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Berliner Schulen: Evaluation vor Revolution
Neues Landesinstitut soll Lehrerbildung und Schulevaluation verbinden
An großen Worten sparte man bei der Eröffnung des Berliner Landesinstituts für Qualifizierung und Qualitätsentwicklung an den Schulen (Bliq) nicht. Einen »Meilenstein der Bildungslandschaft« nannte Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) das neue Landesinstitut. Mit ihm vollziehe man einen »Paradigmenwechsel« in der Schulentwicklung. »Das ist einmalig in der Bundesrepublik«, so Günther-Wünsch. »Wir werden einen Funken Chuzpe brauchen, Mut – und vielleicht auch eine kleine Portion Wahnsinn«, sagte Gründungsdirektorin Katy Pîrjol.
Spricht man mit den Mitarbeitern des neuen Landesinstituts, wird aber schnell klar, dass das Projekt etwas bescheidener ist – und auch nicht sonderlich wahnsinnig. Auf den 18 000 Quadratmetern Bürofläche am Fürstenbrunner Weg in Westend soll künftig ein Großteil der Ausbildung von Berliner Referendaren stattfinden. Auch Fort- und Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte, die schon an den Schulen sind, sollen in dem Gebäude unterkommen. Auch die sogenannten Seiteneinsteiger, die kein Schulfach studiert haben, sollen hier für den Schuldienst vorbereitet werden. Quereinsteiger und Lehramtsstudierende sollen dagegen weiterhin an den Unis ausgebildet werden.
Die Zentralisierung, die das neue Institut bringen soll, ist also zunächst vor allem eine räumliche. Bislang fanden die rund 6000 Kurse und Seminare, die die Senatsbildungsverwaltung für Lehrkräfte anbietet, an dezentralen Standorten statt. Einen beträchtlichen Teil dieser Standorte wird es wohl auch weiterhin trotz der Eröffnung des Bliqs geben. Wie viele genau, weiß aktuell noch niemand. Gerade müssen die Institutsmitarbeiter erst mal in das neue Gebäude einziehen, vor März werden wohl keine Kurse dort stattfinden können.
Die größte organisatorische Neuerung, die mit dem neuen Landesinstitut einhergeht, wird erst im kommenden Jahr greifen: Dann sollen die sogenannten Fachseminare, die bislang die Ausbildung von Referendaren übernommen haben, aufgelöst werden und die Ausbildung auf »Module« am Bliq umgestellt werden. »Wir wollen eine noch intensivere Betreuung der Lehramtsanwärter schaffen«, sagte Bildungssenatorin Günther-Wünsch bei der Bliq-Eröffnung. Unter Lehrkräften ist die Umstellung allerdings umstritten. Die Fachseminare gelten eigentlich als bewährte, fachnahe Ausbildung für die angehenden Lehrer.
Aus- und Weiterbildung soll nicht die einzige Aufgabe des Bliq bleiben: Auch die Qualitätsentwicklung soll künftig bei dem neuen Landesinstitut angesiedelt werden. Bislang übernahm das ein gemeinsames Institut der zwei Bundesländer Brandenburg und Berlin, das zum Ende des vergangenen Jahres aufgelöst wurde. »Keine Maßnahme kann ohne Diagnose erfolgen«, sagte Bliq-Direktorin Katy Pîrjol. Bildungssenatorin Günther-Wünsch sprach von »evidenzbasierter Evaluation«.
»Keine Maßnahme kann ohne Diagnose erfolgen.«
Katy Pîrjol Direktorin Bliq
Konkret heißt das, dass das neue Landesinstitut die zentralen Vergleichsarbeiten auswerten und Rückschlüsse auf die Entwicklung individueller Schulen ziehen soll. Auch die zentralen Abituraufgaben sollen hier bald entwickelt werden. Nach dem Konzept sollen sich die beiden Aufgabenbereiche gegenseitig ergänzen: Die Befunde der datenbasierten Evaluation sollen also in die Ausbildung der Lehrkräfte einfließen.
Wie das am Ende aussehen kann, erläuterte Giorgina Kazungu-Haß. Die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete in Rheinland-Pfalz arbeitet heute als Schulleiterin in Lichtenberg. »Mit neuen Evaluationsmethoden können wir nachvollziehen, wie sich ein Schüler Jahr für Jahr entwickelt«, sagt sie. Wenn man die Schwächen eines Schülers erkenne, könne man ihn auch zielgerichteter fördern.
Eine dieser neuen Methoden, auf die Kazungu-Haß setzt und die Eingang in den Kanon des Bliq finden könnten, ist die qualitative Fehleranalyse. Dabei werden Fehler, die Schüler in Diktaten oder Aufsätzen machen, kategorisiert. Dabei kann heute sogar schon ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Programm helfen, berichtet Kazungu-Haß. Aus der Aufwertung wird dann schnell deutlich, ob ein Schüler etwa besondere Probleme mit konsonantischen Ableitungen oder Morphemgrenzen hat. Die Lehrkraft könne diese Probleme dann gezielt angehen. »Das hat viel mehr Aussagekraft als die Note, die am Ende der Arbeit steht«, sagt Kazungu-Haß.
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