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Kampf um die Algorithmen
Die EU-Regulierung großer Digitalkonzerne wird zum transatlantischen Streitpunkt
An diesem Freitag findet wieder ein Stresstest in der EU statt. Behörden wollen herausfinden, ob die großen Internetplattformen vor der Bundestagswahl genug unternommen haben, um die Verbreitung von Desinformation zu unterbinden. Eine ähnliche Prüfung vor der Europawahl im vergangenen Frühjahr war laut den Beteiligten »sehr erfolgreich« gewesen.
Hintergrund ist der vor knapp einem Jahr in Kraft getretene Digital Services Act (DSA) der EU, der Regeln zum Umgang mit Nutzerdaten und mit illegalen Inhalten enthält. Die Gefahren haben durch den Einsatz von KI weiter zugenommen. Sehr große Online-Plattformen und -Suchmaschinen verpflichtet der DSA zusätzlich dazu, mögliche Risiken etwa für den Schutz von Minderjährigen oder von Grundrechten zu analysieren, zu bewerten und gegebenenfalls zu reduzieren. Bei Verstößen drohen den Betreibern Strafen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.
War der Stresstest 2024 eher für Fachleute interessant, ist er diesmal wegen der veränderten Großwetterlage nach dem Machtwechsel in den USA politisch heikel. Einerseits sitzt jemand im Weißen Haus, der Befürworter von Deregulierung auch bei Social-Media-Plattformen ist. Andererseits gibt es ein Umdenken bei den Konzernen selbst. Nach der Twitter-Übernahme hat Elon Musk die Plattform X bekanntlich für alle Formen von Hetze geöffnet, was Trump im Wahlkampf nützte. Auch Konkurrent Mark Zuckerberg von Meta (Facebook, Instagram) kündigte kürzlich an, den Schutz von Minderheiten abzubauen und sich in den USA der Faktenchecker zu »entledigen«.
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In Europa wird dies mit Sorge bedeutet. Tenor: Mit Trump, Musk und Zuckerberg entsteht ein mächtiges Trio, das darauf aus ist, die digitalen Regeln der EU zu demontieren. »Sie kommen aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln und Positionen in diese Debatte, aber ihre Interessen haben sich angenähert«, meint etwa José Ignacio Torreblanca vom Thinktank European Council on Foreign Relations. Alle drei könnten von einer Zusammenarbeit profitieren.
Es ist die große Frage, ob sich Brüssel mit den zunehmend auch politisch mächtigen Milliardären anlegen wird und zudem einen großen transatlantischen Konflikt wagt. Immerhin verhängt Präsident Trump gerne Strafzölle, wenn dies US-Konzernen nutzt; die exportlastige EU ist hier sehr verwundbar. »Die Kommission nimmt die Durchsetzung des DSA sehr ernst, wir haben bereits entscheidende Schritte unternommen«, gibt sich Digitalkommissarin Henna Virkkunen entschlossen. Allerdings war es ein Fingerzeig in die andere Richtung, als ihr Vorgänger Thierry Breton bei der Bildung der zweiten Kommission Ursula von der Leyen nicht mehr erwünscht war. Der Franzose gilt nicht nur als Vater des DSA, sondern auch als Verfechter eines harten Durchgreifens. Immer wieder sagte er, bestimmte Plattformen würden abgeschaltet, wenn sie sich nicht an die EU-Regeln halten. Ihm ging es auch darum, mit solchen Mitteln europäische Konzerne gegenüber der übermächtigen US-Konkurrenz zu stärken.
Aktuell laufen nach Brüsseler Angaben zehn Untersuchungen wegen möglicher DSA-Verstöße, darunter drei gegen Tiktok und vier gegen die Meta-Plattformen Facebook und Instagram. Strafen wurden bisher nicht verhängt. Besonders spannend dürfte das Verfahren gegen X werden; der Kurznachrichtendienst von Trump-Berater Musk muss bis Februar interne Unterlagen über Algorithmen an die EU-Kommission liefern. Diese will nachvollziehen, ob es hier politisch motivierte Änderungen gab und wie die Moderation der Inhalte funktioniert. Musks aktive Wahlkampfunterstützung für die gesichert rechtsextreme AfD überlagert das Verfahren.
»Die Kommission nimmt die Durchsetzung des DSA sehr ernst, wir haben bereits entscheidende Schritte unternommen.«
Henna Virkkunen EU-Digitalkommissarin
Auch in Deutschland will man bisher nicht kleinbei geben: So lud die Bundesnetzagentur vor wenigen Tagen Online-Plattformen und -Suchmaschinen zu einem Runden Tisch nach Berlin ein. Thema waren die bevorstehende Bundestagswahl und Regularien, die die Internetkonzerne umsetzen müssen. Laut der Behörde waren alle Größen der Branche vertreten: Google (Youtube), LinkedIn, Microsoft, Meta, Snapchat, Tiktok und X. »Wir nehmen die sehr großen Online-Plattformen beim Wort, dass sie die Vorgaben des Digital Services Act engagiert umsetzen wollen und werden«, erklärte hinterher Netzagenturchef Klaus Müller. Und schob eine kleine Warnung hinterher: Man werde dies genau beobachten und »etwaige Verstöße gegen den DSA an die zuständige EU-Kommission weiterleiten, etwa wenn illegale Inhalte nicht gelöscht oder Accounts zu Unrecht gesperrt werden«.
Ein solches Fachmeeting hat plötzlich den Charakter eines internationalen Politikums bekommen. Aber auch eines nationalen: Ultrarechten Gruppen sind jegliche Maßnahmen gegen Desinformation ein Dorn im Auge. So bezeichnet die FPÖ-Europaabgeordnete Petra Steger das EU-Gesetz als ein »ideologisch motiviertes Zensur- und Unterdrückungsinstrument«. Die gestärkte Rechte drängt auf eine Abschwächung der Regeln. Dabei spielen ihr die Regierungskrisen in Berlin und Paris genauso in die Karten wie die schwierigen Mehrheitsverhältnisse in Parlament und Rat. Im Europaparlament wehren sich die Parteien der Mitte und links davon bisher gegen jegliche Aufweichung. Und es gibt sogar Rufe, zumindest die Plattform X »vorerst abzuschalten«. Einen entsprechenden Aufruf der deutschen Kampagnenorganisation Campact haben gut eine halbe Million Menschen unterzeichnet.
Für eine harte Linie plädiert auch Jan Philipp Albrecht: »Europas Souveränität steht hier auf dem Spiel«, meint der Vorstand der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung etws pathetisch. »Unbeirrbarkeit ist hier dringend angeraten – selbst wenn es um die mächtigsten und wertvollsten Unternehmen der Welt geht und Trump mit schwersten Drohungen gegenüber der europäischen Politik hantiert.«
Der DSA-Stresstest könnte einen ersten Hinweis darauf liefern, was die ganze Regulierung der Digitalkonzerne noch wert ist. Er findet hinter verschlossenen Türen statt, und öffentlich verkündete zunächst nur Tiktok seine Bereitschaft zur Teilnahme. Solche vertrauensbildenden Maßnahmen der Chinesen wird es aber womöglich nicht mehr lange geben: Tiktok, so will es Trump, soll nur dann in den USA am Markt bleiben dürfen, wenn ein US-Unternehmen mindestens 50 Prozent der Anteile erhält. Gerüchten zufolge könnte Elon Musk dieser Investor werden.
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