Werbung

Merz im Bundestag: Rechte Mehrheit mit Ansage

CDU-Kanzlerkandidat provoziert Kooperation mit der AfD und handelt sich Kritik von Merkel ein

Waren schon vor gut 20 Jahren keine besten Freunde: Angela Merkel und Friedrich Merz
Waren schon vor gut 20 Jahren keine besten Freunde: Angela Merkel und Friedrich Merz

Es kommt nur selten vor, dass Angela Merkel aktuelle politische Vorgänge kommentiert. Äußerst selten sogar. Aber am Donnerstag hielt es die Ex-Kanzlerin für angeraten, sehr schnell zu reagieren. Nach der Abstimmung am Vorabend im Bundestag über den Fünf-Punkte-Plan der Union zur Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik erinnerte sie an ein Versprechen von Friedrich Merz vom November letzten Jahres: Nach dem Ampel-Aus hatte der Merkel-Nachfolger im CDU-Vorsitz der SPD und den Grünen vorgeschlagen, nur Themen und Anträge im Plenum zu behandeln, bei denen man sich vorher geeinigt habe – also mit einer Mehrheit jenseits der AfD. Er wolle nicht, dass »diese Damen und Herren von rechts außen ... plötzlich die Mehrheiten besorgen«. Das fand Merkel in Ordnung; dagegen hält sie den jüngsten Schwenk von Merz, »sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen«, für falsch, wie sie knapp und deutlich mitteilte.

Merkel wird sich in ihrer Entscheidung von 2004 bestätigt fühlen, als sie Merz aus der CDU-Führungsebene verdrängte. Nun aber kann der Millionär und Hardliner aus dem Sauerland schalten und walten, wie er will. Mit Gefolgsleuten wie Generalsekretär Linnemann und Fraktionsvize Spahn brachte er die unter Merkel liberalisierte CDU auf einen stramm rechten Kurs. In den Umfragen zur bevorstehenden Bundestagswahl klar vorn liegend, wollte Merz nun mit seinen Migrations- und Asylanträgen die Parteien der Rest-Ampel vor sich hertreiben, dabei in Kauf nehmend und auch darauf spekulierend, dass er sich nur mithilfe der AfD durchsetzen könnte.

Damit widerspricht er sich selbst. Anfang 2022, kurz vor seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden, drohte er: »Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.« Noch im letzten Herbst schloss er eine Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch aus. Jetzt haben wir den Tag nach dem von Merz herbeigeführten Tabubruch – von einem Ausschlussverfahren gegen Merz ist bislang noch nichts bekannt. Stattdessen versucht er mit wortklauberischen Pirouetten zu erklären, dass es sich bei den aktuellen Vorgängen nicht um eine Zusammenarbeit handelt.

Die Spekulation, die dahintersteckt, ist ganz einfach Merz: Er glaubt, mit seinem Richtungswechsel mehr Wähler von der rechten Flanke zu gewinnen, als er im liberalen Flügel der CDU-Wählerschaft verlieren könnte; bei denen, die in Sachen AfD noch eine Hemmschwelle spüren. Dieser Teil der CDU soll an die Wand gedrückt und im heißen Wahlkampf zum Stillhalten genötigt werden. Dabei ist klar, dass die Offerte von Merz in Richtung AfD nicht einfach als Wahlkampfzuspitzung zurückgenommen werden kann. Künftig wird er keine Handhabe mehr haben gegenüber Landesverbänden und kommunalen Gliederungen, die mit der AfD kokettieren oder kooperieren.

Die demokratischen Parteien sollten, so Angela Merkel in ihrer Wortmeldung, gemeinsam alles tun, um Attentate wie in Magdeburg und Aschaffenburg zu verhindern – »nicht als taktische Manöver, sondern in der Sache redlich, im Ton maßvoll und auf der Grundlage geltenden europäischen Rechts«. Was Merkel hier formuliert, müsste eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber Friedrich Merz und seine Leute haben diesen Minimalkonsens des politischen Anstands verlassen – mit der Abstimmung vom Mittwoch und mit der Abstimmung an diesem Freitag über das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz. Auch hier kündigt sich eine unheilige Allianz von Union, AfD, FDP und BSW an.

Dabei ist es die eine Seite der Medaille, dass demokratische Parteien sich von der AfD abgrenzen und jede Form von Rechtsextremismus und Neofaschismus bekämpfen. Auf der anderen Seite gehört dazu eine Politik, die sich klar von rassistischen und nationalistischen Ansichten unterscheidet. Wenn sich Parteien inhaltlich immer stärker dem rechten Rand annähern – und bei Migration und Asyl ist die Merz-und-Söder-Union nicht mehr von der AfD zu unterscheiden –, ist die Abgrenzung nach rechts nur noch hohle Pose. Auf FDP und BSW trifft das ganz ähnlich zu.

Auf diese Pose pfeift nun Merz, pfeifen auch Lindner und Wagenknecht. Das mag in sich konsequent sein, aber es ist keine verantwortungsvolle Politik, sondern affektgeleitete Stimmungsmache, die das gesellschaftliche Klima vergiftet. Auf jeden Fall haben sie für den Rest des Wahlkampfs der AfD das Thema serviert, das dieser am besten gefällt. Wie so etwas ausgeht, konnte man etwa in Österreich und Italien beobachten.

Bleibt die Frage, wer angesichts dieser Ereignisse überhaupt noch eine Regierungsmehrheit nach der Bundestagswahl bilden kann. Die unvergessene Brandenburger SPD-Politikerin Regine Hildebrandt formulierte es seinerzeit in der von ihr gewohnten Direktheit: »Mit den Arschlöchern von der CDU koaliere ich nicht.« So mögen jetzt auch manche Sozialdemokraten und Grüne denken.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.