Ernest Hemingway in Österreich: Ein Schriftsteller auf Skiern

Vor 100 Jahren kam Ernest Hemingway ins Montafon in Vorarlberg. Eine Skitour auf den Spuren des Nobelpreisträgers

  • Christian Schreiber
  • Lesedauer: 5 Min.
Abfahrt Richtung Silvretta-Stausee, den es zu Hemingways Zeiten freilich noch nicht gab
Abfahrt Richtung Silvretta-Stausee, den es zu Hemingways Zeiten freilich noch nicht gab

Ein Rudel Gämsen hat ein Schneebrett ausgelöst. Die weiße Wolke rauscht quer über den Hang und verschluckt unsere Spuren, die wir mühsam mit den Tourenski in die Landschaft am 2000 Meter hoch gelegenen Silvrettasee im Vorarlberger Montafon gelegt haben. Es herrscht erhebliche Lawinengefahr, die 3000er um uns herum sind in dicken Nebel gepackt. Wir blicken ins weiße Nichts. Und wenn die Decke doch mal kurz aufreißt, sehen wir am Steilhang immer noch die Gämsen, die durch die Felsen turnen.

»So ähnlich muss es sich damals für Hemingway angefühlt haben«, sagt Bergführer Hanno Dönz, der die schweißtreibende Arbeit übernommen hat, mit seinen Skiern den frisch gefallenen Schnee platt zu treten. Was er meint: Wenn es hart auf hart kommt, kann heute kein Hubschrauber der Bergwacht aufsteigen, weil die Nebelsuppe undurchdringlich ist.

Winterferien als literarische Inspiration

Vor 100 Jahren gab es freilich weder Helikopter noch Rettungstruppen: Am 20. Dezember 1924 reiste der US-amerikanische Schriftsteller nach Vorarlberg, um dem trüben Winter in Paris zu entkommen, wo er damals seinen Wohnsitz hatte. Ernest Hemingway verbrachte drei Monate in dem österreichischen Tal und war so angetan, dass er im Jahr darauf wiederkehrte. Das Meiste, was über die Hemingway’schen Winterferien im Montafon bekannt ist, hat man dem Autor selbst zu verdanken. In Werken wie »Paris – ein Fest fürs Leben« oder »Schnee auf dem Kilimandscharo« reflektierte er seine Aufenthalte, die er vor allem für Skitouren nutzte. Nun spuren wir durch die Winterlandschaft, um Spuren von Hemingway zu finden. Was ist von dem Literaturnobelpreisträger geblieben?

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Hemingway stieg zusammen mit Skilehrer Walther Lenz auf die hohen Gipfel der Region, querte die damals noch stattlichen Gletscher. »Wir wurden zu großen Lawinenforschern, lernten, welche verschiedenen Typen von Lawinen es gibt, wie man sie vermeidet und wie man sich verhält, wenn man in eine hineingerät.« Anno 2025 gehen uns ähnliche Gedanken durch den Kopf. »Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir weitergehen«, sagt Bergführer Dönz. Wir tasten uns an den steilen Hängen des Sees entlang, lassen respektvollen Sicherheitsabstand zum Vordermann. So geht das mehr als eine Stunde, dann verbessert sich unsere Lage zum Glück. Den See im Rücken steigen wir durch das relativ breite Ochsental Richtung Wiesbadener Hütte.

Zwiebelrostbraten mit Sardellen als Stärkung

Der Start war am Morgen im »Madlenerhaus« auf 2000 Metern Höhe. Beim ersten Montafon-Trip hat Hemingway dort gleich eine ganze Woche verbracht. Freilich ist die Herberge umgebaut und modernisiert, zwischendurch sogar einmal abgebrannt. Im selben Zimmer, im selben Lager schlummern wie Hemingway, ist nicht drin. Immerhin hängt über der Tür zum Gastraum das Schild »Hemingway-Stube«. Wer eintritt, kann in »Hemingways Ecke« Platz nehmen, die ebenfalls per Holztafel ausgewiesen ist.

An den Wänden hängen drei Schwarz-Weiß-Bilder, der Schriftsteller ist zumindest einmal zu sehen. »Wir haben das Zeug aus der Abstellkammer geholt und wieder aufgehängt«, erklärt Hüttenwirtin Christine Spiss, die das »Madlenerhaus« 2019 mit ihrem Mann Elvis übernommen hat. Der steht in der Küche und kocht für weniger als 50 Euro ein viergängiges Halbpensionsmenü, das ohne Weiteres den Ansprüchen eines noblen Hotels standhalten würde. Für die neugierigen Gäste hat er eine Überraschung parat. Als Hauptgang erhalten sie einen Zwiebelrostbraten mit Sardellen. »Das war Hemingways Lieblingsessen bei uns im Montafon.«

Das Paar macht sich keinen allzu großen Kopf wegen des berühmten Schriftstellers. Es sind weder Feste noch Feiern, noch nicht einmal Werbe- oder PR-Aktionen zum hundertjährigen Jubiläum geplant. Das ist merkwürdig und angenehm zugleich. Niemand im Montafon macht ein großes Ding aus dem Hemingway-Jubiläum. Jeder hat eine Geschichte über den Schriftsteller parat, aber keiner möchte die Vergangenheit ausschlachten und sie zu sehr zum eigenen Vorteil nutzen.

Die Schweiz war Hemingway zu teuer

Selbst das »Hotel Taube«, das am Talanfang in Schruns steht, pflegt in dieser Hinsicht Understatement. Hemingway hatte dort seine Basisstation, das Haus für dessen Komfort und das Essen gelobt. Hinter verschlossenen Türen fanden Pokerrunden statt. Wenn die Polizei patrouillierte, löschten die Teilnehmer kurz das Licht. Dort erarbeitete sich Hemingway auch einen Ruf als trinkfester Ausländer, der die Einheimischen selbst beim Schnapseln mit Kirschwasser übertraf.

Auch im zweiten Winter wohnte er wieder in der Herberge in Schruns. »Da waren dann schon Groupies dabei. Die Zeit beschreibt Hemingway als nicht mehr so unbeschwert wie das Jahr davor«, erklärt Dönz, der viele Jahre als Lehrer arbeitete, ehe er Bergführer wurde.

Er weiß auch, warum Hemingway überhaupt ins Montafon kam, nachdem er in der Schweiz bereits erste Ski-Erfahrungen gesammelt hatte. »Die Schweiz war ihm zu teuer. Also riet ihm ein Freund zum Montafon.« Neben dem »Hotel Taube« und dem »Madlenerhaus« diente Hemingway dort die Wiesbadener Hütte auf knapp 2500 Metern als dritte Herberge. Sie war auch damals schon im Winter bewirtschaftet, obwohl sie nur von einer Handvoll Tourengeher leben musste.

Tipps
  • Anreise: Per Bahn nach Bregenz, dort Umstieg in den Regionalzug (S4) nach Schruns. www.bahn.de
  • Unterkünfte: Im Tal bieten sich etwa »Hotel Taube« oder »Hotel Zimba« an. Beide befinden sich in Schruns und bieten alle Annehmlichkeiten, die man als Skifahrer/Tourengeher benötigt (Saunen, Pools etc.).
    www.posthotel-taube.at
    www.hotel-zimba.at
    Ursprünglicher geht es im »Madlenerhaus« zu, wo es Doppel-, Mehrbett-Zimmer und Lager gibt. Die Wintersaison startet am 18. Januar. Die Unterkunft ist im Winter nur von Partenen aus mit der Vermuntbahn und einem Kleinbus durch zwei Stollen erreichbar. Bei geeigneten Verhältnissen kann man allerdings mit Touren-Ski oder Schneeschuhen ab Partenen aufsteigen.
    www.madlenerhaus-silvretta.com

Heute sieht die Sache freilich ganz anders aus. Schon beim Aufstieg durchs Ochsental, das nicht nur breit, sondern auch lang ist, stoßen wir auf ein gutes Dutzend Wintersportler, die sich trotz der unsicheren Lage hinausgewagt haben. Fast zeitgleich mit uns trifft eine Gruppe französischer Soldaten an der Hütte ein. 25 Mann, angeführt von einer Frau.

Derartige Bekanntschaften machte Hemingway sicher nicht. Aber es gab einige Begegnungen und Begebenheiten in der Silvretta und ihren Dörfern, die er literarisch verarbeitete. Das Örtchen Galtür im heutigen Tirol zählte damals zur Schweizer Pfarrgemeinde Ardez (Graubünden). Die Leichen mussten auf dem Friedhof in der Schweiz beerdigt werden. Im Winter war der Transport unmöglich, also wurden die Toten in einem Stadel zwischengebettet. In der Kurzgeschichte »Männer ohne Frauen« strickte Hemingway daraus die Story eines Witwers, der seine verstorbene Ehefrau auf den Holzstapel legt und ihr eine Lampe in den Mundwinkel hängt. In Galtür soll man nicht besonders glücklich sein über diese Story. »Hemingway kam nicht bei allen gut an«, sagt Dönz.

Die Recherche wurde unterstützt von Montafon Tourismus.

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