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Zeitdruck und Personalnot in Bäckereien

Branchenmonitor zeigt Notwendigkeit attraktiverer Arbeitsbedingungen auf

Großbäckerei Döbbe in Mülheim an der Ruhr
Großbäckerei Döbbe in Mülheim an der Ruhr

Wer an die Arbeitsbedingungen in Bäckereien denkt, dem fällt die hohe Wärmebelastung ein, der die Beschäftigten ausgesetzt sind. In Zukunft könnte indes der Einsatz moderner Kältetechnik eine wichtigere Rolle spielen: Schockfrostung und Gärunterbrechung sowie Veränderungen der Teigführung helfen, die Nacht- in die Tagproduktion zu verlagern. Dies könnte »eine potenzielle Maßnahme sein, um die Arbeitsbedingungen und Attraktivität gerade des Bäckerhandwerks nachhaltig zu verbessern«, sagt Stefan Stracke von der Beratungsfirma WMP Consult. »Wir beobachten, dass einige Betriebe schon dabei sind, auf Bedürfnisse ihrer Arbeitnehmenden einzugehen. Aber gerade in diesem Bereich muss künftig noch sehr viel mehr getan werden.«

Stracke ist Studienleiter des am Montag in Berlin vorgestellten »Bäckerei-Monitors«, der von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Der rund 200-seitige Mix aus Branchenanalyse und Beschäftigtenbefragung zeigt, dass Personal- und Fachkräftemangel zu den größten Problemen in der Branche gehören und die Arbeitsbedingungen verschlechtert haben. Von den 1395 befragten Beschäftigten gaben rund 86 Prozent an, dass in ihrem Betrieb oft oder sehr häufig ausreichend Personal fehlt. Etwa genauso viele erleben oft oder sehr häfug Zeitdruck und Stress. Als Belastungsfaktoren wurden am häufigsten das Streichen von Urlaub oder freien Tagen und kurzfristige Änderungen der Arbeitszeit genannt. Verkäuferinnen und Verkäufer erleben das noch intensiver, wie Stracke erläutert. Laut der Studie wünscht sich eine Mehrheit die Begrenzung von Überstunden, aber auch eine Reduzierung der Arbeitszeit. Die ebenfalls gewünschte bessere Planbarkeit könnten laut Stracke in rund um die Uhr-Produktionsbetrieben sogenannte 6/3-Schichtsysteme sein – auf sechs Tage Arbeit folgen drei freie Tage.

Fachkräftemangel ist auch ein zentraler Grund dafür, dass viele Bäckereien aufgeben müssen. Die Zahl der Betriebe des Handwerks ist laut der Studie seit 2014 um 30 Prozent gesunken. Hingegen ist der Gesamtumsatz der Branche mit ihren 282 000 Beschäftigten infolge der zunehmenden Dominanz von Großfilialisten und Brotindustrie zuletzt auf 21,8 Milliarden Euro gestiegen. In den vergangenen zwei Jahren hat die Beschäftigung zwar etwas zugenommen, wobei aber die Zunahme um 8500 Minijobs einem Abbau von 6500 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gegenübersteht. »Diese Entwicklung zeigt eine Verschiebung hin zu weniger stabilen und tendenziell schlechter abgesicherten Arbeitsverhältnissen«, sagte der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler. »Diesen Trend sehen wir als Gewerkschaft kritisch und fordern die Arbeitgeber auf, zukunftsfähige Jobs mit Tarifbindung und guten Arbeitsbedingungen anzubieten.« Er führt das zuletzt konstatierte deutliche Azubiplus auch auf einen Tarifabschluss »mit ordentlichem Vergütungsplus« für Auszubildende zurück. Hierbei sei das Backgewerbe von einem Platz ganz hinten auf einen im Mittelfeld vorgerückt.

In Teilen der Bäckereibranche, in der 62 Prozent der Beschäftigten weiblich sind, werden auch nur Niedriglöhne gezahlt, was besonders für den Handwerksbereich gilt. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass drei Viertel der Befragten Angst vor Altersarmut äußern. Gleichzeitig sorgt ein zersplittertes Tarifsystem dafür, dass es bundesweit Lohnunterschiede für vergleichbare Arbeit von oft fünf bis sechs Euro pro Stunde gibt. Es gibt regionale Branchentarifverträge für die Industrie und für das Handwerk, außerdem Haus- und Unternehmenstarifverträge. Vielerorts fehlt die Tarifbindung ganz – im Handwerk betrifft dies laut NGG mittlerweile sechs von 13 Tarifgebieten. Die Gewerkschaft setzt sich daher für bundeseinheitliche und allgemeinverbindliche Rahmentarifverträge jeweils für Industrie, Großfilialisten und Handwerk ein.

»Wir fordern die Arbeitgeber auf, zukunftsfähige Jobs mit Tarifbindung und guten Arbeitsbedingungen anzubieten.«

Guido Zeitler NGG-Vorsitzender

Eine wichtige Bedeutung in Teilen der Branche könnte auch die in den Sondierungsgesprächen von Union und SPD angedachte Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde haben, wie Zeitler auf nd-Nachfrage sagte. Gerade im Bäckerhandwerk lägen die Einstiegsgehälter vielerorts kaum über dem derzeitigen Mindestlohn von 12,82 Euro. Mit Blick auf den Personalmangel könnte eine spürbare Erhöhung den Beruf attraktiver machen, zumal sich dann auch darüber hinausgehende Löhne nach oben entwickeln würden. Den NGG-Chef ärgert, wie er sagte, daher auch die Debatte über das Bürgergeld, bei der ein größerer Abstand zu unteren Löhnen gefordert werde. Es sei vor allem »unfair, wenn Beschäftigte zu wenig Geld bekommen«.

Auch die derzeit geführte Migrationsdebatte ärgert den NGG-Chef, denn Migration werde für die Branche immer wichtiger. Einige Betriebe hätten ihren Radius bei der Suche nach Auszubildenden längst erweitert, insbesondere auf Vietnam, die Philippinen sowie Nordafrika, heißt es in der Studie. Zuletzt hatte rund ein Viertel der Azubis Migrationshintergrund, vor zehn Jahren waren es nicht einmal neun Prozent. Stracke verweist daher auf die Bedeutung einer Willkommenskultur in Unternehmen mit Sprach- und Integrationsförderangeboten. Auch berufsbegleitende Qualifizierung sei wichtig.

»Wenn es der Branche insgesamt gelingt, ihr Arbeitgeberimage zu verbessern, Migration als Chance zu begreifen und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, steht ihr eine lange und gute Zukunft bevor«, lautet das Fazit von Gewerkschaftschef Zeitler. »Denn die Verbraucher*innen schätzen gutes Brot.«

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