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Die Fünf-Prozent-Hürde als sich selbst erfüllende Prophezeiung
Studie der Universitäten Potsdam und Wien: Wenn’s knapp wird, können Umfragen wahlentscheidend sein
Offenbar haben Umfragen im Vorfeld von Wahlen einen größeren Einfluss auf das Ergebnis, als man ihnen gemeinhin zutraut. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl am 23. Februar veröffentlichte die Universität Potsdam eine Studie, der zufolge es ganz entscheidend ist, ob eine Partei vor Wahlen bei Umfragen knapp über oder knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde liegt.
Der Potsdamer Politikwissenschaftler Werner Krause hat gemeinsam mit Christina Gahn von der Universität Wien auf diesem Feld geforscht. Ihm zufolge ist es von großer Bedeutung, wie Parteien unmittelbar vor einer Wahl in den Umfragen in Bezug auf die Sperrklausel von fünf Prozent dastehen. Weniger bei Kommunal- oder Landtagswahlen – vor allem bei Bundestagswahlen entscheiden sich viele Wähler strategisch. Es sei ihnen keineswegs gleichgültig, ob eine Umfrage die eigentlich bevorzugte Partei ins Aus schiebt oder ihr Chancen auf einräumt.
»Bewegen sich Parteien kurz vor der Wahl unterhalb der Sperrklausel, etwa bei 4,5 Prozent, so verringert sich die Wahrscheinlichkeit, am Wahltag in das Parlament einzuziehen, um durchschnittlich 45 Prozentpunkte im Vergleich zu Parteien knapp oberhalb der Sperrklausel. Konkret heißt das, dass im Schnitt nur eine von vier Parteien unmittelbar unter der Sperrklausel den Sprung ins Parlament schafft. Liegen die Parteien knapp darüber, sind es drei von vier.«
Bei der Brandenburger Landtagswahl am 22. September verpassten Grüne, Linke und Freie Wähler den erneuten Sprung ins Parlament. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erzielte 13,5 Prozent. Für die Bundestagswahl am 23. Februar werden dem BSW inzwischen 11 Prozent in Brandenburg und bundesweit nur noch 3 bis 4 Prozent vorhergesagt. Ein weiteres Handicap für die erst vor einem Jahr gegründete Partei: Da sie bei der Bundestagswahl 2021 noch nicht existierte, steht sie jetzt auf den Wahlzetteln ganz weit unten. Die Linke erzielte bei der Landtagswahl gerade einmal noch 3 Prozent. Nun aber liegt sie in Brandenburg wieder bei 5 Prozent, bundesweit sogar bei 6 Prozent. Solche Umfragewerte helfen der Linken und schaden dem BSW.
Die Sonntagsfrage der Meinungsforschungsinstitute (Was würden Sie wählen, wenn am Sonntag Wahl wäre?) könne die Wahrscheinlichkeit, am Wahltag ins Parlament einzuziehen, »systematisch beeinflussen«, heißt es in der Studie. »Dieser Effekt ist angesichts der statistischen Unsicherheiten in Umfrageergebnissen, die der Wählerschaft selten klar nachvollziehbar mitgeteilt werden, problematisch«, sagt Politikwissenschaftler Krause. Außerdem zeigen die Befunde der Studie auch, dass dieser Effekt abnimmt, sobald den Wählenden die Unsicherheiten der Umfragewerte klargemacht werden.
»Diese Studie erweitert unser Verständnis des Schicksals kleiner Parteien und beleuchtet weniger erforschte Kontextfaktoren. Die Ergebnisse liefern neue Erkenntnisse zu Debatten über die Ursachen der Fragmentierung von Parteiensystemen und die Rolle von Meinungsumfragen in modernen Demokratien, die für Akademiker, öffentliche Experten, Journalisten und Wähler gleichermaßen relevant sein werden«, fasst Krause zusammen.
Laut Landeswahlleiter Josef Nußbaum treten in Brandenburg diesmal 132 Kandidaten zur Bundestagswahl an, darunter 46 Frauen. Gegenüber der Wahl 2021 ging die Zahl der Bewerber um 100 Personen zurück. Vermutlich ist das auf die kurze Frist bis zur von September auf Februar vorgezogenen Wahl zurückzuführen. Der Frauenanteil stieg gegenüber 2021 von 29,7 auf 34,8 Prozent. In den zehn Brandenburger Wahlkreisen treten 28 Frauen und 57 Männer als Direktkandidaten an. Für sie werden die Erststimmen vergeben. Mit den Zweitstimmen werden die Parteien und damit die Kandidaten auf deren Landeslisten gewählt. Zwölf Landeslisten sind in Brandenburg zugelassen und stehen nun auf den Stimmzetteln. Es sieht so aus, als könnte die AfD neun von zehn Wahlkreisen gewinnen, nur nicht den Wahlkreis in Potsdam, den vermutlich Kanzler Olaf Scholz (SPD) gegen seine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verteidigt. Aber das sind nur Prognosen.
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