- Politik
- Urteil in Mannheim
Gericht spricht Opfer von rassistisch empfundener Kontrolle frei
Ein Mann aus Nigeria hat Polizisten angezeigt, dazu in einem anderen Prozess Recht erhalten
In einem Prozess am Mannheimer Amtsgericht wurde der examinierte Krankenpfleger Eric Clifford O. am Montag von allen Vorwürfen, die zwei Polizeibeamte nach einer Kontrolle gegen ihn erhoben hatten, freigesprochen. Der aus Nigeria stammende 27-Jährige war im Oktober 2023 nach seiner Nachtschicht auf dem Heimweg in eine Polizeimaßnahme geraten. Diese empfand er als rassistisch motiviert. Nachdem er deshalb Anzeige erstattete, reagierten die Beamten mit einer Gegenanzeige. Die Mannheimer Staatsanwaltschaft stellte dieses Verfahren jedoch ein, während sie gegen O. Anklage erhob.
Der Richter stufte die Kontrolle in seiner Urteilsbegründung als rechtswidrig ein. Die behaupteten Widerstandstaten gegen Vollstreckungsbeamte, eine vorsätzliche Körperverletzung und ein tätlicher Angriff seien, sofern tatsächlich erfolgt, als legitime Notwehr zu werten. Denn der Einsatz des unmittelbaren Zwangs durch die Polizei war ungerechtfertigt, so der Richter, der für sein Urteil nicht einmal eine Prozesspause benötigte. Damit hoffe er, das erschütterte Vertrauen des Angeklagten in den Rechtsstaat wiederherstellen zu können.
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Die beiden kontrollierenden Beamten hatten behauptet, O. habe sich »hysterisch« verhalten und sei unkooperativ gewesen, nachdem sie ihn wegen des Verdachts auf Drogenbesitz angesprochen hätten. Er habe einen Fluchtversuch unternommen und dabei einen Beamten zu Boden gerissen. Diese angeblichen »Abwehrhandlungen« landeten dann vor Gericht.
Vdeoaufnahmen widerlegten die Darstellung der Beamten, wie die Mannheimer »Initiative 2. Mai« berichtet. Zu sehen ist darauf, wie einer der Polizisten unvermittelt auf den ruhig dastehenden O. losging, ihn in den Würgegriff nahm und gegen das Brückengeländer drückte. O. wurde anschließend von mehreren anderen Beamten überwältigt, als »Penner« beschimpft und trotz seiner Schmerzen in Handschellen abgeführt.
Eine als Zeugin auftretende junge Polizistin, die zu Ausbildungszwecken Verkehrs- und Drogenkontrollen vornahm, gab vor Gericht zu, ihre belastende Aussage erst sechs Wochen nach dem Vorfall und nach Kenntnis der Videoaufnahmen verfasst zu haben. Zudem hatte sie zuvor einen Vermerk ihres Ausbilders gelesen.
Die Staatsanwaltschaft räumte vor Gericht ein, dass eine Verfahrenseinstellung in ihrer Dienststelle zuvor »nicht gewünscht« war, berichtet die »Initiative 2. Mai«. Diese Haltung habe sich im Prozess geändert, am Montag beantragte die Staatsanwaltschaft deshalb Freispruch für den Angeklagten. Explizit sei einer gerichtlich angeregten Einstellung des Verfahrens nicht zugestimmt worden, antwortet die Behörde dazu dem »nd«, denn dann wäre O. »eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Schuld« attestiert worden.
O.’s Anwalt Senghaus zeigte sich über das Urteil erfreut und verwies auf den strukturellen Vertrauensvorschuss, den Polizist*innen im Justizsystem offenbar genießen. Die »Initiative 2. Mai« sieht in dem Fall ein typisches Muster, wenn sich Betroffene von Racial Profiling und Polizeigewalt wehren und dann Anzeigen wegen angeblichen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamt*innen kassieren.
In seinem Prozess wurde Eric Clifford O. von »Leuchtlinie«, einer Fach- und Beratungsstelle für Betroffene von rassistischer Gewalt im Bundesland Baden-Württemberg, unterstützt. Das Urteil habe O. mit großer Erleichterung und Genugtuung aufgenommen, sagt der Leuchtlinie-Mitarbeiter Julian Staiger dazu dem »nd«.
Allerdings sei der Fall auch ein Beispiel, was Polizeigewalt bei Menschen auslösen kann. O. habe seitdem große Angst vor der Polizei und Panikattacken, auch habe es ihn Kraft gekostet, das Verfahren durchzustehen. Dass seine ursprüngliche Anzeige eingestellt wurde, will er nicht hinnehmen und geht dagegen mit seinem Verteidiger vor. »Dieses Urteil fehlt, um sagen zu können, dass es in der Sache für ihn wirklich Gerechtigkeit gibt«, sagt Staiger.
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