Chinas KI-Mastermind

Die Software Deepseek zwischen Zensurvorgaben und Ressourceneffizienz

  • Fabian Kretschmer
  • Lesedauer: 4 Min.
KI-Entwickler Liang Wenfeng
KI-Entwickler Liang Wenfeng

Als Liang Wenfeng Ende der Nullerjahre an der renommierten Zhejiang-Universität auf seinen Abschluss hinarbeitete, war er bereits der festen Überzeugung, dass Künstliche Intelligenz (KI) die Welt von Grund auf verändern würde. Damals wurde er von vielen Kommilitonen als bloßer Träumer abgetan, wie so oft in seinem Leben. Doch über 15 Jahre später hat der IT-Experte auf atemberaubende Weise bewiesen, dass er Recht behalten sollte.

Am Montag sorgte seine KI-Software Deepseek für einen Schock im Silicon Valley in den USA: Ein chinesischer Entwickler kann es ganz offenbar mit den kalifornischen Platzhirschen aufnehmen und braucht dafür nur ein Fünfzigstel von deren Ressourcen. Der Schock saß derart tief, dass Deepseek die US-Aktienkurse in die Tiefe riss.

Hinter Chinas KI-Erfolg steckt ein klassischer Computer-Nerd, der 1985 in der südlichen Provinz Guangdong geboren ist. Liang Wenfeng zog für sein Informatik- und Ingenieurstudium schließlich nach Hangzhou, und das war kein Zufall. Die Ostküstenmetropole gilt als Mekka für Chinas große Internetfirmen, allen voran als Hauptsitz von Jack Mas Alibaba-Gruppe.

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Doch anders als seine Kommilitoninnen und Kommilitonen heuerte Liang nicht bei den großen Marktführern an, sondern mietete sich in einer günstigen Wohnung ein, um in langen Nächten an seinem Computer mit Start-up-Ideen zu experimentieren. Nach mehreren gescheiterten Versuchen landete er schließlich in der Finanzbranche – und baute den Hedgefonds High-Flyer auf, bei dem einzig ein Algorithmus die Investitionsentscheidungen traf. Der Fonds wuchs schließlich rasant an und verwaltete zuletzt ein Vermögen von umgerechnet knapp 13 Milliarden Euro.

Liang war allerdings wenig an Reichtum und Geschäftsanwendungen interessiert, wie er 2023 in einem Interview verriet. Sein Antrieb fuße vor allem auf der Neugierde eines Forschers, der grundlegende Hypothesen überprüfen möchte: »Wir stellen zum Beispiel die Hypothese auf, dass die Essenz der menschlichen Intelligenz die Sprache sein könnte und dass das menschliche Denken im Wesentlichen ein linguistischer Prozess ist.«

Möglicherweise könnte Deepseek nun einen Teil der Antwort liefern. Erst vor zwei Jahren gründete Liang das Unternehmen, und dieses hat sich nicht trotz – sondern gerade wegen – der bestehenden Tech-Sanktionen der USA so innovativ entwickelt. Denn Not macht bekanntermaßen erfinderisch. Und so musste Deepseek eigene Wege beschreiten.

Chinas Parteiführung hat schon von früh die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz als Technologie der Zukunft begriffen. Das hat auch mit einer historischen Schmach zu tun: Laut der offiziellen Geschichtsschreibung gehört das Reich der Mitte an die Spitze der Weltordnung, die letzten 200 Jahre waren dementsprechend eine Phase der Anomalie. Dass China wirtschaftlich niederging, hatte vor allem damit zu tun, dass das Kaiserreich – den Blick in sich gekehrt – die technologischen Fortschritte während der Industrialisierung verschlief. Dieser Kardinalfehler dürfe sich nun nicht wiederholen.

Dementsprechend werden in den Fünfjahresplänen der Kommunistischen Partei bestimmte Zukunftstechnologien mit besonderem Elan forciert. Und dabei kann man aus dem Vollen schöpfen: Weder Datenschutzgesetze noch Regulierungshürden hemmen den Ein-Parteien-Staat bei der technologischen Entwicklung. Zudem kann er auf die Forschung der Universitäten und Unternehmen in ungleich stärkerem Maße zugreifen, als es anderswo möglich wäre.

Aus Sicht mancher westlicher Beobachter ist der Erfolg des chinesischen Start-ups besorgniserregend – nicht zuletzt, da Deepseek strikt die Zensurvorgaben befolgen muss. Während man die Software ausgiebig nach US-amerikanischen Kriegsverbrechen befragen kann, verweigert es bei chinakritischen Themen grundsätzlich die Aussage. Sollten sich solche KI-Modelle weltweit durchsetzen, könnte dies eine erhebliche Gefahr für den freien Informationsfluss darstellen.

Doch die Causa Deepseek hält auch einige inspirierende Lehren bereit: Es zeigt, dass das Entwickeln hochkomplexer KI auch effizienter und ressourcenschonender möglich ist, als es bislang die Silicon-Valley-Platzhirsche vorgegeben haben. Deepseek verschlingt nämlich nicht nur weniger Gelder, sondern hat dank seiner Energieeffizienz auch einen deutlich kleineren CO2-Fußabdruck: Denn Datenzentren werden bisher mit riesigen Mengen an Grundwasser gekühlt und unter gewaltigem Stromverbrauch betrieben.

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