Tarifrunde Bund und Kommunen: Überlastet und unterfinanziert

Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst starten unter erschwerten Bedingungen

Bereits zum Beginn der Tarifauseinandersetzung am Freitag in Potsdam ruft Verdi zu Protestaktionen auf.
Bereits zum Beginn der Tarifauseinandersetzung am Freitag in Potsdam ruft Verdi zu Protestaktionen auf.

»Wir haben über Monate Strukturen aufgebaut. Jetzt geht es darum, Druck zu machen.« Mit diesen Worten versuchen die Verdi-Gewerkschaftssekretär*innen bei einem Treffen im Leipziger »Volkshaus« auf den letzten Metern vor der Tarifrunde für Bund und Kommunen die Stimmung noch einmal anzuheizen. Die beginnt diesen Freitag in Potsdam für die insgesamt rund 134 000 Tarifbeschäftigten des Bundes und 2,4 Millionen kommunalen Angestellten. Wie in Leipzig tauschen sich bundesweit in zahlreichen Städten und Gemeinden Beschäftigte aus, motivieren einander, auf Kolleg*innen zuzugehen und Unterschriften für die Forderungen zu sammeln.

Im fünften Stock der traditionsreichen, bereits 1906 eingeweihten Leipziger Gewerkschaftszentrale haben sich mehr als 40 organisierte Beschäftigte versammelt. Darunter sind Auszubildende, Erzieher*innen, Mitarbeiter*innen der Arbeits- und Jugendämter, der Stadtreinigung, des städtischen Gebäudemanagements sowie der Bundesämter für Naturschutz und Wirtschaft. Die Leipziger Verkehrsbetriebe sind traditionell gut vertreten.

Inflation und Personalmangel

Für sie geht es bei den Verhandlungen um viel. Die Überlastung ist groß, und die Inflation der vergangenen vier Jahre nagt weiter an den Einkommen. Die Verbraucherpreise sind laut Statistischem Bundesamt seit 2020 im Schnitt um 19,3 Prozent gestiegen, davon allein die Lebensmittelpreise um mehr als 32 Prozent. Etwas ausgleichen konnte die Teuerung zwar eine Entgelterhöhung von durchschnittlich 11,5 Prozent bei der letzten Tarifrunde im Jahr 2023. Doch mit dem Lohnplus von nur 3,2 Prozent im Jahr 2020 hielten die Entgelte mit der Inflation nicht Schritt. Und das heißt: Reallohnverlust.

Auch darum fordert Verdi eine Gehaltssteigerung von acht Prozent, mindestens aber 350 Euro im Monat. Davon würden prozentual vor allem Beschäftigte mit niedrigen Löhnen profitieren. Höhere Zuschläge für belastende Tätigkeiten und Überstunden sowie 200 Euro im Monat mehr für Auszubildende und Praktikant*innen stoßen ins selbe Horn. Hinzu kommt die Forderung nach drei weiteren Urlaubstagen sowie eine bessere Wahlmöglichkeit zwischen Arbeitszeit und Lohn. Und exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder soll es einen zusätzlichen freien Tag geben.

Die Forderungen sollen auch die Jobs im öffentlichen Dienst attraktiver machen. »Gegenüber der freien Wirtschaft ist man auf dem Arbeitsmarkt nicht wettbewerbsfähig«, erzählt ein Beschäftigter der Stadt Leipzig beim Treffen im »Volkshaus«. Viele in seiner Dienststelle seien aufgrund des Personalmangels überarbeitet, berichtet er.

Im öffentlichen Dienst fehlen derzeit etwa 570 000 Beschäftigte, wie der Fachverband Deutscher Beamtenbund und Tarifunion berechnet hat, der gemeinsam mit Verdi verhandelt – Tendenz steigend. Immer mehr Ältere gehen in Rente, Jüngere kommen aber nicht nach. »Will der öffentliche Dienst nicht ins Hintertreffen geraten, braucht es höhere Gehälter, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Arbeitszeit-Souveränität für die öffentlich Beschäftigten«, erklärt Verdi mit Blick auf die Mobilisierung an der Basis.

Politische Ungewissheit

Doch Euphorie will sich im gut gefüllten Leipziger Erich-Schilling-Saal, benannt nach dem Gewerkschaftsfunktionär und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, nicht so recht einstellen. Schlechte wirtschaftliche Aussichten und politische Ungewissheit infolge des Koalitionsbruchs der Ampel hinterlassen ihre Spuren. »Wird spannend ohne Regierung«, sagt eine Beschäftigte der Stadtreinigung. Ob sie damit rechnet, dass Innenministerin Nancy Faeser sich auf die Verdi-Forderungen einlässt? Die SPD-Politikerin verhandelt schließlich für den Bund. »Nach mir die Sintflut«, umreißt die Lohnabhängige die Einstellung der noch amtierenden Bundesregierung knapp.

Neben der Innenministerin sitzt für die Arbeitgeberseite auch Karin Welge am Verhandlungstisch. Sie vertritt die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Dem Verband zufolge belaufen sich die Gewerkschaftsforderungen auf zusätzliche Ausgaben in Höhe von knapp 14,9 Milliarden Euro. Welge weist das als unverantwortlich zurück. »Deutschland befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen hat sich weiter verfestigt«, warnt sie.

Kommunale Finanzlöcher

Und tatsächlich stehen die kommunalen Kassen enorm unter Druck. Dabei herrscht ein massiver Investitionsbedarf. In den nächsten zehn Jahren sind allein für den Erhalt und den Ausbau der kommunalen Infrastruktur und des ÖPNV zusätzlich 195 Milliarden Euro nötig. Das hat das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) gemeinsam mit dem arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) berechnet.

»Das ist ein selbst verschuldeter finanzpolitischer Teufelskreis, den nicht die Beschäftigten auflösen können und werden«, kritisiert Verdi. »Die Kommunen werden konsequent finanziell zu kurz gehalten, die Altlasten werden durch den Bund nicht getilgt, während die Aufgabenlast immer mehr wächst.«

Das macht sich auch beim Leipziger Treffen bemerkbar. »Dass die kommunalen Haushalte komplett überlastet sind, ist den Kolleg*innen sehr bewusst«, betont Gewerkschaftssekretärin Lena Kirschenmann, die die Versammlung moderiert. Die Beschäftigten in den Dienststellen zu motivieren, ist nicht einfach. »Wo soll das Geld herkommen, höre ich immer wieder«, berichtet ein Hausmeister, der für das städtische Gebäudemanagement arbeitet.

Es sind Fragen, die sich nicht nur per Tarifvertrag lösen lassen, sondern politische Antworten erfordern. Um hier den Druck aufzubauen, hat Verdi inzwischen mehr als 220 000 Unterschriften gesammelt, die im Laufe der Verhandlungen zuständigen Politiker*innen übergeben werden sollen. In Leipzig einigte man sich nach einer kurzen Diskussion unter Beifall auf ein ambitioniertes Ziel: Bis Mitte Februar will man die Zahl der Unterschriften von rund 1200 auf 3000 mehr als verdoppeln. Zumindest kurzzeitig kommt ein Funken Begeisterung auf. Ob das reicht, ist ungewiss.

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