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Guatemala: Mehr Hitze, mehr Mücken, mehr Infektionen
Das Dengue-Fieber breitet sich in Guatemala aus
Ein Mann mit Schnauzbart und Schirmmütze geht durch enge Gassen vorbei an bellenden Hunden und den fensterlosen Mauern schmaler Häuser mit Metalltüren. Als er an eine Tür klopft, scheppert der rostige Rahmen. Ein Spalt öffnet sich, und das Gesicht einer etwa 30-jährigen Frau taucht auf. Der Mann stellt sich als Jorge Pinto vor, Hygienebeauftragter des örtlichen Gesundheitszentrums. Er fragt: »Sind Sie die Mutter des Mädchens, das kürzlich an Dengue erkrankt ist?« Die Frau nickt und bittet ihn herein.
Es ist heiß in Mixco, einer Stadt im guatemaltekischen Hochland. Die rund 700 000 Einwohner leben in unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt Guatemala-Stadt. In den vergangenen Jahren hat Mixco ein rasantes und oft unkontrolliertes Wachstum erlebt. Der 59-jährige Jorge Pinto soll verhindern, dass unhygienische Bedingungen in den Armenvierteln zu einem Ausbruch gefährlicher Infektionskrankheiten führen. Deshalb macht er Kontrollbesuche in abgelegenen Siedlungen, die als Infektionsherde und Brennpunkte der öffentlichen Gesundheit gelten.
Gerade eben noch hat die Hausfrau Gladys Tzol Maiskörner mit etwas Wasser und Kalk in einem Mörser gestampft. Jetzt bietet sie dem Hygienebeauftragten einen Stuhl in ihrer Küche an. Das Dach ist aus Wellblech, die Wände sind aus unverputzten Steinen. Ihre siebenjährige Tochter Aleyda sitzt an einem wackeligen Holztisch und malt ein Bild.
In dem etwa fünf Kilometer entfernten Gesundheitszentrum von Mixco wurden in jüngster Zeit mehrere hundert schwere Dengue-Erkrankungen gemeldet, auch der Fall von Aleyda. Jorge Pinto berichtet: »Nach der Diagnose sind Leute des Gesundheitsministeriums in dieser Siedlung von Haus zu Haus gegangen, um zu untersuchen, ob es noch weitere Dengue-Fälle gibt.« Die Mutter Gladys Tzol vermutet, dass sie die erste infizierte Person in der Gegend war. »Aber ich wusste nicht, dass ich Dengue hatte. Ich war schwach, konnte nicht laufen und lag zehn Tage lang im Bett. Ich dachte, ich hätte Covid.«
Das Dengue-Virus wird durch eine bestimmte Mückenart übertragen. Eine Erstinfektion äußert sich oft als fiebrige Erkrankung. In der Regel tritt nach etwa einer Woche eine Genesung ein, die zu einer Immunität gegen diesen einen Serotyp des Virus führt. Kommt es jedoch später zu einer Infektion mit einem der drei anderen bekannten Serotypen, steigt das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf erheblich. »Als meine Tochter krank wurde, verbrachte ich acht Tage mit ihr im Krankenhaus«, erzählt Tzol. »Sofort nach unserer Ankunft wurde sie untersucht. So erfuhr ich, dass sie hämorrhagisches Dengue hatte. Die Situation war kritisch, ein komplizierter Fall.«
Unter bestimmten Umständen kann Dengue zu heftigen Blutungen führen. Gladys Tzol weiß, dass sich daraus tödliche Komplikationen ergeben können: »Ich dachte, meine Tochter würde sterben. Es ging ihr sehr schlecht, und es dauerte lange, sie zu stabilisieren. Die Menge der Blutplättchen nahm immer weiter ab. Gott sei Dank hat sie die Krankheit überstanden.«
Dengue-Fieber steht auf einer Liste der Weltgesundheitsorganisation mit 21 sogenannten vernachlässigten Krankheiten, die vor allem in ärmeren Regionen verbreitet sind, wenig beachtet werden und deren Bekämpfung nur wenige Ressourcen erhält. »Um Krankheiten vorzubeugen, müssen wir die Bedingungen vor Ort kennen«, erklärt Jorge Pinto. »Wir sehen die Themen Gesundheit und Umweltschutz in einem Zusammenhang. In diesen zwei Straßenblocks sind neben dem Mädchen Aleyda noch acht weitere Dengue-Fälle aufgetreten. Davon haben wir den zuständigen Arzt des lokalen Gesundheitszentrums informiert.«
Der Oberarzt Otto Rene Paniagua erläutert, wie die zunehmende Hitze und das schnelle Wachstum der Städte in Guatemala dazu beigetragen haben, dass immer mehr Mücken immer mehr Menschen infizieren. »In letzter Zeit gab es viele Fälle von hämorrhagischem Dengue. Einige Betroffene sind gestorben. Andere waren lange arbeitsunfähig. Das ist ein großes Problem. Die meisten guatemaltekischen Familien sind auf ein tägliches Einkommen angewiesen, um über die Runden zu kommen.«
Bislang gibt es kein antivirales Medikament gegen Dengue. Die Behandlung konzentriert sich auf die Hauptsymptome Fieber und Gelenkschmerzen, die mit Schmerzmitteln gelindert werden. Dengue kann starke Blutungen auslösen, weshalb blutverdünnende Medikamente wie Aspirin vermieden werden sollten. Betroffene müssen viel Wasser trinken, manche bekommen Infusionen mit Salzlösung. Doch das effektivste Mittel zur Eindämmung des Virus ist die Vorbeugung. Ohne Brutstätten für Mücken könne sich die Krankheit nicht ausbreiten, betont Doktor Paniagua. »Deshalb schicken wir Don Jorge in die Wohngebiete, um dort Infektionsquellen zu identifizieren.«
Jorge Pinto weiß: Wenn Wasser bei hohen Temperaturen draußen steht, können sich bereits nach drei oder vier Tagen erste Mückenlarven entwickeln. »Dazu kann es auch in leeren Kokosnussschalen kommen. Das muss vermieden werden.«
Auf dem Dach des Hauses von Gladys Tzol steht ein großer Wassertank aus Plastik. Die Mutter klagt, dass nur jeden zweiten Tag Wasser aus der Leitung kommt, und dann nur für zwei Stunden. »Deshalb müssen wir Wasser speichern. Manchmal gibt es viele Tage lang nahezu überhaupt kein Wasser, weil der Druck nicht reicht, um den Tank hier oben auf dem Dach zu füllen.« Zufrieden stellt Jorge Pinto fest, dass der Wasserspeicher mit einer Blechplatte abgedeckt ist.
Entsprechend den Kriterien der Weltbank gilt ein Großteil der Menschen in Mixco als arm. Viele Familien verfügen nicht einmal über das Minimum von etwa zwei Euro, die eine Person pro Tag zum Überleben braucht. Auch im Gesundheitszentrum von Mixco sind die Engpässe aufgrund chronischer Unterfinanzierung offensichtlich. So ist es nahezu unmöglich, effektiv auf die sich anbahnende Dengue-Epidemie zu reagieren. Der leitende Arzt, Otto Rene Paniagua, macht sich Sorgen: »In diesem Jahr haben die Dengue-Fälle exponenziell zugenommen. Früher hatten wir vielleicht einen leichten Fall pro Woche, jetzt sind es täglich fünf oder sechs schwere Fälle. Ich spreche von Dengue, Chikungunya und Zika. Das sind die Infektionskrankheiten, die hier am häufigsten vorkommen.«
Der Mediziner sieht die Klimakrise als die Hauptursache für die Ausbreitung der durch Mücken übertragenen Infektionskrankheiten. »Es wird immer wärmer. In Guatemala ist es inzwischen sogar in Höhenlagen von 1800 Metern heiß. Frische, kühle Luft wie früher gibt es immer seltener.«
Im überfüllten Wartesaal der größten Gesundheitsstation von Mixco sitzen oder stehen Dutzende Wartende manchmal stundenlang. Die Krankenschwester Dulce Gitian ruft die Namen von zehn Personen auf, die als Nächstes drankommen sollen. Eine Mutter möchte das Gewicht, die Größe und den Kopfumfang ihres Säuglings messen lassen. Sie weiß, dass die Gesundheitsindikatoren der Neugeborenen in Guatemala die schlechtesten in ganz Mittelamerika sind. In der Umgebung von Mixco sind besonders die Kinder der indigenen Mayabevölkerung häufig unterernährt und haben Entwicklungsverzögerungen. Eine der Ursachen dafür ist die unzureichende Versorgung mit sauberem Trinkwasser. »In einigen Siedlungen kaufen die Menschen Wasser aus Lkw-Tanks«, berichtet die Krankenschwester. »Wenn es verschmutzt ist, schütten sie das wenige Wasser, das sie haben, nicht einfach weg. Leider achten viele Familien nicht ausreichend darauf, die Wasserbehälter zu säubern. So entstehen Brutstätten für Mücken.«
Während seines Kontrollgangs durch die Siedlung bemerkt Jorge Pinto auf dem Hof einer Schmiede zahlreiche Metallstücke, in denen sich Regenwasser gesammelt hat. Zwar sind die meisten Teile eher klein, können aber dennoch Mücken anziehen und zu Brutstätten werden.
Jorge Pinto weiß, dass einige der jungen Männer in den Armenvierteln Mixcos Angehörige krimineller Jugendbanden sind. Manche tragen Schusswaffen. Der Hygienebeauftragte geht auf einen jungen Schmied zu und beginnt das Gespräch zunächst mit einem unverfänglichen Thema:
»Spielst Du Fußball?«
Der junge Mann antwortet: »Basketball.«
»Aber Fan von Real Madrid bist Du trotzdem?«
»Na klar. 100 Prozent.«
In der freundlichen Atmosphäre traut Pinto sich, eine ernsthaftere Frage zu stellen: »Kennst Du hier Leute, die an Dengue erkrankt sind?«
»Im Moment nicht«, antwortet der junge Mann. »Aber es gab einige. Auch ich war krank. Fast hätte ich hämorrhagisches Dengue bekommen, aber nur fast. Jedenfalls wurde ich in der Notaufnahme des Hospitals Roosevelt aufgenommen. Da ging es mir bald besser, Gott sei Dank.«
»Warst Du lange im Krankenhaus?«
»Ich habe nur ein paar Medikamente bekommen, frisches Wasser, Acetaminophen und ich weiß nicht, was noch.«
»Was meinst Du? Kann man etwas tun, um der Krankheit vorzubeugen?«
»Es sollten keine alten Autoreifen rumliegen, in denen sich Regenwasser sammelt, auch keine Dosen mit schmutzigem Wasser. Ich mache mir Sorgen um meine Familie. Einige sind Diabetiker und haben ein schwaches Immunsystem. Wenn die von einer infizierten Mücke gestochen werden, ist die Wahrscheinlickeit hoch, dass sie sterben.«
Der junge Mann kennt die Gefahren der Krankheit: »Dieses Fieber lässt sich nicht so leicht heilen. Ich dachte, ich würde sterben. Hier in der Nachbarschaft sind viele Leute gestorben, mindestens 20 Tote.«
Jorge Pinto schlägt vor, dass die Mitarbeiter des Betriebs demnächst alle Metallteile vom Hof entfernen könnten, in denen sich Wasser gesammelt hat. Daraufhin macht sich der junge Mann sofort selbst ans Werk. In wenigen Minuten hat er viele Dosen und nasse Teile aufgesammelt und in eine Tonne unter einem Dach geworfen. Jorge Pinto freut sich: »Die Leute hier kümmern sich um Vorsichtsmaßnahmen. Sie wissen, was Dengue anrichten kann. Sie kennen die Symptome. Ich glaube, in dieser Gegend haben sie verstanden, was zu tun ist.«
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