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Streik bei der Post in Berlin: Gegen Paketflut und Inflation
Verdi bestreikt Paket-Zustellbasen der Deutschen Post in Berlin
Ivan ist heute in die Gewerkschaft eingetreten. Seit einem Jahr und acht Monaten fährt er für die Deutsche Post Pakete aus. Vor Kurzem erst bekam er einen unbefristeten Vertrag. Zusammen mit seinen Kollegen Ivo und Miroslav steht er am Mittwochvormittag in der Nähe vom Südkreuz vor der Niederlassung der Deutschen Post für die Paketsparte in Berlin. Im Rahmen der laufenden Tarifrunde hat die Gewerkschaft Verdi die Beschäftigten der vier Paketstandorte Tempelhof, Britz, Mariendorf und Mitte zu einem eintägigen Warnstreik aufgerufen.
»In Bulgarien ist die Bezahlung schlecht, aber auch in Deutschland reicht das Geld kaum«, sagt Ivan. Er spricht ein wenig Englisch; einfacher ist die Verständigung jedoch, wenn Boris Bojilov, Gewerkschaftssekretär von Verdi, übersetzt. Da die Lebensmittelpreise, die Miete und die Energiekosten gestiegen sind, habe sich Ivan heute entschlossen, Verdi beizutreten. Die Gewerkschaft fordert von der Deutschen Post 7 Prozent mehr Geld und mehr Urlaub: drei Tage für alle Beschäftigten und einen Tag nur für Verdi-Mitglieder. »Mehr Urlaub ist nicht schlecht«, sagt Ivan. Wichtiger sei aber das Geld.
Überzeugt, Verdi beizutreten, hätten ihn seine beiden Kollegen, mit denen er in Mariendorf arbeitet. Dort hätten etwa 20 bis 25 von 100 Kolleg*innen die Arbeit niedergelegt. »Die beiden«, sagt Gewerkschafter Bolijov und deutet auf Ivo und Miroslav, »habe ich beim letzten Streik für die Gewerkschaft gewinnen können.« Warum sie bei der Gewerkschaft geblieben sind? »Ohne Gewerkschaft wird es keine besseren Löhne geben«, übersetzt Bolijov für Ivo. Außerdem sei man rechtlich abgesichert.
Bolijov erklärt: Das zunehmende Aufkommen von Regress-Sendungen bekämen auch die Zusteller*innen zu spüren, wenn sie von der Deutschen Post dafür verantwortlich gemacht würden. So erging es Miroslav. Ein Regressverfahren, in dem er sich rechtfertigen muss und in dem Verdi ihn berät, ist noch nicht abgeschlossen. Gewerkschaftssekretär Bolijov sagt: »Die Betriebsräte beraten solche Fälle wie am Fließband.«
Nach der kleinen Streikkundgebung sitzen noch zwei Handvoll Mitglieder von Gewerkschaft und Betriebsrat im Betriebsratsbüro zusammen. Etwa 120 Beschäftigte hätten sich heute am Streik beteiligt, schätzt man hier. »Die Befristeten kriegste nicht auf die Straße«, sagt Thomas Kossmann, Betriebsratsvorsitzender der Niederlassung Paket. In der Niederlassung habe von 4000 Beschäftigten etwa ein Drittel einen befristeten Vertrag, 600 seien Leiharbeitnehmer*innen. Diese würden über polnische Firmen eingesetzt, die für ihre Arbeitskräfte gleich den Wohnraum mit anmieten.
»In Berlin findest du kein Personal mehr«, sagt Kossmann. Da die Arbeit so schwer sei, würden sieben von zehn Neueinsteiger*innen den Job wieder hinschmeißen, viele davon in den ersten drei Tagen. Aufgrund eines immer höheren Paketaufkommens und des Rückgangs der Briefsendungen würden die leichteren Pakete unter fünf Kilogramm von den Briefzusteller*innen zugestellt. Im Verhältnis blieben daher mehr sehr schwere Pakete für die Paketzusteller*innen. Ivo bestätigt das. Als er bei der Post angefangen hat, habe der Anteil der sehr schweren Pakete bei 10 Prozent gelegen. Heute seien es 30 bis 40 Prozent. Das Maximalgewicht für eine Sendung liegt bei 31,5 Kilogramm, das mache sich insbesondere im weihnachtlichen Starkverkehr bemerkbar, wenn es 200 oder mehr Pakete zuzustellen gebe, sagt Ivo.
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Thomas Kossmann ist schon seit 35 Jahren Betriebsrat. Vor 20 Jahren sei er für den Standort Rüdersdorf verantwortlich gewesen. Damals habe der Organisationsgrad bei etwa 80 Prozent gelegen. »Da hatte ich keinen Streit mit der Führungsebene«, sagt er, »weil klar war: Im Zweifel steht das Kollektiv hinter mir.« Selbst der Betriebsleiter sei damals in der Gewerkschaft gewesen. Heute seien 50 Prozent der Beschäftigten in seinem Verantwortungsbereich Mitglied bei Verdi – »ausweitbar«, nennt Kossmann das.
Die Deutsche Post spricht von bundesweit etwa 2800 Mitarbeiter*innen, die an 250 Standorten die Arbeit niedergelegt hätten. Etwaige Verzögerungen sollten innerhalb der nächsten zwei Tage aufgeholt sein, »Sendungen im niedrigen einstelligen Bereich« seien betroffen, teilt das Unternehmen mit. Da man sich mit der Gewerkschaft für den 12. und 13. Februar auf weitere konstruktive Gespräche verabredet habe, gebe es aus Sicht der Post »keinen triftigen Grund für Warnstreiks«.
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