Israel und Hamas: Die halbe Wahrheit

Über den desolaten Zustand der palästinensischen Gefangen erfahren wir in den deutschen Medien so gut wie nichts, kritisiert Pauline Jäckels

Zahlreiche Gefangenen berichteten über Folter in dem israelischen Gefangenenlager »Sde Teiman« in der Negev Wüste.
Zahlreiche Gefangenen berichteten über Folter in dem israelischen Gefangenenlager »Sde Teiman« in der Negev Wüste.

Als Teil des Waffenstillstanddeals zwischen Israel und der Hamas wurden am Samstag drei weitere israelische Geiseln freigelassen. Im Gegenzug hat Israel 183 palästinensische Gefangene aus israelischer Haft entlassen. Über den desolaten Gesundheitszustand der isralischen Geiseln berichten fast alle deutschen Medien ausführlich. Das ist auch richtig so: Die drei Männer, die Hamas-Kämpfer bei einer propagandistischen Zurschaustellung im Gazastreifen vorführten, sahen sichtlich abgemagert aus. Offensichtlich ist die Hamas ihrer Pflicht, die Geiseln medizinisch zu versorgen und ausreichend zu ernähren nicht nachgekommen.

Wer sich in deutschsprachigen Medien aber über den Zustand der palästinensischen Gefangenen informieren will, muss lange suchen. Nur ganz vereinzelt und wenn überhaupt nur am Ende der Berichte wird in einem Satz erwähnt, dass auch palästinensische Gefangene aufgrund ihrer schlechten gesundheitlichen Situation in Krankenhäuser eingewiesen wurden. Ein Mann, der nach eigenen Angaben im Dezember 2023 im Norden des Gazastreifens von der israelischen Armee gefangengenommen wurde, berichtet in einem Video von »Foltermethoden, die sich nicht beschreiben lassen«. In einem Gefängnis in der Negevwüste hätte die israelische Armee etwa Elektroschocks gegen die Gefangenen angewendet oder Hunde auf sie gehetzt, außerdem sei er dazu gezwungen worden, mit verbundenen Augen auf dem Boden zu knien.

Zwar lassen sich die Angaben des Mannes nicht unabhängig überprüfen, sie decken sich jedoch mit zahlreichen Recherchen zu den Zuständen in den israelischen Gefangenenlagern in der Negevwüste. In einem UN-Bericht ist die Rede von Elektroschocks, Schlafentzug, Waterboarding und sexualisierter Gewalt gegenüber Häftlingen. Amnesty International kritisiert außerdem, dass Palästinenser aus dem Gazastreifen dort ohne Anklage und Gerichtsurteil auf unbestimmte Zeit festgehalten werden. Auch diese Hintergrundinformationen werden deutschen Medienkonsumenten im Kontext des jüngsten Gefangenendeals vorenthalten.

Die deutsche Berichterstattung über den Gefangenenaustausch ist nur ein weiteres von vielen Beispielen dafür, dass wir hierzulande von den großen Medienhäusern häufig nur einen Teil der Wahrheit zu hören bekommen. Trotz anhaltender Kritik an der Einseitigkeit der Berichterstattung zum Gaza-Krieg scheint sich diesbezüglich bei den Redaktionen kaum etwas getan zu haben. Nicht nur ist das kein guter Journalismus – ob bewusst oder unbewusst trägt man so auf Dauer mit dazu bei, dass die Verbrechen der israelischen Regierung unsichtbar bleiben.

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