Migrantinnen in Berlin: Von wegen Gründerväter

Die berufliche Selbstständigkeit von Frauen mit Migrationshintergrund ist in Berlin keine Seltenheit

  • Hannah Blumberg
  • Lesedauer: 4 Min.
Bilder, die der Arbeitsmarkt selten zeigt: Frauen mit Migrationshintergrund, die selbst anpacken.
Bilder, die der Arbeitsmarkt selten zeigt: Frauen mit Migrationshintergrund, die selbst anpacken.

Wem der wirtschaftliche Erfolg in diesem Land zuzuschreiben ist, scheint klar zu sein: Firmengründungen assoziiert man gemeinhin mit der gleichen Personengruppe, die man von konservativen Wahlplakaten oder Parteitagen kennt. Frauen mit Migrationshintergrund und berufliche Selbstständigkeit hingegen passen der öffentlichen Wahrnehmung zufolge nicht zusammen. 2023 gab es in der Startup-Metropole Berlin 37 000 weibliche Selbstständige mit Migrationshintergrund. Das ergab eine Antwort des Berliner Senats auf eine Anfrage der Abgeordneten Bahar Haghanipour und Tuba Bozkurt (beide Grüne).

Dass es nicht mehr sind, habe seine Gründe, meint Haghanipour zu »nd«: »Migrantische Frauen stoßen auf dem klassischen Arbeitsmarkt häufiger auf Barrieren wie Sprachhürden, fehlende Anerkennung von Abschlüssen oder Diskriminierung«, sagt die Sprecherin für Frauenpolitik und Gleichstellung ihrer Fraktion. Ihre Kollegin Tuba Bozkurt, Sprecherin für Industrie sowie für Antidiskriminierung, sagt: »Frauen mit Migrationsgeschichte tragen die Last vieler verschleppter gesellschaftlicher Probleme.« Sie seien häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, in prekären Beschäftigungsverhältnissen angestellt, nähmen das Gesundheitswesen und soziale Angebote seltener in Anspruch – und seien bei Krisen trotzdem die ersten, die entlassen werden. Eigene migrantische Netzwerke würden oft als angebliche Parallelgesellschaften diskreditiert. Daher sei Selbstständigkeit mehr als ein Beruf, wie Haghanipour hervorhebt. »Gerade für Frauen mit Diskriminierungserfahrung ist die Selbstständigkeit ein Weg, ihre Fähigkeiten trotzdem einzubringen und gesellschaftlich und wirtschaftlich teilzuhaben.« Besonders Frauen mit Familie profitierten dabei von den flexibleren Arbeitszeiten.

Doch auch vor der Neugründung stehen Hürden: So ist der Zugang zu Finanzierung und Netzwerken erschwert. Dabei stecke gerade in Frauen mit Migrationsgeschichte viel unternehmerisches Potenzial. Lucía Muriel aus dem Vorstand des Vereins Initiative Selbständiger Immigrantinnen weist darauf hin, dass gerade Migrantinnen durch ihre Resilienz und Anpassungsfähigkeit ideale Voraussetzungen für unternehmerischen Erfolg mitbringen. »Wer das Wagnis Migration auf sich nimmt, kennt den Sprung ins Risiko«, sagt Tuba Bozkurt. Es gebe zudem einen spezifischen Bedarf an Produkten und Dienstleistungen migrantischer Frauen, für die noch Anbieter*innen fehlten. »Wie viele Ideen könnten migrantische Frauen einbringen, wenn Kapital und strukturelles Know-How weniger verschlossen blieben?«, fragt Bozkurt.

»Wer das Wagnis Migration auf sich nimmt, kennt den Sprung ins Risiko.«

Tuba Bozkurt (Grüne) Fraktionssprecherin für Industrie und Antidiskriminierung

Abhilfe schaffen dabei Projekte wie das »Competenzzentrum für Selbstständige« des ISI in Schöneberg. Cristina Cipolletta, Projektmanagerin des Zentrums, sagt: »Viele Frauen kommen zu uns mit großartigen Ideen, aber mit der Angst, dass sie nicht genug Wissen, nicht genug Netzwerke oder nicht genug Selbstvertrauen haben.« Es sei dann ihre Aufgabe, den Frauen zu zeigen, dass sie bereits alles mitbringen. »Sie müssen nur lernen, es gezielt einzusetzen«, sagt Cipolletta. In Kursen und individueller Beratung werden Frauen hier in allen Phasen der Unternehmungsgründung begleitet, von der Ideenentwicklung über Steuer bis hin zu Marketing. Ihre Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz seien dabei eine enorme Stärke.

Besonders ist dabei, dass alle Mitarbeiterinnen bis hin zu den Dozentinnen der 1990 gegründeten Initiative selbst nur Frauen mit Migrationsgeschichte sind. Shahla Payam aus dem Vorstand sagt, das spreche nicht nur für das Verständnis, das sie den Teilnehmerinnen gegenüber hätten. »Gleichzeitig dienen wir als Vorbilder und zeigen, dass erfolgreiche Integration und wirtschaftliche Unabhängigkeit möglich sind.« So sind unter den Gründerinnen, die in Kursen des ISI ihre Selbstständigkeit vorbereitet haben, die iranischen Schwestern Forough und Sahar Sodoudi, die ein nachhaltiges Gastronomiekonzept in Kreuzberg etabliert haben, und die international anerkannte Künstlerin Clare Celeste Börsch.

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Die Kurse sind meist auf Deutsch und kostenlos. Möglich machen das Mittel des Europäischen Sozialfonds und des Berliner Senats. Lucía Muriel sagt zu der Notwendigkeit einer langfristigen Förderung für Projekte wie ISI: »Sie leisten nicht nur wirtschaftliche Unterstützung, sondern sind auch ein wichtiger sozialer Anker für viele Frauen.« Haghanipour findet die Förderung durch den Senat wichtig, von der neben dem ISI noch weitere Projekte profitieren.

Die Grünen-Abgeordneten Bozkurt und Haghanipour haben den Senat auch nach der Unterstützung für diese Strukturen befragt. Die in der Antwort aufgefächerte finanzielle Unterstützung von zwei Projekten, dem »Competenzzentrum« und dem Frauenalia’s Hub, umfasst 2025 knapp 900 000 Euro, etwa 30 000 mehr als im Vorjahr. Trotzdem sagt Haghanipour: »Vor allem bei der langfristigen Unterstützung nach der Gründung und beim Zugang zu Finanzierung sehe ich noch Raum zur Verbesserung.« Um migrantische Gründerinnen nachhaltig zu unterstützen und sicherzustellen, dass die Unterstützungsangebote alle Frauen erreichen, die auf sie angewiesen sind, fehle eine bessere Verknüpfung der Angebote. »Deshalb laden wir als Fraktion migrantische Frauen-Initiativen beispielsweise bewusst in das Abgeordnetenhaus ein«, sagt Bozkurt. Das ersetze allerdings kein von Investitionsbanken gefördertes Coaching, kein Mentoringprogramm und kein Gründerinnenstipendium.

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