Konjunktur und steigenden Arbeitslosenzahlen absehbar noch verstärken.
In Zukunft könnte auch mit einer besseren Patientensteuerung Geld gespart werden.
Kritik an diesem Griff in die Taschen der Sozialversicherten kommt, wohlgemerkt vor der Bundestagswahl, nicht nur von CDU. Auch die DAK-Gesundheit fordert ein Sofortprogramm, insbesondere für stabile Krankenkassenbeiträge. Denn allein in der jetzt beendeten Legislatur hatten die gesetzlich Versicherten mit dem höchsten Beitragsanstieg in der Geschichte der Bundesrepublik zu tun, so DAK-Vorstandschef Andreas Storm am Dienstag in Berlin: mehrmals stieg der durchschnittliche Zusatzbeitrag, zuletzt um 1,2 Prozentpunkte. Schon 2023 hatte die Gesamtbelastung durch alle vier Sozialversicherungen die einst als Endpunkt betrachtete Schwelle von 40 Prozent gerissen.
Aber die Beiträge dürften weiter steigen, so jedenfalls eine Projektion des Berliner Iges-Instituts im DAK-Auftrag – wenn die Politik nicht eingreift. Ein Szenario sieht den Gesamtbeitrag der Sozialversicherungen bis zum Jahr 2035 auf 49,7 Prozent wachsen. Es könnten auch gut über 50 Prozent werden, wenn ein Rentenpaket verabschiedet wird, das die Renten stabil bei 48 Prozent des Einkommens halten soll. Und wenn auch Leistungen der Pflegekassen nach langjähriger Pause 2028 wieder dynamisiert würden.
Hier deutet sich schon an, dass es bei den Ausgaben der Kassen viele Stellschrauben gibt, derer sich die Politik nur bedienen müsste. Eine Sozialpolitik im Interesse der Beitragszahler scheint aber auch der DAK kein Automatismus. Für den Kernbereich der Kasse, die Krankenversicherung, drohe in den nächsten zehn Jahren ein weiterer Beitragssprung von 17,5 auf 20 Prozent.
Die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) stellten in den letzten Jahren mehrfach klare Forderungen auf, um eine solche Entwicklung zu verhindern. Vordringlich soll der Transformationsfonds zur Krankenhausreform anders finanziert werden, also eher über Steuerzuschüsse. Ansonsten würden die Kassen ab 2026 über zehn Jahre jährlich mit zusätzlichen 2,5 Milliarden Euro belastet, was eine erneute Erhöhung des Zusatzbeitrages im nächsten Jahr um 0,6 Prozentpunkte erfordern würde.
Unabhängig davon müsse ab dem kommenden Jahr der Bundeszuschuss an die Kassen um sieben Milliarden auf 21,5 Milliarden Euro angehoben werden. So ließen sich endlich versicherungsfremde Leistungen wie die bislang unterdeckten Ausgaben für Bürgergeldempfänger finanzieren. Indessen stehen diese Forderungen schon länger auf dem Wunschzettel der Kassen. Sie fordern ebenfalls nicht erst seit gestern, dass ihre Ausgaben nicht schneller wachsen dürften als ihre Einnahmen. Das sei etwa zwischen 2008 und 2018 gelungen, erläutert Richard Ochmann, Iges-Projektleiter für Gesundheitspolitik. Inzwischen sei aber die Inflation aber auch in der GKV angekommen. Schon vor der Pandemie hatten immer neue Gesundheitsgesetze die Kassenausgaben ansteigen lassen.
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In naher Zukunft könnte mit einer besseren Steuerung der ambulanten Patienten und einer endlich beschlossenen Notfallreform Geld gespart werden, hofft DAK-Chef Storm. Für die Patientensteuerung müssten aber die Ärzte selbst Modelle vorschlagen. Auch mit diesen Maßnahmen wäre erst nach der Bundestagswahl zu rechnen. Beginnen sollte die neue Regierung mit einem Kassensturz bei der GKV, meint Storm. Für die notwendigen Sozialreformen sollte die Bundesregierung jährlich einen Bericht vorlegen, der die Beitragsentwicklung in allen Sozialversicherungszweigen über zehn Jahre in verschiedenen Szenarien enthält.
Die Finanzierung diverser Gesetzesvorhaben in jüngster Vergangenheit aus den Kassen der Sozialversicherungen kritisierte am Dienstag auch der Sozialverband VdK. Durchaus sinnvolle Rentenzahlungen, etwa für Kindererziehung, Mutterschutz und Ausbildungszeiten, müssten von der gesamten Gesellschaft getragen werden, die Rentenversicherung dürfe nicht auf Teilen dieser Kosten sitzenbleiben. Der VdK sieht hier ein Gerechtigkeitsproblem, da die Sozialversicherten tendenziell zu einer Gruppe mit geringeren Einnahmen gehören. Der Verband forderte zugleich eine sozial gerechtere Steuerpolitik, um die genannten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben zu finanzieren.
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