Der Osten widersetzt sich dem DFB

Die Klubs des Nordostdeutschen Fußballverbandes fordern eine »Aufstiegsreform 2025« und lehnen die DFB-Pyro-Bestrafungen ab

Fans des Regionalligisten Chemie Leipzig im Alfred-Kunze Sportpark
Fans des Regionalligisten Chemie Leipzig im Alfred-Kunze Sportpark

Die Stimme des Ostens, sie war in den vergangenen 35 Jahren meist leise, manchmal klang sie auch ein wenig unterwürfig. Und das gerüchteweise ja nicht nur im Fußball. Doch dort, scheint es, ändert sich das gerade gründlich. In den vergangenen drei Wochen ließ der Fußball-Osten gleich zweimal aufhorchen: Am Mittwoch luden Vertreter von Ost-Regionalliga-Klubs wie RW Erfurt, Chemnitzer FC oder FC Carl Zeiss Jena zu einer Pressekonferenz nach Chemnitz, auf der sie die Forderung nach einer »Aufstiegsreform 2025« artikulierten: »Meister müssen aufsteigen.«

Bei derzeit fünf Regionalligen wäre genau das auch problemlos möglich, wenn zugleich fünf Drittligisten abstiegen. Das jedoch ist seit Jahrzehnten ebenso wenig durchsetzbar wie eine Lösung, die aus fünf Regionalligen vier macht. Die Meister der Staffeln West und Südwest erhalten dabei jedes Jahr einen festen Aufstiegsplatz. Das ist einigermaßen plausibel, da auf deren Territorien gemeinsam über 50 Prozent der gemeldeten Herrenmannschaften kicken. Die Meister der Staffeln Nordost, Nord und Bayern teilen sich hingegen jährlich rotierend den Aufstieg, während die beiden anderen Staffelmeister den vierten Platz in Aufstiegsspielen ausspielen.

Richtig zufrieden ist mit dieser Praxis niemand. Denn grundsätzlich ist es möglich, dass ein Team mit 20 Punkten Vorsprung Erster wird, aber nicht aufsteigt, weil der Schiedsrichter im Entscheidungsspiel eine Fehlentscheidung trifft. Hinter vorgehaltener Hand wird dabei immer wieder auf Bayern gezeigt, das als eines von 16 Bundesländern eine eigene Staffel unterhält. So absurd, wie das im ersten Moment klingt, ist das bei 13 Millionen Einwohnern nicht. Und dennoch zeigt das bayerische Beispiel, woran es dem Fußball-Osten bislang zu oft mangelte: Der langjährige DFB-Vize und Chef des Bayerischen Fußball-Verbandes Rainer Koch war bis zu seinem Rücktritt 2022 ein bestens vernetzter Lobbyist der bayerischen Fußball-Interessen – einer der Hauptgründe, warum sein Verband eine eigene Staffel behalten durfte.

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Nun allerdings üben auch die Klubs aus der Regionalliga Nordost (zu der auch kleinere Westberliner Klubs wie Hertha Zehlendorf gehören), Druck in eigener Sache aus. Im Detail gab man sich dabei kompromissbereit. Denkbar sei beispielsweise, dass die SpVgg Bayreuth in eine Ost-Liga wechselt, der Greifswalder FC hingegen in die Nord-Staffel. Den Status quo werde man aber nicht weiter akzeptieren, so Daniel Meyer vom Halleschen FC: »Es ist nicht mehr damit getan, uns zu vertrösten.« Zudem, so André Beuchold vom FSV Zwickau, locke die Regionalliga Nordost die meisten Zuschauer in die Stadien.

Wenige Tage zuvor hatten ostdeutsche Klubvertreter der Ligen zwei bis vier(ohne RB Leipzig, aber mit dem Westberliner Zweitligisten Hertha BSC) zusammen mit ihren Fanszenen gegen den Pyro-Strafenkatalog des DFB protestiert – zunächst mit einer offiziellen Erklärung. Und dann mit zahlreichen Protestplakaten in den Kurven. Hauptkritikpunkt: Die gegenwärtige Strafpraxis unterscheide nicht zwischen »gefährlicher« Pyrotechnik, die auch nach Ansicht der Unterzeichner weiterhin sanktioniert werden soll, und harmloser, die als Stimmungselement über die Ultrakreise hinaus akzeptiert sei. Als »missbräuchliche Verwendung« definieren die Klubs den »gezielten Einsatz gegen Personen oder Wurf auf das Spielfeld«. Gegenwärtig werde jedoch auch der Einsatz von Pyrotechnik bestraft, bei dem niemand zu Schaden komme. Für die Saison 2023/24 führte die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze insgesamt 114 Verletzte durch Pyrotechnik in den ersten drei Ligen auf. In der Regionalliga Nordost kamen demnach keinerlei Unbeteiligte durch Pyrotechnik zu Schaden.

»Es ist nicht mehr damit getan, uns zu vertrösten.«

Daniel Meyer 
Sportdirektor beim Halleschen FC

Dennoch werden derzeit pauschal pro abgebranntem Pyro 1000 Euro in der 1. Bundesliga, 600 Euro in der 2. Bundesliga und 350 Euro in der 3. Liga fällig. Wird ein Feuerwerkskörper geworfen oder abgeschossen, kostet das 3000 Euro (2. BL: 1500, 3. Liga: 750). Für den DFB ist das ein einträgliches Geschäft. Für die Vereine der dritten und vierten Liga – erstere bekommen wenig, letztere so gut wie überhaupt kein Fernsehgeld – summiert sich das zu Beträgen, die die Klubs als »existenzgefährdend« bezeichnen. So hat Drittligist Dynamo Dresden in der vergangenen Saison 188 000 Euro an Pyrostrafen gezahlt, aus der dritten Liga gingen insgesamt 1,5 Millionen Euro an den DFB.

Die ostdeutsche Initiative wirft nun die Frage auf, welchen Nutzen eine Praxis habe, die seit Jahren ihrem angeblichen Ziel, einem pyrofreien Stadion, keinen Schritt nähergekommen sei. Dass das Berliner DFB-Pokalfinale, bei dem der DFB selbst als Veranstalter fungiert, Jahr für Jahr zu den Fußballspielen gehört, bei dem am meisten gezündet wird, beweise, dass der repressive Weg gescheitert sei.

»Wir sehen doch alle, dass wir der Probleme nicht Herr werden«, sagt dann auch Ralph Grillitsch. Der Präsident des Regionalligisten FC Carl Zeiss Jena ist einer der Initiatoren und hält die Debatte für widersprüchlich. Er habe schon eine »kognitive Dissonanz«, sagt er lachend, wenn er sehe, wie die Feierlichkeiten vorm EM-Eröffnungsspiel in München mit viel Pyrotechnik orchestriert wurden und er permanent aus dem gleichen Grund hohe Summen an die Verbände überweise. Und zwar unabhängig davon, ob »minutenlang Rauch das Spielfeld vernebelt oder ob kurz zwei Blinker im Block zu sehen sind, weil jemand aus der Fanszene gestorben ist.« Die Geldstrafen tun weh: »Für uns im Osten ist das ein echter wirtschaftlicher Faktor, zumal wir politisch nicht gerade überrepräsentiert sind.«

Die Klubvertreter bemängeln, dass nicht klar sei, wofür die Strafzahlungen ausgegeben werden. Ziel, so Grillitsch, sei es nun, »permanent in den Dialog mit den Verbänden zu kommen«. Thomas Kessen, Sprecher des Fan-Zusammenschlusses »Unsere Kurve«, hält die Zeit für reif, die Law-and-order-Linie bei der Pyrotechnik zu verlassen: »In Zeiten, in denen sich nicht mal mehr die einschlägigen Boulevardmedien über Pyro ereifern, sollten sich auch Verbände und Sportgerichte hinterfragen. Wir begrüßen jede Initiative, die das Ziel hat, die verhärteten Fronten aufzuweichen«.

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