Demos gegen rechts: »Es geht darum, ein Zeichen zu setzen«

Protestforscher Simon Teune erklärt, was die Massendemonstrationen gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD erfolgreich macht

Ein Herz für die Demokratie: Protest gegen CDU und AfD in Bremen
Ein Herz für die Demokratie: Protest gegen CDU und AfD in Bremen

In den vergangenen Tagen konnte man den Eindruck gewinnen, die Demokratieproteste von 2024 wiederholen sich. Nur steht auf den Schildern jetzt so etwas wie »Im Februar kein Merz«. Drehen wir uns im Kreis?

2024 sind vier Millionen Menschen auf die Straße gegangen – das waren die größten Proteste in der Geschichte der Bundesrepublik. Natürlich hat das Spuren hinterlassen. Zum einen wurde sichtbar, dass es eine kritische Masse gibt, die den Rechtsruck nicht hinnimmt und sich für die Unteilbarkeit von Menschenrechten und demokratischen Prinzipien einsetzt. Zum anderen sind in dieser Zeit neue Verbindungen entstanden und bestehende Netzwerke haben sich gefestigt. Das macht solche großen Proteste überhaupt erst möglich. Ohne die Erfahrungen von 2024 gäbe es die aktuellen Demonstrationen in dieser Größe vermutlich nicht.

Nach den Protesten 2024 sind die Umfragewerte der AfD stark gefallen. Auch die Wahlbeteiligung bei der Europawahl erreichte ein Rekordhoch. Lässt sich das auf die Demonstrationen zurückführen?

Einen direkten Ursache-Wirkung-Zusammenhang herzustellen, ist bei Protesten immer schwierig, weil viele Faktoren eine Rolle spielen. Aber es gibt Studien, die einen klaren Zusammenhang zeigen: Dort, wo Proteste stattfinden, schneiden extrem rechte Parteien schlechter ab. Das wurde in mehreren Ländern belegt. Wie diese Wirkung entsteht, ist aber nicht ganz klar. Eine Erklärung ist, dass die Proteste einen Einfluss darauf haben, welches Wahlverhalten als akzeptabel wahrgenommen wird.

Interview

Simon Teune ist politischer Soziologe an der FU Berlin. Er gehört zu den Gründungs­mit­gliedern des Instituts für Protest- und Bewegungs­forschung, dessen Vorstand er bis 2023 angehörte.

Die Umfragewerte der AfD haben sich nach den Europawahlen jedenfalls wieder erholt. Zudem verwendet die Partei den Begriff »Remigration« nun ganz offiziell und die Brandmauer bröckelt gewaltig. Ist die Protestwelle letztendlich gescheitert?

Nein. Wenn wir nur mal auf die Wahlergebnisse blicken, dann ist Protest ja nur ein Faktor unter vielen, der Wahlentscheidungen beeinflusst. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, wie andere Parteien auf die Forderungen der extremen Rechten reagieren. Wenn etablierte Parteien die Positionen rechtsextremer Parteien übernehmen, stärkt das letztlich die Rechten. Das zeigt die Erfahrung aus vielen Ländern. Die CDU weiß das natürlich auch – glaubt aber offenbar, in Deutschland würde es anders laufen. Damit trägt sie selbst zur Normalisierung der AfD bei.

Das Ziel, die Demokratie zu schützen, wirkt abstrakter als etwa eine Demonstration für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen. Macht es das schwerer, Menschen dafür zu mobilisieren?

Im Gegenteil – es hilft dabei, so riesige Menschenmengen auf die Straße zu bringen, die vielleicht sehr unterschiedliche Meinungen haben, wenn es konkreter wird. Es geht bei solchen Großdemonstrationen vor allem darum, ein Zeichen zu setzen. Demonstrationen zu spezifischen Forderungen sind in der Regel deutlich kleiner. Das bedeutet aber nicht, dass es bei den Demokratieprotesten keine konkreten Forderungen gibt. »Keine Koalition mit der AfD« – das ist eine Botschaft, auf die sich wohl alle Teilnehmenden einigen können.

Die Linkspartei hat im Zuge der neuen Protestwelle einen deutlichen Mitgliederzuwachs erlebt. Ist darin eine Verstetigung des Engagements zu erkennen?

Allenfalls indirekt. Den Leuten ist natürlich klar, dass man Politik nicht nur auf der Straße verändern kann, sondern dass Parteien da eine zentrale Rolle spielen müssen. Die Proteste haben die Frage aufgeworfen, welche politischen Alternativen es überhaupt gibt. SPD und Grüne haben sich mit der Asylpolitik der Ampel nicht gerade als glaubwürdige Alternative präsentiert. Die Linkspartei hat es in der Opposition leichter. Sie ist derzeit ziemlich gut darin, ihre Botschaften klar zu kommunizieren und sich konsequent zu positionieren. Das liegt auch an der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und ihrem Umfeld, das jetzt mit der AfD gestimmt hat.

Ich treffe derzeit viele junge Menschen, die sich über Antifaschismus politisieren – etwa bei den Protesten von »Widersetzen« gegen die AfD. Entsteht daraus gerade eine neue Jugendbewegung, eine Art »Antifa for Future«?

Ich würde das gar nicht so stark trennen: Fridays for Future (FFF) hat einen entscheidenden Anteil daran, dass die antifaschistischen Proteste so groß wurden. Die Bewegung hat früh verstanden, dass Klimapolitik nicht von anderen Politikfeldern zu trennen ist. Unter einer faschistischen Regierung sind die Aussichten auf eine vernünftige Klimapolitik noch schlechter als mit den demokratischen Parteien. Deshalb war es für FFF naheliegend, sich auch an den Demokratieprotesten zu beteiligen.

Aber FFF kämpft selbst darum, sich noch Gehör zu verschaffen. Verwässern die Aktivist*innen damit nicht ihr Profil?

Dass sie sich an den Demokratieprotesten beteiligen, bedeutet nicht, dass sie das Klimathema aufgegeben haben. FFF hat einen realistischen Blick darauf, wie viele Menschen sich derzeit für Klimapolitik mobilisieren lassen. Wenn gerade andere Themen als dringender empfunden werden, ist es sinnvoll, Ressourcen entsprechend einzusetzen. Außerdem schafft das Engagement bei den Demokratieprotesten auch neue Synergien: Die Menschen, die jetzt politisiert werden, könnten für den nächsten Klimastreik ebenfalls gewonnen werden.

Am Wochenende stehen wieder Proteste in ganz Deutschland an. Sie scheinen aber nicht so groß zu werden wie im vergangenen Jahr.

Es greift zu kurz, nur auf die Teilnehmerzahlen zu schauen und zu schlussfolgern, dass das Thema die Menschen weniger bewegt. Vieles, was bei diesen Protestaktionen passiert, bleibt medial unsichtbar. Wenn man zum Beispiel mit Tausenden Leuten die größte Demonstration in seinem Ort erlebt und sich gemeinsam positioniert, dann prägt das eine politische Biografie nachhaltig. Und auch Netzwerke bleiben ja bestehen. Sie können entscheidend sein, wenn sich die politische Lage zuspitzt und etwa eine Koalition mit der AfD im Raum steht.

Eine Liste mit kommenden Demonstrationen finden Sie hier: dasnd.de/gegenrechts

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