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Schuldenbremse: Anpassung an die Realitäten
Vieles deutet darauf hin, dass die Schuldenbremse in der nächsten Legislaturperiode reformiert wird
Wann immer die Deutschen auf die Schuldenbremse angesprochen wurden, gab es eine klare Zustimmung für die in der Verfassung festgeschriebene Regelung. Nun hat sich in einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erstmals eine Mehrheit für eine Lockerung ausgesprochen: Laut der im Januar 2025 durchgeführten Umfrage sind 55 Prozent der Bundesbürger dafür, die Schuldenbremse zu reformieren, damit Berlin mehr Kredite aufnehmen kann, oder sie ganz abzuschaffen. Nur 41 Prozent wollen sie unverändert beibehalten. Noch zwei Monate vorher ging die Befragung genau umgekehrt aus.
Natürlich sind Umfragen mit gewisser Vorsicht zu genießen, aber da diese Untersuchung regelmäßig durchgeführt wird, sagt sie etwas über Stimmungsänderungen aus. Und da hierzulande Sparen nach wie vor positiv konnotiert ist und Verschuldung negativ, ist das Ergebnis bemerkenswert. Zumal mittlerweile nur noch FDP- und AfD-Wähler mehrheitlich am Status quo festhalten wollen. Gerade unter den Sympathisanten der Union hat sich der Wind gedreht.
Das dürfte einerseits mit der schwierigen Wirtschaftslage und der maroden Infrastruktur zusammenhängen. Allen ist klar, dass es milliardenschwere Investitionen braucht. Selbst Bundesbank und Wirtschaftsweise, ehemals Hardliner bei dem Thema, sind nun für eine Reform der Schuldenbremse. Forscher des industrienahen IW und des gewerkschaftsnahen IMK bezifferten in einer ungewöhnlichen Kooperation allein den öffentlichen Investitionsbedarf auf insgesamt 600 Milliarden Euro, verteilt auf zehn Jahre. Schwerpunkt sind demnach Klimaschutz und Klimaanpassung, Energie- und Verkehrswende, demografischer Wandel und Digitalisierung. Da solche Summen nicht aus dem Haushalt zu finanzieren sind und wenig Spielraum für kurzfristige Kürzungen besteht, wird dies ohne Reform der Schuldenbremse nicht gehen. Diese wurde 2011 eingeführt und verbietet die »strukturelle«, von der Konjunktur unabhängige, staatliche Neuverschuldung für die Länder, während sie beim Bund auf 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) beschränkt ist. Ausnahmen darf es nur bei Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen geben.
Andererseits werfen die Parteien in ihren Programmen für die Wahl Ende Februar mit den sprichwörtlich ungedeckten Schecks um sich. Durchgerechnet sind diese nicht. Das mühselige Unterfangen hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für den finanziell wichtigen Bereich der Steuerpolitik nachgeholt: Das Versprechen massiver Senkungen, mit dem die Parteien rechts der Mitte hausieren gehen, würde Bürgern der Mittel- und Oberschicht sowie Unternehmen zugute kommen, jedoch den Staatshaushalt stark belasten, und dies auf Dauer. Besonders krass sind die Ideen der FDP: Hier ergeben sich laut DIW Mindereinnahmen für den Bund von 188 Milliarden Euro, was 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW hat sich auf Steuervorschläge konzentriert, deren Wirkung für einzelne Privathaushalte bezifferbar sind, und kommt dabei auf Mindereinnahmen von 116 Milliarden Euro pro Jahr (siehe Grafik). Vorschläge, die bei der Kaufkraft ansetzen, sind hier nicht berücksichtigt. Dazu gehören Forderungen zur Mehrwertsteuer und CO2-Bepreisung.
Für DIW-Experte Stefan Bach sind die Pläne »fiskalisch utopisch angesichts der finanzpolitischen Herausforderungen«. Selbst wenn man die geforderten Ausgabenkürzungen etwa beim Bürgergeld gegenrechnet, bliebe noch eine jährliche Lücke von 135 Milliarden. Ähnlich bei der AfD: Sie will nach DIW-Berechnungen insgesamt 181 Milliarden Euro unters Volk bringen – die Lücke bliebe auch dann riesig, wenn die gewünschten Einsparungen durch geringere Zahlungen an die EU und einen Zahlungsstopp an Asylsuchende realisiert würden. Bei SPD und Grünen und BSW soll es hingegen im Steuerbereich einen leichten Überschuss geben, bei der Linken sogar einen deutlichen. Sie wollen dafür stark im Sozialbereich investieren.
Bei der Union, die aller Voraussicht nach den nächsten Regierungschef stellen wird, kommt das DIW auf insgesamt 99 Milliarden Euro, die jährlich an Bürger und Unternehmen verschenkt werden sollen bei der Einkommensteuer, der Strom- und der Mehrwertsteuer in Restaurants. Nicht einmal die Hälfte brächte die angekündigte Gegenfinanzierung durch Bürgergeldkürzungen und ein höheres Wirtschaftswachstum von jährlich zwei Prozent des BIP.
Und letztere Behauptung ist auch noch unseriös, denn Bürgergeldkürzungen sind eher Gift für die Konjunktur, da sie die Kaufkraft vieler Menschen reduzieren würden. Darüber hinaus ist die Annahme, dass Steuersenkungen die Konjunktur beflügeln, fragwürdig und empirisch nicht belegbar. Sie beruht auf einem Modell des US-Ökonomen Arthur B. Laffer aus den neoliberal geprägten 1970er Jahren: Demnach seien bei zu hohen Steuersätzen sinkende Staatseinnahmen zu erwarten. Auf die Laffer-Kurve berief sich US-Präsident Ronald Reagan, doch dessen Steuersenkungen führten seinerzeit zu massiv sinkenden Einnahmen und hohen Defiziten. Bis heute ist nicht ermittelbar, wann Steuersätze als zu hoch anzusehen sind, weshalb das Modell in der Wissenschaft kaum noch Anwendung findet.
Jenseits solcher Fragen sind sich die Parteien einig, dass in den nächsten Jahren große Summen benötigt werden, um die Infrastruktur zu modernisieren und Investitionen von Unternehmen anzustoßen. Da das Bundesverfassungsgericht den Einsatz sogenannter Schattenhaushalte begrenzt hat, wird dies nicht ohne Lockerung der Schuldenbremse zu finanzieren sein. Dafür sind die Parteien links der Mitte schon lange. CDU/CSU stellen sich bisher quer und bestätigen dies auch im Wahlprogramm, in dem aber ein »ehrlicher Kassensturz« angekündigt wird, mit offenem Ausgang. Wichtige Landespolitiker der Union sehen dies schon lange anders, und auch Kanzlerkandidat Friedrich Merz sagte im November: »Selbstverständlich kann man das reformieren. Die Frage ist: wozu, mit welchem Zweck?« Damit hält er sich die Optionen für eine große Koalition oder ein schwarz-grünes Bündnis offen. Der Ampel wollte er aber mit einer Verweigerung der Reform die Arbeit in schwierigen Zeiten erschweren.
Während die Kritik an der Schuldenbremse bisher links konnotiert war, ändert sich dies gerade. In der Forsa-Umfrage wurde auch gefragt, wofür zusätzliche Ausgaben verwendet werden sollten. Am wenigsten Zustimmung gab es für soziale Sicherheit und Klima/Umwelt. Ganz vorne war das Thema Bildung, mit einigem Abstand gefolgt von Transport, Gesundheit, innerer Sicherheit und Verteidigung. Der Rechtstrend macht also auch nicht vor der Reform der Schuldenbremse halt.
Daher ist der Stimmungsumschwung in erster Linie eine Anpassung an die finanzpolitischen Realitäten. Es sei der »einzige gangbaren Weg, dem Dilemma des Steuerstaats unter objektiv wachsendem Ausgabendruck ohne ausreichende Kreditfinanzierung zu entkommen: Mit einer Verfassungsänderung muss die Schuldenbremse zugunsten einer angemessenen Regelung zurückgenommen werden«, wie der Bremer Ökonom Rudolf Hickel schreibt. Er macht sich für eine Rückkehr zur »goldenen Regel« stark: »Öffentliche Investitionen, die den nachfolgenden Generationen nützen, werden über die öffentliche Kreditaufnahme auch von diesen mitfinanziert.«
Für eine komplette Abschaffung sprachen sich in der Umfrage indes nur neun Prozent der Befragten aus. Ganz so mutig sind die Deutschen dann doch nicht.
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