Abenteuerlich und abstrus

Vor 100 Jahren begann in Leipzig der sogenannte Tscheka-Prozess

  • Jacques Mayer
  • Lesedauer: 8 Min.
Geduldig wartet die Presse auf Einlass zum Leipziger Staatsgerichtshof
Geduldig wartet die Presse auf Einlass zum Leipziger Staatsgerichtshof

Pressevertreter waren zahlreich im Gerichtssaal vertreten, die Berichterstattung war informativ, teilweise gaben die Zeitungen die wörtlichen Aussagen umfangreich wieder. Da unter anderem die US-amerikanische Presseagentur AP anwesend war, wurden auch die Leser etwa der »New York Times«, aber auch von »The China Press« in Schanghai informiert. Die große Aufmerksamkeit verdankte sich wohl auch dem Titel, unter dem diese Verhandlungen vor 100 Jahren gemeinhin firmierten.

Am 10. Februar 1925 begann in Leipzig vor dem Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik der sogenannte Tscheka-Prozess. Ursprünglich auf zwei Wochen terminiert, dauerte er bis zum 22. April: 48 Verhandlungstage mit 16 Angeklagten und 13 Anwälten, Vorsitzender Richter war Alexander Niedner.

Angeklagt waren die Mitglieder einer T-Gruppe; das T stand für Terror. Als deren Anführer war Felix Neumann ausgemacht worden, dessen Vorgesetzter ein angeblicher Russe, der sich Peter Skoblewsky nannte, gewesen sein sollte. Vor Gericht standen auch Helfer, Quartiergeber, Chauffeure und Waffenlieferanten der beiden. Mit der sowjetischen Institution »Tscheka« hatte die Gruppe nichts zu tun, sie führte auch diesen Namen selbst nicht. Dennoch war in den ersten Presseberichten unter Verweis auf Polizeiinformationen von einer »deutschen Tscheka« die Rede, die »der russischen Tscheka nachgebildet« sei, einer »kommunistischen russisch-deutschen Mörderbande, die in der Zeit ihrer Tätigkeit sicher eine große Anzahl politischer Morde auf dem Gewissen hatte«. So zu lesen beispielsweise im deutschnationalen »Berliner Lokalanzeiger« am 26. April 1924. Übertreibungen dieser und schlimmerer Art findet man nicht nur in den damaligen Zeitungen, sondern auch in den Behördenakten.

Ein Grund für die lange Verfahrensdauer war, dass den Umsturzabsichten der KPD, also den Ereignissen der sogenannten Deutschen Oktoberrevolution im Herbst 1923 (auch als »Deutscher Oktober« bekannt), breiter Raum eingeräumt wurde. Die Absicht der deutschen Justiz war offensichtlich: Die KPD-Führung sollte belangt werden, obwohl aus deren Reihen kein einziger auf der Anklagebank saß.

Beim geheimnisvollen Skoblewsky handelte es sich in Wahrheit um den hochrangigen sowjetischen Armeeoffizier lettischer Herkunft Voldemars Roze, der im März 1923 nach Deutschland gekommen war, um der KPD bei der Organisation von Arbeiterwehren zu helfen, wie es auf deren 8. Parteitag beschlossen worden war. Anfang September wurde er zum »Militärischen Leiter« eines »Revolutionskomitees« (Revkom) bestimmt, eine Aufgabe, für die dem wohl guten Soldaten jedoch die politische Statur fehlte. Im November wurde Roze die Anleitung der T-Gruppe übertragen. Nach seiner Verhaftung im April 1924 behauptete Roze, er sei ein im Weltkrieg desertierter Soldat, der auf seiner Durchreise von Frankreich einige Wochen in Deutschland auf eine Einreisegenehmigung in die Sowjetunion habe warten müssen. Weitere Aussagen machte er nicht.

Felix Neumann war die interessanteste Figur im Prozess. Von Beruf gutbezahlter Drucker und KPD-Mitglied in kleineren Funktionen, machte ihn Parteichef Heinrich Brandler im September 1923 zum Sekretär des Revkom. Die Gründe für diese Wahl bleiben rätselhaft, nichts qualifizierte Neumann für diese Funktion: Er hatte keine organisatorischen oder militärischen Erfahrungen (im Krieg war er einfacher Eisenbahnpionier gewesen), war nicht mit der hauptamtlichen Arbeit in der Partei oder deren Apparaten vertraut. Zwar war der Sekretärsposten subalterner Art, Neumann hatte wenig zu entscheiden, aber er bekam tiefe Einblicke in die Tätigkeit der KPD-Führung in den Oktobertagen, auch weil er zeitweilig deren Kasse verwaltete und die Geldströme aus der sowjetischen Botschaft Unter den Linden in Berlin in die deutsche Parteizentrale kannte. Dass sich Neumann diesbezüglich ab Juli 1924 den Ermittlungsbehörden offenbarte, war für die KPD-Führung wohl verhängnisvoller als seine Berichte über die von ihm geleitete T-Gruppe.

Ende Oktober 1923 war der »Deutsche Oktober« faktisch gescheitert, in der Folge wurde das Revkom aufgelöst und Neumann Roze unterstellt. Von Roze und Brandler erhielt Neumann Mitte November den Auftrag, eine T-Gruppe zu bilden. Die wenigen bekannten, nachträglich erstellten Berichte besagen, dass der Aufbau der Gruppe mit Billigung, vielleicht sogar auf Beschluss der KPD-Führung erfolgt war und auch hohe Funktionäre aus der Sowjetunion in Deutschland informiert waren. Allerdings ist kein förmlicher Beschluss dazu überliefert.

Neumann rekrutierte die meisten der sechs Gruppenmitglieder aus seinem Bekanntenkreis und zahlte einen Wochenlohn mit Trennungszulage für Verheiratete. Zeitgleich erhielt die Gruppe ihren ersten Auftrag – ein Attentat auf Hans von Seeckt, Chef der Heeresleitung und seit dem 8. November 1923 vom Reichspräsidenten Ebert vorübergehend mit der vollziehenden Gewalt in der Weimarer Republik beauftragt. Der Anschlag wurde ernsthaft vorbereitet, Seeckt sollte beim morgendlichen Ausritt im Tiergarten an einer ausgesuchten Stelle niedergeschossen werden. Zum ausgewählten Termin gab es allerdings Frost und keinen Ausritt. Es seien weitere Pläne geschmiedet worden, bis Mitte Dezember die »Beseitigung« Seeckts von Brandler persönlich »zurückgestellt« worden sei, weil dieser »die Beseitigung des Generals damals nicht mehr für politisch klug hielt«, so eine Aussage Neumanns. Ein Grund, warum die Beseitigung Seeckts zu irgendeinem anderen Zeitpunkt »politisch klug« gewesen sein könnte, erschließt sich nicht.

Ende Dezember 1923 hatte die alte KPD-Führung ihren Einfluss verloren, die hohen Sowjetfunktionäre hatten Deutschland verlassen und die neue KPD-Führung hatte die Macht noch nicht übernommen. Möglicherweise handelte Roze ab dieser Zeit eigenmächtig. Jedenfalls bekam die T-Gruppe dann von ihm den Auftrag, einen Berliner Waffeninspekteur umzubringen, der gleichzeitig für die Polizei arbeitete. Es war Neumann selbst, der am 7. Januar 1924 auf jenen Mann namens Johann Rausch schoss und ihn so schwer verletzte, dass dieser neun Wochen später verstarb. Das war der einzige ausgeführte Anschlag der T-Gruppe.

Anfang Februar fuhren Mitglieder der Gruppe nach Stuttgart, um auf Anforderung der dortigen KPD-Oberbezirksleitung einen abtrünnigen Kommunisten, einen lästigen Kriminalbeamten und den württembergischen Innenminister zu »beseitigen«. Während der Vorbereitungen wurde die Gruppe Ende Februar verhaftet. Nachdem einige Mitglieder vor der Stuttgarter Polizei Aussagen getätigt hatten, machte auch Neumann Angaben, allerdings nur zu Sachverhalten, über die die Polizei schon Bescheid wusste. Die Verhaftung Rozes verantwortete er nicht, sie ging auf Aussagen anderer Gruppenmitglieder zurück.

Ende April 1926 machte, sicher nicht zufällig wenige Tage vor der Reichstagswahl am 4. Mai, die Stuttgarter Polizei ihre Ermittlungsergebnisse über die »Deutsche Tscheka« öffentlich. Es schadete den Kommunisten nicht – die KPD-Fraktion wurde mit 62 statt vorher 16 Mandaten viertstärkste Fraktion im Reichstag. Das Parteiblatt »Die Rote Fahne« deklarierte Neumann allerdings zu einem »Agent-Provokateur, der sich in die Reihen der KPD eingeschlichen hat«, und die »sensationelle Reichs-Tscheka-Gruppe« zu »bezahlten Subjekten der Polizeibehörden«. Neumanns Familie wurde die Unterstützung der Partei entzogen, er bekam von dieser keinen Anwalt gestellt. Seine Versuche, über seine Frau mit der KPD-Führung in Kontakt zu treten, blieben erfolglos. Im Juli beging der offenbar verzweifelte Neumann einen Selbstmordversuch; er konnte gerettet werden. Daraufhin entschloss er sich zu umfangreichen Aussagen über Strukturen, Personal und Vorgänge in der KPD-Führung sowie dem Parteiapparat an sich. Ein Vergleich mit mittlerweile offenliegenden KPD-Akten zeigt, dass Neumanns Aussagen zutreffend waren. Es war das törichte Verhalten der neuen linksradikalen KPD-Führung um Ruth Fischer und Arkadij Maslow, das den zum Sündenbock abgestempelten Neumann in die Arme der Untersuchungsbehörden trieb.

Im Prozess trat Neumann als eine Art Kronzeuge auf, der aber sich selbst am meisten belastete. Auffällig war auch die konfliktorientierte Verteidigung durch die kommunistischen Anwälte, die auf einen voreingenommenen, cholerischen und allgemein als überfordert beschriebenen Richter traf. Die juristischen Auseinandersetzungen sind übrigens Gegenstand einer Broschüre des nichtkommunistischen Anwalts Arthur Brandt, »Der Tscheka-Prozeß«, ein von der KPD bestelltes und honoriertes Werk (1979 neu aufgelegt). Begleitet wurde der Prozess von einer groß aufgezogenen Propagandakampagne der KPD, deren Leitung Willi Münzenberg übernommen hatte und die vorrangig den »Spitzelcharakter« des Verfahrens herausstellen sollte. Zeitweise wurde Neumann als von erblichem Schwachsinn befallen geschildert, was man aber schnell wieder fallenließ, weil sich dies nicht überzeugend mit der Behauptung vertrug, er sei ein besonders raffinierter Polizeispitzel gewesen, der sich in den kommunistischen Parteiapparat hatte einschleichen können.

Der Prozess endete mit drei Todesurteilen: für Skoblewsky, Neumann und ein weiteres T-Gruppenmitglied. Zudem wurden zum Teil sehr hohe Haftstrafen verhängt. Die linkssozialdemokratische, aber nicht kommunistenfreundliche »Leipziger Volkszeitung« nannte das Urteil einen »neuen Beweis für die Klassengerichtsbarkeit in der deutschen Republik«, auch weil völkische Täter meist ungleich milder bestraft wurden, wenn man sie denn überhaupt belangte.

Skoblewsky-Roze wurde von der Sowjetunion freigepresst; er reiste im September 1926 aus. Zu Hause erhielt einen weiteren Orden und ein höheres Armeekommando, allerdings in Mittelasien, weit weg von der sowjetischen Hauptstadt. Auch er geriet dann in die Mühlen des Stalinschen Terrors: 1938 verhaftet, starb er im Januar 1939 im Gefängniskrankenhaus noch vor einer Verurteilung.

Neumann wurde erst zu lebenslanger Haft begnadigt; seine Strafe wurde im Zuge einer Amnestie 1930 aufgehoben. Da war Neumann allerdings schon längst nicht mehr in Haft, 1928 war ihm während eines Arztbesuchs die Flucht gelungen. Im Gefängnis hatte er sich mit Nazis angefreundet, die ihm zu falschen Papieren und einer Unterkunft nach geglückter Flucht verholfen hatten. Ab 1930 war er erfolgreich als Redner für die NSDAP tätig, 1933 wurde er deren hauptamtlich Kreisgeschäftsführer in Wiesbaden, im Jahr darauf aber wegen seiner kommunistischen Vergangenheit entlassen, später jedoch rehabilitiert. Verstorben ist Neumann, verurteilt von einem sowjetischen Militärtribunal, vermutlich im November 1947 an einer Lungen-TBC im Speziallager Bautzen.

Die Lebenswege der übrigen Angeklagten, soweit man sie verfolgen kann, verliefen sehr unterschiedlich. Manche wurden in der Sowjetunion erschossen oder von der SA erschlagen, andere machten in der DDR Karriere.

Nach dem »Tscheka-Prozess« hatte die Reichsanwaltschaft noch einen großen Prozess gegen die KPD-Führung geplant. Die Vorermittlungen wurden durch eine 1928 im Deutschen Reichstag beschlossene Reichsamnestie beendet. Parteiübergreifend bestand der Wunsch, nach den ersten unruhigen fünf Jahre der Weimarer Republik mit Putschversuchen und Mordaktionen, Inflation und Verelendung, bewaffneten Auseinandersetzungen und Ausnahmezustand zu einer gewissen Normalität und Ruhe zu gelangen.

Der KPD war der »Tscheka-Prozess« im Nachhinein peinlich. Auch die Geschichtsschreibung der DDR verschwieg ihn. Bürgerliche Erzählungen hingegen wiederholen die übertriebenen Zeitungsberichte und Behördenmeldungen von einer angeblich schrecklichen, furchterregenden deutschen Tscheka. Um mehr Sachlichkeit bemühte Publizisten wiederum beschränken die gesamte Angelegenheit auf eine durch die Polizei gesteuerte Spitzelorganisation.

Unser Autor, Jg. 1951, studierte Mathematik in Jerewan, wurde an der Moskauer Lomonossow-Universität promoviert und war bis 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter am mathematischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin; seit 1997 forscht er zudem zur Geschichte der KPD und Komintern.

Der KPD-Führung war der Tscheka-Prozess peinlich, die DDR-Historiografie verschwieg ihn.

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