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Letzter Balkanstaat schließt Frontex-Abkommen
Staatsvertrag mit Bosnien und Herzegowina soll vor Ratifizierung umgesetzt werden
Die Europäische Union und Bosnien und Herzegowina stehen vor der Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Zusammenarbeit bei der Grenzüberwachung und -kontrolle. Die Regierungen der Mitgliedstaaten haben dazu am Montag einem Statusabkommen zugestimmt, das der EU-Grenzagentur Frontex den Einsatz in dem Balkanstaat erlaubt. Ziel ist es, Migrationsströme besser zu steuern und die undokumentierte Migration einzudämmen.
Das Abkommen ist der letzte wichtige Baustein für die EU zur Abriegelung der sogenannten Balkanroute für Flüchtende und Migrant*innen und hat zahlenmäßig durchaus Relevanz: Laut dem Magazin »Balkan Insight« waren letztes Jahr nur rund 1800 Polizist*innen des Landes und damit deutlich zu wenig für Grenzsicherung im Einsatz. Frontex wird diesen Pool vermutlich mit mehreren Hundert Angehörigen seiner »Ständigen Reserve« sowie Personal aus den EU-Staaten aufstocken. Konkrete Zahlen gibt es dazu noch nicht.
Der Entwurf für den Staatsvertrag mit Bosnien und Herzegowina basiert auf ähnlichen Vereinbarungen, die die EU seit 2019 mit Albanien, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien geschlossen hat. Seitdem ist die irreguläre Migration über die Balkanroute drastisch gesunken, berichtet Frontex. Im letzten Jahr wurden dort rund 21 500 Einreisen festgestellt, ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr von 78 Prozent. Mit dem Kosovo will Frontex nicht zur Migrationsabwehr kooperieren, da das Land keine Außengrenze mit der EU hat. Ein Staatsvertrag ist auch nicht möglich, da der Kosovo nicht von allen Mitgliedstaaten der Union anerkannt wird.
Ein Frontex-Statusabkommen legt die Einsatzgebiete sowie Befugnisse der entsandten Frontex-Teams fest. Dazu gehört die Erlaubnis für das Mitbringen, die Lagerung und den Einsatz von Dienstwaffen, Munition und andere polizeiliche Zwangsmittel. Geregelt wird auch das Tragen einer Frontex-Uniform. Eine weitere Regelung verpflichtet Frontex dazu, die bosnische Grenzpolizei über persönliche Daten seines Personals zu informieren.
Im Falle Bosnien und Herzegowinas wurden Regelungen getroffen, um den besonderen Verwaltungsstrukturen des Landes und des Parlaments Rechnung zu tragen: Gemäß dem Dayton-Abkommen von 1995, das unter Vermittlung der USA, Russlands und der EU ausgehandelt wurde, soll mit der Machtteilung auf allen Ebenen des Staates ein Gleichgewicht zwischen den drei Hauptbevölkerungsgruppen (bosnisch, serbisch, kroatisch) etabliert werden. Für die Umsetzung des Frontex-Abkommens hat der Ministerrat von Bosnien und Herzegowina deshalb die Einrichtung einer übergreifenden staatlichen Grenzkommission beschlossen.
Die Frontex-Einsätze in Bosnien und Herzegowina bleiben auf einen zehn Kilometer breiten Grenzstreifen beschränkt. Die konkrete Zusammenarbeit erfolgt ausschließlich mit der bosnischen Grenzpolizei. Einsatzpläne müssen von dieser vorab genehmigt werden, um sicherzustellen, dass die EU-Aktivitäten mit den komplizierten nationalen Strukturen verzahnt werden. Die Grenzpolizei behält auch die Kontrolle über die operativen Abläufe. Allerdings können die zuständigen Behörden in Bosnien und Herzegowina den Frontex-Teammitgliedern auch Zugriff auf Datenbanken des Landes erlauben.
Frontex-Mitarbeiter*innen genießen gemäß dem Abkommen mit Bosnien und Herzegowina Immunität vor Verfolgung durch die dortige Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Diese gilt für Handlungen, die im Rahmen ihrer offiziellen Aufgaben ausgeführt werden. Das gilt auch für angemietete Räumlichkeiten, Fahrzeuge und sogar Dokumente, die von einheimischen Behörden nicht durchsucht, beschlagnahmt, eingezogen oder enteignet werden können.
Ausnahmen sind aber möglich: So sieht das Abkommen vor, dass bosnische Behörden bei ernsthaftem Verdacht auf Straftaten Zugang zu von Frontex genutzten Gebäuden oder anderem Eigentum erhalten können, wenn dies vom Exekutivdirektor nach einer Einzelfallprüfung persönlich genehmigt wurde. Außerdem wurde ein Mechanismus eingeführt, der es Bosnien und Herzegowina erlaubt, die Abberufung einzelner Frontex-Beamt*innen zu verlangen, falls diese gegen die Statusvereinbarung, die Einsatzpläne oder nationale Gesetze verstoßen. Dadurch will die EU vermeiden, dass ein Fehlverhalten Einzelner den gesamten Einsatz gefährdet.
Das Abkommen tritt eigentlich nach der Zustimmung des Europäischen Parlaments und der formellen Annahme durch den Rat in Kraft. Bereits vor der offiziellen Ratifizierung soll es aber vorläufig angewendet werden können. Dazu wird eine weitere Vereinbarung geschlossen.
»Die Präsenz von Frontex wird die bosnischen Grenzen weiter verhärten und militarisieren«, erklärt dazu die Aktivistin Hope Barker, die mehrere Jahre für das Border Violence Monitoring Network in Balkan-Staaten gearbeitet hat. Abkommen wie mit Bosnien und Herzegowina zwängen die Menschen auf gefährlichere Routen. »Das Ertrinken von 12 Menschen im Fluss Drina an der Grenze zu Serbien letzten Sommer war eine weitere Erinnerung an diese tödliche Migrationspolitik«, sagt Barker.
Ähnlich äußert sich der grüne EU-Abgeordnete Erik Marquardt. »Menschenrechte von Geflüchteten werden in Bosnien und Herzegowina regelmäßig missachtet. Es ist nicht nur politisch falsch, dieses Vorgehen durch Frontex zu unterstützen, sondern auch gegen die eigenen Regeln, denn Frontex darf sich nicht an menschenrechtswidrigen Einsätzen beteiligen«. Allerdings setzten sich Politik und die Grenzagentur systematisch darüber hinweg.
Nach Vorbild der Westbalkan-Abkommen soll Frontex auch in afrikanischen Ländern stationiert werden können. Als einzige Länder hatten sich vor zwei Jahren Mauretanien und Senegal zu Verhandlungen bereit erklärt, diese allerdings schnell wieder beendet. Nun drängt Spanien darauf, die Gespräche mit den beiden Regierungen wieder aufzunehmen. Die EU-Kommission hat zugesagt, dazu »flexible Modelle« für Statusvereinbarungen zu prüfen, die für afrikanische Staaten attraktiv sein könnten. Was darunter zu verstehen ist, lässt die Kommission offen. Absehbar ist aber, dass die Staaten, wie bereits anlässlich der Verhandlungen vor zwei Jahren, mit neuen Finanzhilfen geködert werden.
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