Am G-Punkt des Automobils

Einblicke in die Gedankenwelt eines libertären Taugenichts

Für Männer wie Ulf ist es schon schwer genug, die Klitoris zu finden, wo ist denn jetzt der G-Punkt?
Für Männer wie Ulf ist es schon schwer genug, die Klitoris zu finden, wo ist denn jetzt der G-Punkt?

Oft neigen wir dazu, unsere läppischen Probleme und unsere alltäglichen Plackereien und kleinen Misserfolge zu wichtig zu nehmen. Wir klagen über die hohe Miete, die steigenden Preise im Supermarkt, die Stromrechnung, die Kita-Gebühren und übersehen dabei gern, dass wir nicht die einzigen auf der Welt sind, die Tag für Tag die Schwierigkeiten, die das Leben mit sich bringt, bewältigen müssen. Auch andere haben es nicht leicht.

Denken wir also auch einmal an jene, die weit mehr zu verlieren haben als ihren nichtigen Job oder ihre schäbige Bleibe.

Die »kommunistische Ampel-Regierung« mache ihm nun schon eine ganze Weile das Leben zur Hölle, so beklagte sich kürzlich etwa Ulf, ein alter Bekannter von mir, der, als wir uns früher gelegentlich spätabends am Tresen einer Schöneberger Bar begegneten, meinen politischen Überzeugungen stets nur wenig abgewinnen konnte und mit einschlägigen Kommentaren zu ridikülisieren pflegte. Wie die meisten Deutschen sei auch ich nun mal ein »linksversiffter unverbesserlicher Ewiggestriger«, so habe er, Ulf, festgestellt. »Es existiert kein Problem, das nicht durch den fachgerechten Gebrauch eines leichten Sportwagens gelöst werden könnte«, teilte er mir mit, während er mir mit seinem mit Ossetra-Kaviar dekorierten Martini zuprostete. »Das Gaspedal ist der G-Punkt des Automobils!«

Daraufhin beschwerte er sich bitter über die zahllosen Torturen, die er gegenwärtig durchmachen müsse. So habe seine Zugehfrau neulich seinen Lieblingskaschmirpullover schon wieder nicht korrekt zusammengelegt. Außerdem sei der für seinen Wagen vorgesehene Parkplatz zum wiederholten Mal vom »Langen Elend«, seinem nichtsnutzigen Schnöselchef, zugeparkt gewesen. Und obendrein sei zu allem Überfluss auch noch sein langjähriger Stammjuwelier umgezogen. All das gelte es erst einmal zu »verkraften«. Wo bitte schön solle er jetzt nur seine Manschettenknöpfe polieren lassen? Auch zahllosen anderen »stalinistischen Reglementierungen« sei sein Leben unterworfen, die er gar nicht alle aufzuzählen wage. »Wo soll das enden?«

Dennoch dürfe man trotz der ganzen Unbill nicht ins Jammern verfallen, sondern müsse »zuversichtlich sein und fit bleiben für die harten Zeiten, die auf uns zukommen«, sagte er und klopfte mit seinem mit 24 Karat Gold überzogenen Strohhalm energisch auf die Kante des Tresens. »Der Markt ist eben kein Kuschelparadies!«

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Das Schlimme sei: Steuerlich würden er und seinesgleichen ja nicht nur gegenwärtig, sondern selbst dann noch, »wenn demnächst unsere Leute den Ton angeben«, derart »gemolken«, dass er sich ernsthaft überlege, ob er sich tatsächlich das zur Anschaffung vorgesehene Honma-5-Sterne-Set kaufe, das er sich kürzlich habe reservieren lassen, oder kurzzeitig auf eine günstigere Variante ausweichen solle. Er schnaufte sichtlich erregt und schüttelte dabei resigniert den Kopf. So weit sei es mit ihm bereits gekommen: Selbst jemand wie er müsse jetzt schon daran denken, seine Bedürfnisse stark einzuschränken und den »Gürtel enger zu schnallen«!

Erst vor einer Woche, so Ulf weiter, habe er beispielsweise die Fitness-Lounge in jenem kleinen Anwesen, das er gelegentlich als Zweitwohnsitz zu nutzen genötigt sei, zu einem Humidor umbauen lassen müssen, weil die Kosten für die Saunalandschaft »ein wenig irritierend« gewesen seien. Stattdessen besuche er nun – »Man stelle sich vor! Wie ein Prolet!« – zweimal wöchentlich ein exklusives hauptstädtisches Wellness-Resort, »das sich zumindest der Abschaum nicht leisten« könne.

Immerhin biete die Terrasse des Separees, das er sich dort gemietet habe, eine hervorragende Aussicht, teilte Ulf mit. Man könne von dort ausgiebig seinen Blick über die vielen farbenfrohen und mit erstaunlicher Kreativität konstruierten Behelfsunterkünfte schweifen lassen, die sich die Obdachlosen gebaut hätten. Einige der aus Plastikplanen und Holzabfällen errichteten zeltähnlichen Behausungen seien zwar »erkennbar von Laienhand gefertigt« worden, aber was könne man schon erwarten von Leuten, die sich »den Anforderungen einer modernen sozialen Marktwirtschaft konsequent verweigern« oder diesen nicht gewachsen seien. »Na ja, Übung macht den Meister!«, so Ulf, seine Cartier-Lesebrille in die Brusttasche seines Sakkos schiebend und dabei gleichsam abschließend eine salbungsvolle Geste in Richtung der Bretterverschläge vollführend. »An meiner ersten Immobilie war ja auch nicht alles perfekt.« Man dürfe aber niemals aufgeben. »Es ist so traurig, dass diese Menschen Angst vor der Freiheit haben und sich weigern, das Geschenk der Eigenverantwortung anzunehmen.«

Ich habe ihm das an diesem Abend nicht gesagt, aber: Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft Menschen wie Ulf, »durch entsprechende Anreize nachhaltig motiviert«, wie es eine Freundin von mir mit einem kaum wahrnehmbaren Augenzwinkern zu formulieren pflegt, nicht »auf einem Reisfeld ganz erstaunliche Dienste leisten könnten«.

Sicher ist jedenfalls: Ein AfD-, CDU- und FDP-Verbot könnte ein Anfang sein.

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