• Kultur
  • Holocaust-Gedenktag im TV

Lichter im Dunkeln

Zum 80. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung gibt es ein reichhaltiges Gedenkprogramm im TV. Eine Übersicht des Erinnerns am Bildschirm

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenigstens im Kinderfernsehen ist Erinnerungskultur angesagt. Die Sendung mit der Maus am Montag zum Thema Stolpersteine.
Wenigstens im Kinderfernsehen ist Erinnerungskultur angesagt. Die Sendung mit der Maus am Montag zum Thema Stolpersteine.

In Momenten tiefster Dunkelheit sucht der Mensch bekanntlich nach Halt, Orientierung, nach Licht. Und ausgerechnet, als die Nacht am dunkelsten war, gab es davon besonders wenig. Bis die Rote Armee am 27. Januar 1945 das Tor des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau aufstieß und die Finsternis erhellte. Am kommenden Montag ist es genau 80 Jahre her, seit das nationalsozialistische Terrorregime zwar noch kein Ende fand, aber das Fenster ins Grauen seiner Verbrechen geöffnet wurde. Eine Menschenverachtung von so epochalem Ausmaß, dass die Erinnerung daran auch und gerade dem Fernsehen ungemein schwerfällt. Einigen Sendern etwas zu schwer.

Denn wer das TV-Programm vom Montag durchstöbert, findet dort vielerorts nichts, was dem Gedenktag auch nur ansatzweise gerecht würde. Mehr noch: Sat1 und RTL, Kabel1 und RTLzwei, aber auch ein paar Dritte wie WDR, SWR, HR, RBB, ja selbst 3Sat, machen 80 Jahre nach dem denkbar größten Ausnahmezustand zumindest linear Business as usual. Was darin gipfelt, dass Vox, wo schon mal »Schindlers Liste« ohne Werbeunterbrechung zur Primetime läuft, »Goodbye Deutschland« mit dem rassistischen Richter Ronald Schill zeigt und Pro7 von morgens bis abends Comedy.

Sat1 und RTL, Kabel1 und RTLzwei, aber auch ein paar Dritte wie WDR, SWR, HR, RBB, ja selbst 3Sat, machen 80 Jahre nach dem denkbar größten Ausnahmezustand zumindest linear Business as usual.

-

Falls Humor tatsächlich ist, wenn man trotzdem lacht, hätten empathische Programmplaner vielleicht die KZ-Komödie »Das Leben ist schön«, Charlie Chaplins »Der große Diktator« oder zumindest politisches Kabarett gezeigt, aber gut – es gibt ja Alternativen. Die ARD zum Beispiel startet den Tag um 15.55 Uhr mit der Übertragung des offiziellen Festaktes im Vernichtungslager und beendet ihn mit »Verfolgt – Die sieben Leben des Dany Dattel«, der erst Auschwitz überlebt hatte und später an einem Bankencrash beteiligt war.

Das ZDF überträgt am Mittwoch die Gedenkstunde aus dem Bundestag und zeigt zwei Tage zuvor zwei erstaunliche Fiktionen zum Thema: um 22.15 Uhr die Erstausstrahlung »One Life« mit Anthony Hopkins als Judenretter im besetzten Prag, gefolgt vom deutschen Gegenwartsdrama »Am Ende kommen Touristen« um Hilfskräfte der polnischen Gedenkstätte. Öffentlich-rechtliche Staatsauftragserfüllung eben, die in der Mediathek ihre Fortsetzung findet. Dort verhilft das Zweite Widerstandskämpfern (»Nicht wie Lämmer zur Schlachtbank«), Befreiern (»Roadtrip 1945«) oder Antisemiten (»80 Jahre nach Auschwitz«) zu Aufmerksamkeit.

Während sogar die »Sendung mit der Maus« beim Kinderkanal (Thema Stolpersteine) mehr Erinnerungsvermögen beweist als alle kommerziellen Sender zusammen, läuft der vielleicht wichtigste Beitrag (natürlich) bei Arte. Abseits vom Themenschwerpunkt, den der Kulturkanal bereits seit sechs Tagen online streamt, stellt das abgefilmte Theaterstück »Die Ermittlung« am Montag (21.45 Uhr) den ersten Auschwitz-Prozess von 1962 nach. Damit sorgt er vier Stunden lang mit einer Vielzahl prominenter Darstellerinnen und Darsteller um Rainer Bock als Richter für ein ebenso bedrückendes wie furioses Mahnmal der Schande deutscher Nachkriegsverdrängung.

Interessant dabei ist, dass dieses Meisterwerk im Stil von Eric Friedlers Geschichtsexperiment »Aghet«, in dem vom Völkermord der Türkei an ihrer armenischen Minderheit erzählt wird, auch bei Wow zu sehen ist. Abgesehen vom History Channel, der Dokumentationen wie das bewegende Dachau-Porträt »Heute ist das Gestern von morgen« aus Überzeugung zeigt, betreibt ansonsten kein Streamingdienst sichtbares Erinnern. Der des Bezahlsenders Sky dagegen hat ein ganzes Paket geschnürt. Darunter die Erstausstrahlung »Der Schatten des Kommandanten«, in dem Hans Jürgen Höß versucht, sich seinem Vater Rudolf anzunähern.

Als halbfiktionale Version steht der Auschwitz-Leiter (Christian Friedl) neben Gattin Hedwig (Sandra Hüller) auch im Mittelpunkt der oscarprämierten Alltagsstudie »Zone of Interest« (ebenfalls im Abo verfügbar) und spielt beim Sky-Original »The Tattooist of Auschwitz« oder Spielbergs »Schindlers Liste« zumindest Nebenrollen. Im Rahmen eines erweiterten NDR-Kultur-Journals nennt ihn das Kinodrama »Aus einem deutschen Leben« um 22.45 Uhr dann Franz Lang. Der Weg des Weltkriegsveteranen zum Massenmörder mit Götz George war 1977 allerdings fast körperlich spürbar. Zeitgleich weicht der BR leicht ab vom üblichen Erinnerungspfad und zeigt die Doku »Kunst im Todeslager«, während der MDR 35 Minuten zuvor das tragikomische Ghetto-Märchen »Jakob der Lügner« (1975) ausstrahlt.

Und zum Abschluss noch ein Abschied: Die ZDFinfo-Reihe »Auschwitz. Überleben in der Hölle« sammelt Geschichten von Opfern und Tätern, deren Wege sich im Vernichtungslager kreuzen. Darunter Häftlinge, ein heimliches Liebespaar, Josef Mengele – und womöglich zum letzten Mal am Bildschirm: die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch. Auch mit fast 100 Jahren noch ein strahlendes Licht im Dunkel der Menschheit.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.