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Deutsche Welle wegen Umgangs mit Islamophobie kritisiert
Mitarbeitende sehen Doppelstandards nach Entlassungen wegen Antisemitismus
Der staatliche Sender Deutsche Welle (DW) könnte bei der Behandlung von Islamophobie-Vorwürfen eines seiner Mitarbeiter*innen einen Doppelstandard angewandt haben, wie eine Recherche des Internetmagazins »The New Arab« nahelegt. Die Einstellung einer Untersuchung dazu scheint zumindest im Gegensatz zum Umgang mit Mitarbeitenden zu stehen, die wegen Antisemitismusvorwürfen entlassen worden sind. Eine Auseinandersetzung bei der DW um dieses Thema gipfelte Anfang des Monats in einer Mitteilung des Managements an das Personal sowie einer anonymen Antwort einzelner Mitarbeiter*innen darauf.
Die ursprüngliche Beschwerde, die am 16. Oktober 2024 über eine interne Whistleblowing-Plattform von einer Mitarbeiter*in des persischsprachigen DW-Dienstes eingereicht wurde, beschuldigt eine DW-Farsi-Kollegin der »Hassrede, Belästigung und Verstößen gegen DW-Richtlinien« durch Social-Media-Beiträge auf der Plattform Twitter (heute X). Die Tweets enthielten demnach vulgäre Sprache, die sich gegen bestimmte ethnische und religiöse Gruppen richte, insbesondere Araber*innen, unangemessene sexuelle Anspielungen und persönliche Angriffe, basierend auf Aussehen und Überzeugungen. Die Beschwerde dokumentiert dazu rund 70 Beiträge, die die Journalistin zwischen 2015 und 2018 verfasst hatte. Ihre Beschäftigung bei der DW begann allerdings erst vier Jahre später.
Das Compliance-Büro der DW hat keine Konsequenzen gegen die beschuldigte Person verhängt. Diese Reaktion sei ein Indikator für »systemische Diskriminierung und Verantwortlichkeitsprobleme« innerhalb der Medienorganisation, erklärte die Whistleblower*in dazu in einer E-Mail an »The New Arab«. Mitarbeitende würden so davon abgehalten, weitere Vorfälle zu melden.
»The New Arab« hat die betreffenden Social-Media-Beiträge daraufhin geprüft und festgestellt, dass 17 von ihnen als beleidigend oder diffamierend eingestuft werden können. 15 weitere bezogen sich in verallgemeinernder und negativer Weise auf Muslim*innen und den Islam und können daher als islamophob gelten. Fünf Beiträge waren rassistisch gegenüber Menschen aus Afghanistan, der Türkei, arabischen Ländern und Amerikaner*innen.
Von den 70 in der Beschwerde enthaltenen Beiträgen wurde der größte Teil nach ihrer Meldung bei der DW gelöscht – vermutlich durch die des Fehlverhaltens beschuldigte Accountinhaberin. »The New Arab« hat diese für eine Stellungnahme kontaktiert, aber keine Antwort erhalten. Der Zugang zum X-Account der Journalistin wurde nach der Beschwerde auf privat gestellt, sodass nur genehmigte Follower Beiträge ansehen können.
Die Deutsche Welle, die 2023 allein 457 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt erhielt, und ihr Rundfunkrat betrachten den Fall nach mehreren erfolglosen Beschwerden der Whistleblower*in als abgeschlossen. Das Compliance-Büro teilte jedoch mit, dass »ein allgemeiner Aktionsplan zur Stabilisierung des Farsi-Dienstes« initiiert werde. »Derzeit finden [bei DW Farsi] verschiedene Maßnahmen statt, von Einzelgesprächen mit allen Teammitgliedern bis hin zu Team-Workshops und einer anonymen Risikobeurteilung«, fügte der Sprecher hinzu.
Im Text ihrer Beschwerde hatte die Whistleblower*in Parallelen zur Reaktion der DW auf Antisemitismus-Vorwürfe gegen sieben arabische Journalist*innen im Jahr 2021 gezogen. Damals hatte der Sender zwei externe »Spezialist*innen« beauftragt, zu überprüfen, ob Äußerungen von sechs Angestellten und einem freien Mitarbeiter im Internet gegen die Grundsätze der Organisation verstießen, zu denen ein »klares Bekenntnis zum Existenzrecht Israels und eine klare Haltung gegen Antisemitismus« gehören.
Die Untersuchung führte im Februar 2022 zur Entlassung aller sieben Journalist*innen – einige von ihnen wurden jedoch später wieder eingestellt. Im März 2023 deckte die arabischsprachige palästinensische Nachrichtenwebsite »Arab48« Mängel im Verfahren der externen Untersuchung auf. Die Entlassungen hätten eine Kultur der Angst innerhalb der arabischsprachigen Abteilung der DW geschaffen. Eine Person, die anonym bleiben wollte, sagte »Arab48« damals, dass viele Mitarbeitende besorgt seien, dass ihre Palästina-bezogenen Social-Media-Beiträge durchforstet würden und sie die nächsten Entlassenen sein könnten.
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»Alle Mitarbeitenden kennen unsere Werte, die in unserem Verhaltenskodex festgehalten sind«, sagte ein Sprecher des DW-Compliance-Büros gegenüber »The New Arab«. Dieser Kodex besage auch, dass für die DW Tätige verpflichtet seien, in ihren sozialen Medien und anderen Veröffentlichungen sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext Zurückhaltung zu üben.
Genauso wie die wegen Islamophobie gerügten Internetbeiträge erfolgten jene der des Antisemitismus beschuldigten Entlassenen mehrere Jahre vor ihrer Beschäftigung bei der DW. So entließ der Sender etwa Farah Maraqa wegen Artikeln, die sie zwischen 2014 und 2017 für das jordanische Nachrichtenportal »Roya« geschrieben hatte. Vor ihrer Kündigung distanzierte sich Maraqa in einer Erklärung von ihren früheren Beiträgen. »Ich akzeptiere die Tatsache, dass ich erkannt habe, dass einige meiner Arbeiten als junge Journalistin in Amman nach westlichen Standards nicht angemessen waren [...] Seit ich 2017 dabei bin, beweist meine Erfolgsbilanz, dass ich mich an die journalistischen Richtlinien der DW gehalten habe. Ich stehe beruflich und als Person für diese Werte«, hieß es in der Erklärung. Letztendlich trennte sich die DW jedoch am 7. Februar 2022 mit sofortiger Wirkung von Maraqa.
»The New Arab« fragte die Deutsche Welle, warum sie keine externe Untersuchung der Islamophobie-Vorwürfe gegen ihren Mitarbeiter aufgrund ihrer öffentlichen Äußerungen eingeleitet hat, wie im Fall Maraqa. Der Sprecher antwortete, dass »ein Vergleich der beiden genannten Fälle nur teilweise möglich ist, da jeder Fall individuell bewertet werden muss«. Die DW-Farsi-Mitarbeiterin habe sich »glaubwürdig und umfassend von ihren alten Social-Media-Beiträgen distanziert«.
Als Reaktion auf den Bericht zu Islamophobie bei der DW in »The New Arab« verteilte das Management des Senders am 10. Januar 2025 eine interne Stellungnahme an alle Mitarbeitenden. Darin bekräftigte die DW, dass man »Islamophobie genauso ablehnt wie Antisemitismus oder jede andere Form der Diskriminierung«. Die DW-Angehörigen wurden auch an ihre Verpflichtungen erinnert, »die Interessen ihres Arbeitgebers zu wahren und zu schützen«.
»Wir möchten betonen, dass das Versenden anonymer E-Mails an einen großen Verteiler oder der Gang zur Presse keine geeigneten Mittel sind, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Externe Presseberichterstattung oder Eskalation wird nicht ändern, wie interne Prozesse funktionieren, kann aber dem Image der DW und dem unserer engagierten Mitarbeitenden schaden«, heißt es in dem Schreiben.
Der Whistleblower*in stellte die DW rechtliche Konsequenzen in Aussicht, falls sie die Angelegenheit weiter eskaliere: In einer »The New Arab« vorliegenden E-Mail vom 29. Oktober 2024 wies das Compliance-Büro die Person darauf hin, dass »externe Berichte oder Eskalationen [...] einen Verstoß« gegen das Arbeitsverhältnis darstellen könnten.
Einige Menschen innerhalb der DW wollen in der Sache aber nicht nachgeben. Kurz nach der Anfang Januar versandten offiziellen Stellungnahme wurde ein anonymer Brief, unterzeichnet von »einer Gruppe von Mitarbeitenden, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung aussprechen«, an fast alle Mitglieder des Rundfunkrats der Deutschen Welle sowie über 4 000 Adressen der Belegschaft geschickt – so jedenfalls erklärt es eineR der Absender*innen gegenüber »nd«. Darin fordern sie die Bildung eines unabhängigen Komitees zur Untersuchung von Rassismus- und Islamophobie-Vorwürfen innerhalb der Medienorganisation sowie eine Überprüfung möglicher anti-arabischer und anti-palästinensischer Voreingenommenheit.
Die Gruppe hinterfragt auch den Mangel an Repräsentation von Menschen mit afrikanischem oder nahöstlichem Hintergrund im Rundfunkrat. »Der Ruf der Deutschen Welle steht auf dem Spiel, und nur durch Transparenz, Verantwortlichkeit und bedeutsame Reformen kann das Vertrauen innerhalb der Organisation und in der Öffentlichkeit wiederhergestellt werden«, heißt es in dem Brief.
Dieser für das »nd« aktualisierte Artikel erschien zuerst am 7. Januar 2025 im Magazin »The New Arab«, einem englisch- und arabischsprachigen Online- und Zeitungsmedium mit Sitz in London.
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