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Sozial wohnen mit Ablaufdatum
Bezahlbaren Wohnraum gibt es immer weniger. Mögliche Lösungen sind sparsames Bauen und die Verschärfung des Mietrechts
Viele kleine Ampelsymbole illustrieren ein Dokument des Deutschen Mieterbundes (DMB). Darin geht es nicht etwa um eine Retrospektive zur letzten Bundesregierung, sondern um eine Bewertung der Wahlprogramme der Parteien »aus Sicht der Mieterinnen und Mieter«. Auf Grün stehen die Ampeln für SPD, Grüne, Linke und BSW – wobei Die Linke demnach »das mit Abstand umfangreichste und mieterfreundlichste Wahlprogramm« vorgelegt habe.
Bei der CDU blinkt die Ampel gelb – sie bekennt sich zwar in ihrem Programm zu Mietrechten, bleibt in ihren Vorschlägen aber vage. Rot leuchten die Ampeln dagegen für AfD und FDP. Das Programm ersterer enthalte keine Vorschläge zur Unterstützung der Mieter*innen und »bevorzugt Eigentum«. Die Pläne der FDP enthielten sogar Verschlechterungen für die Mieter*innen, weil der mietrechtliche Rahmen »abgeschwächt bis aufgelöst« werden soll.
Dafür, dass mehrere Parteien Wohnen zum »sozialen Thema unserer Zeit« deklariert haben, spielt es im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle. Dabei entwickeln sich die Zahlen am Wohnmarkt in eine beunruhigende Richtung. So sind Neuvertragsmieten, laut einer diese Woche vom Institut der Deutschen Wirtschaft veröffentlichten Auswertung, im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um rund 4,7 Prozent gestiegen. Traurige Spitzenreiter sind Berlin (8,5 Prozent), Essen (8,2 Prozent) und Frankfurt am Main (8 Prozent).
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»Die Anzahl der Haushalte mit hoher Belastung nimmt von Jahr zu Jahr zu«, mahnt Melanie Weber-Moritz, Bundesdirektorin des DMB, an. Überlastet sind Haushalte dann, wenn sie mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Miete ausgeben. Das betrifft derzeit über ein Drittel der deutschen Haushalte.
Auch das Bündnis Soziales Wohnen wollte am Mittwoch ein Fazit zu den Wahlprogrammen ziehen, habe sich dann aber dagegen entschieden, so Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. Zu »unergiebig und unvollständig« seien die Programme bezüglich des sozialen Wohnungsbaus. Im Auftrag des Bündnisses hatte das Pestel-Institut die Lage am deutschen Wohnmarkt untersucht. Das Fazit: Um bis 2030 das Ziel von zwei Millionen Sozialwohnungen zu erreichen, müssten pro Jahr mindestens 210 000 Sozialwohnungen geschaffen werden – durch Maßnahmen wie Neubau sowie Ankauf und die Verlängerung von Belegungsrechten. Das wären rund 930 000 Wohnungen mehr als heute.
Aktuell werden in etwa 25 000 neue Sozialwohnungen pro Jahr gebaut, zugleich verlieren 65 000 Wohnungen jährlich ihre Preisbindungen. Wie viele Wohnungen das bis 2030 bundesweit betrifft, lässt sich nicht sagen, da es aus den meisten Ländern keine verlässlichen Zahlen gibt. Allein in Nordrhein-Westfalen entfallen bis 2030 aber 160 000 Wohnungen aus dem sozialen Wohnungsmarkt. Die Ampel hatte ursprünglich geplant, jährlich 100 000 neue Sozialwohnungen zu errichten.
»Würde der Staat alle Menschen mit Anspruch versorgen, fehlten 5,6 Millionen Sozialwohnungen.«
Matthias Günther Pestel-Institut
Die Zwei-Millionen-Zielmarke für Wohnungen hatte das Bündnis Soziales Wohnen 2019 formuliert, um einen zeitlichen und vorstellbaren Rahmen zu setzen. Würde der Staat de facto alle Menschen mit Anspruch versorgen, fehlen sogar 5,6 Millionen Sozialwohnungen. Aus demografischen Gründen wird der Bedarf in den kommenden Jahren zudem steigen. Bis 2030 gehen 14 Millionen Babyboomer in Rente, unter den Vorzeichen der steigenden Altersarmut werden davon 2,8 Millionen Menschen arm und um die 600 000 auf Grundsicherung angewiesen sein.
Benachteiligte Bevölkerungsgruppen leiden besonders unter dem Sozialwohnungsmangel, so Günther: »Es gibt hierzulande keine diskriminierungsfreie Vermietung«. Deswegen sei es für Menschen mit Behinderungen besonders schwierig, eine eigene Wohnung zu ergattern, ergänzt Janina Lessenich, Geschäftsführerin der Caritas-Behindertenhilfe und -Psychatrie. So sind sie derzeit deswegen gezwungen, bei den Eltern oder in Einrichtungen zu leben. Das gilt auch für die wachsende Zahl älterer Menschen mit Behinderungen. Das Bündnis Soziales Wohnen fordert deswegen, zehn Prozent aller neuen Sozialwohnungen barrierefrei zu bauen und für am Wohnungsmarkt besonders benachteiligte Gruppen zu reservieren.
Das Pestel-Institut veranschlagt außerdem in etwa elf Milliarden Euro pro Jahr für den Neubau von 100 000 Sozialwohnungen. Derzeit würde zwar mit drei Milliarden Euro deutlich mehr investiert, als zuvor, gebaut würde aber weniger. Das läge daran, dass der soziale Wohnungsbau zu teuer sei, so Dietmar Walberg, Leiter des Bauforschungsinstituts ARGE. Er schlägt deshalb vor, auf Gebäudetyp E für »Erleichtertes Bauen« zu setzen und zum Beispiel bei Wand- und Deckenstärken sowie Klima- und Lärmschutz zu sparen.
In Pilotprojekten in Schleswig-Holstein habe sich gezeigt, dass weder Ästhetik noch Schallschutz oder die Klimaschutzziele leiden, wenn die Bauvorschriften eingehalten werden, ist Walberg überzeugt. Diese Art des Sozialen Wohnbaus bedarf aber vor allem zu Beginn »komplexer Kommunikationsprozesse«, in die zum Beispiel die Kommunen eingebunden werden müssten. Deswegen brauche es verlässliche langjährige Förderungen.
Der DMB verlangt ebenfalls nach Verlässlichkeit – vor allem aber in Bezug auf die Mietpreisbremse. Diese sei derzeit, so Weber-Moritz, die elementarste Forderung des Mieterbunds. Die Mietpreisbremse legt fest, dass Preise bei Neuvermietung höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen. Ohne Verlängerung läuft die Regelung dieses Jahr aus. Darüber hinaus sollte, so Weber-Moritz, Mietwucher stärker begrenzt werden. Mieten ab 20 Prozent über dem jeweiligen Mietspiegel sind, laut Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz, überhöht. Das nachzuweisen, ist für Mieter*innen aber bisher schwierig. Seine Vorschläge hatte der DMB den Parteien bereits im Dezember zukommen lassen – in der Hoffnung, dadurch die Gestaltung der Wahlprogramme zu beeinflussen.
Die Berliner Mietergemeinschaft (BMG e.V.) kritisiert die Ansprüche des DMB als nicht radikal genug. »Die Forderungen des DMB greifen teilweise zu kurz«, erklärt ein Sprecher gegenüber »nd«. So werde etwa das Fördersystem des sozialen Wohnungsbaus mit seiner befristeten Mietpreisbindung nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Linke fordert dagegen in ihrem Wahlprogramm: »Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung«.
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