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Grüner Wahlkampf: Aus Robert Habeck wird Helmut Kohl
Wer wissen will, wie Grün-Wähler ticken, sollte sich die Kampagnen dieser Partei näher anschauen
Ich bin Werber. Ich gehöre also zu jenem fragwürdigen Personenkreis, der versucht, Menschen von Produkten zu überzeugen. Ob es sich dabei um Solarpaneele oder Sonnencreme, um Pickelsalbe oder Parteien handelt, ist zweitrangig. Am Anfang steht immer die gleiche Frage: Wer ist die Zielgruppe und wie erreiche ich sie?
Im Fall der Grünen ist die Antwort darauf gar nicht so einfach. Früher, in den 80ern, war die Partei die politische Entsprechung der Zeugen Jehovas. Mit düsteren Untergangsszenarien setzte sie in der alten Bundesrepublik den Kontrapunkt zur allgemeinen Wohlstandszufriedenheit. Während die großen Parteien mit Slogans wie »Weiter so!« (CDU) und »Versöhnen statt spalten« (SPD) ihre Wähler beschwichtigten, beschworen die Grünen das Weltende. Umweltverseuchung, Kernkraft und Atomwaffen drohten die Erde zu vernichten. Die Frage war nur: Wer würde zuerst sterben, die Menschheit oder der Wald?
Die Grünen waren Profis im Angstschüren. »Tag für Tag stirbt ein Stück Natur! Die Industrie macht Kasse!« Mit solchen Slogans fuhr man gut. Bis zum Bundestagswahlkampf 1990, als die Rechnung »Dystopie + Furcht = grüner Wahlerfolg« nicht länger aufging. In der Wiedervereinigungseuphorie wollten selbst viele Stammwähler nicht hören, wie schlecht es ums Wetter bestellt war – die richtige Botschaft zur falschen Zeit. So scheiterten die Grünen im ehemaligen Westdeutschland an der Fünf-Prozent-Hürde, ein traumatisches Erlebnis.
Danach vermied man es, Panik zu erzeugen. Es bestand – zumindest aus Marketingsicht – auch nicht länger die Notwendigkeit, die Wähler zu verängstigen. Schon gar nicht in grünen Hochburgen wie Baden-Württemberg. Wer mit dem Häuslebau beschäftigt war, rechnete auf absehbare Zeit nicht mit dem Weltuntergang. Angst wurde nun allenfalls ironisch eingesetzt. Ein grünes Wahlplakat im Jahr 2002 zeigte Stoiber, Westerwelle und Möllemann. Der dazugehörige Slogan lautete: »Damit der Albtraum nicht Wirklichkeit wird«. Da schmunzelte man und wählte lieber »Joschka«, denn der war schließlich »Außen Minister, innen grün«.
Generell waren grüne Wahlplakate ein wenig frecher und flippiger als die der politischen Konkurrenz. Aber eben nur ein wenig. Man wollte die neuen Besserverdienenden, die ihren Frieden mit Deutschland und dem Kapitalismus geschlossen hatten (während ihr »Joschka« den Krieg in Ex-Jugoslawien und Afghanistan vorantrieb), nicht unnötig provozieren.
Das Bundestagswahlprogramm 2017 trug – frei nach Nena – den Titel »Zukunft wird aus Mut gemacht«. Dass der Song, der für dieses Motto Pate stand, »Irgendwie, irgendwo, irgendwann« hieß, passte ins Bild. Man pflegte weiterhin den Habitus des Revoluzzers, der die Welt verändern wollte, aber dabei keine Eile hatte. Erst mal musste der Kredit für das Loft im Schanzenviertel, Prenzlauer Berg oder einem der zahlreichen anderen gentrifizierten Stadtteile Deutschlands abbezahlt werden. Zum Glück gehörte man zur Erbengeneration.
Man musste sich den gutsituierten Grün-Wähler als glücklichen Menschen vorstellen. Bewies er nicht, indem er die Widersprüche des postmodernen woken Kapitalismus aushielt, dass ein richtiges Leben im falschen möglich war?
Doch dann, pünktlich zum neuen Jahrzehnt, drehte die liebgewonnene Welt durch. Mit Corona, dem Zusammenbruch der Lieferketten, dem russischen Krieg gegen die Ukraine und der Energieverknappung kam auch die Inflation. Warum war die Anschlussfinanzierung des Immobilienkaufs plötzlich mit gepfefferten Zinsen verbunden? Warum waren Restaurantbesuche so teuer geworden? Und warum reichte das Geld nicht mehr für den Dritturlaub?
Es waren aber nicht nur monetäre, nun ja, Engpässe, die den Grün-Wähler belasteten. Entsetzt musste er feststellen, dass seine Partei, die doch nur das Beste wollte, angefeindet wurde. Er verstand die Welt nicht mehr. Jetzt rächte es sich, dass er die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Wählerverhalten nie verstanden hatte. Dabei hätte er sich nur erinnern müssen an Bill Clintons Slogan »It’s the economy, stupid!« (»Auf die Wirtschaft kommt es an, Dösbattel!«), mit dem dieser im Rezessions-Amerika 1992 die Wahl gegen George Bush gewann.
Es hatte sich aber noch etwas verändert. Mit der AfD betrat 2013 eine neue Partei die politische Bühne. Von Anfang an bediente sie sich einer Taktik, die bereits den Grünen in den 80ern zum Aufstieg verholfen hatte: Feindbilder pflegen, Angst schüren, Panik erzeugen. Und siehe da, es funktionierte auch diesmal. Mit dem Unterschied: Die AfD sieht nicht den deutschen Wald in Gefahr, sondern das deutsche Wesen.
Und plötzlich finden sich die Grünen in jener Rolle wieder, die CDU und SPD in der alten Bundesrepublik innehatten. Sie sind die Lordsiegelbewahrer, die an den braven, zufriedenen Bürger appellieren. Das zeigt ihr aktueller Bundestagswahlkampf, bei dem man nur die Köpfe auszutauschen braucht, um sich – schwuppdiwupp – in den seligen 80ern wiederzufinden. Man stelle sich nur bei dem Wort »Zuversicht« statt Robert Habeck Helmut Kohl vor – passt! »Zusammen« hingegen – der Begriff, mit dem Annalena Baerbock und grüne Direktkandidaten für sich werben – wäre maßgeschneidert für »Bruder Johannes«, also den pastoralen Johannes Rau, der 1987 sein Glück als SPD-Kanzlerkandidat mit »Versöhnen statt spalten« versuchte.
Also alles wie früher? Nicht ganz. Wort und Bild scheinen bei den grünen Plakatmotiven einander zu widersprechen. Während bei Helmut Kohl sogar die Wampe Zuversicht ausstrahlte (wer derart Freude am Essen hatte, musste ein Optimist sein), drückt sich in Robert Habecks Mimik Skepsis aus. Man sieht ihm an, dass die massive Kritik der letzten Jahre Spuren hinterlassen hat. Auch bei Annalena Baerbock wirkt die gewählte Vokabel deplatziert. Die Außenministerin hat die Ausstrahlung einer Einzelkämpferin. Diese Frau will nichts »zusammen« erreichen; sie hat bewiesen, dass sie es alleine schafft.
Doch dürften die Grün-Wähler großzügig über solche kognitiven Dissonanzen hinwegsehen. Es genügt, dass »ein Mensch« wie Robert Habeck »ein Wort« wie »Zuversicht« findet. Nach der Wahl ist meistens alles anders. »Und der Mensch heißt Mensch, weil er vergisst, weil er verdrängt« (Herbert Grönemeyer).
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