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Kongo: In Goma explodieren die Preise
Die Übernahme der Stadt im Osten Kongos durch die Rebellenbewegung M23 bringt die Bevölkerung in Not
In der kongolesischen Millionenstadt Goma knallen die Schüsse. Die Miliz mit dem Namen »Bewegung des 23. März«, auf Französisch M23 abgekürzt, hat die Hauptstadt der Provinz Nord Kivu in der Nacht zu Montag eingenommen. Sie hat den Flughafen geschlossen und den staatlichen Radiosender besetzt. Er spielt jetzt Musik.
Versprengte Soldaten und Milizionäre, die mit der Armee gekämpft haben, plündern in einzelnen Vierteln. Manche haben sich der Blauhelmtruppe der Vereinten Nationen ergeben, andere sind mit dem Boot über den Kivusee in die Stadt Bukavu in der Provinz Süd-Kivu geflüchtet. Auch die meisten weißen Söldner aus Rumänien und Bulgarien sind in letzter Sekunde aus Goma geflüchtet. Einige haben ihre Waffen bei der UN-Mission abgegeben und warten auf ihre Ausreise. Die Söldner hatten aufseiten der kongolesischen Armee gekämpft. Die M23 kontrolliert Häuser und Hotels, ob sich dort Armeeangehörige versteckt halten.
Reich an Bodenschätzen
Die M23 hat den Krieg in Nord-Kivu vor bald vier Jahren angezettelt. Die Region ist reich an fruchtbaren Feldern und Bodenschätzen. Das Nachbarland Ruanda unterstützt die M23 mit Waffen und Soldaten. Das hat die Chefin der Blauhelm-Mission im Kongo, Bintou Keita, am Sonntag in einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates bestätigt. Am Montag sind ruandische Soldaten von der Grenzstadt Gisenyi nach Goma marschiert, um der M23 zu helfen, die Milizionäre zu bezwingen, die noch Widerstand leisten.
»Ich habe Angst, vor einem Massaker. Dort, wo die M23 schon ist, haben sie junge Männer umgebracht«, erzählt Paul Buyana einen Tag bevor die Miliz in Goma einmarschiert. So weit der 27 Jahre alte Kongolese zurückdenken kann, kennt er nur Krise, ganz besonders mit dem Nachbarland Ruanda. Der Konflikt geht in die Kolonialzeit zurück. Damals teilten die belgischen Herrscher die Bevölkerung in Ethnien ein und hetzten sie gegeneinander auf. Die Gewalt gipfelte 1994 im Genozid in Ruanda. Innerhalb von drei Monaten töteten Angehörige der Hutu-Ethnie fast eine Million Tutsi.
Heute behauptet die M23, sie müsse die Tutsi beschützen. Nach dem Genozid sind Mörder in den Ostkongo geflüchtet. Sie haben die Miliz Forces Démocratiques de Libération du Rwanda (FDLR) gegründet. Die FDLR drangsaliert wie 100 andere Milizen die Bevölkerung in der Region. Der ruandische Präsident Paul Kagame wirft der FDLR vor, sie wolle sein Tutsi-Regime stürzen. Der Kongo bezichtigt Ruanda dagegen, das Nachbarland wolle sich die Bodenschätze des Kongo unter den Nagel reißen.
Mut ist eine Überlebensstrategie
In jedem Fall schadet der Krieg der Wirtschaft des Landes. Das spürt auch Buyana. Er ist Tagelöhner. Aber es ist schon eine Woche her, seit er den letzten Job gefunden hat. Buyana hat für einen Ladenbesitzer Kisten gezählt und die Zahlen in eine Liste eingetragen. An jenem Abend ist er satt geworden. »Jetzt ist alles kompliziert«, klagt er. Wenn geschossen wird, kann er keinen Job suchen. Und die Geschäftsleute schließen dann sowieso ihre Läden. Aber so bald wie möglich wird Buyana rausgehen. Das muss sein. Er muss ja essen. Mut ist im Ostkongo eine Überlebensstrategie.
Noch vergangene Woche standen Verkehrspolizisten zu zehnt an den großen Kreuzungen in Goma, hielten Autofahrer an und die Chauffeure der Motorradtaxen. Sie erpressen Geld von den Verkehrsteilnehmern. Das ist ihr täglich Brot, weil der mickrige Lohn nicht reicht. »Wir sind im Krieg und die haben nichts Besseres zu tun«, schimpft die Menschenrechtsaktivistin Passy Mubalama. Als ob es der Bevölkerung nicht schon schlecht genug gehe. Goma sitzt im Dunkeln. Bomben haben die Hauptstromleitungen getroffen. Nur wer einen Generator hat und sich den teuren Diesel leisten kann, hat noch Licht und kann sein Handy und seinen Laptop laden. Solarlampen kosten jetzt 20 statt 5 Euro.
Auch die Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschnellt. Seit vergangener Woche ist Goma von den landwirtschaftlichen Anbaugebieten endgültig abgeschnitten. Das traditionelle Blattgemüse Sombe kostet pro Bund jetzt umgerechnet 2,50 Euro statt 35 Cents. Bei diesen Preisen könnten sich die Menschen nicht leisten, einen Vorrat anzulegen, sagt Mubalama. Man weiß nie, wie lange die Schießereien andauern. Niemand kann dann zum Markt gehen, um einzukaufen.
Zola Lutundula wohnt neben einem Militärcamp in Goma. Seine Kinder spielen mit den Kindern der Soldaten, die Ehefrauen sind befreundet. Jetzt haben die Militärs Angst, dass die M23 das Lager durchkämmt. Deshalb bringen sie ihr Hab und Gut zu Lutundula. »Mein Wohnzimmer ist ein Lager für Sessel, Kochtöpfe und Tische, ich weiß nicht mehr, wo ich sitzen soll«, sagt der Gymnasiallehrer. Dabei ist seine Hütte ohnehin schon überfüllt. Er hat Verwandte aufgenommen. Sie mussten vor dem Krieg flüchten. Statt neun Personen wohnen jetzt 14 in seinem Haushalt. Lutundula muss sie alle ernähren, und das bei den teuren Preisen für Lebensmittel. Statt dreimal am Tag isst die Familie nur noch einmal, wenn überhaupt. So geht es vielen Familien in Goma.
Das Leid der Bevölkerung ist das eine, der Stolz das andere. Für den Lehrer Lutundula ist das Schlimmste »diese Demütigung, dass es unsere Armee nicht geschafft hat, die Stadt zu verteidigen. Das ist schlecht für uns alle, für das ganze Volk.«
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