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Klimakrise: Schluss mit den Appellen
Raul Zelik über Klassenfragen im Klimawandel
Fast sieben Jahre nach den ersten Schulstreiks spielt Klimapolitik in der Öffentlichkeit heute kaum noch eine Rolle. Eine Umfrage der »Augsburger Zeitung« wusste schon vor einem Jahr Bescheid: »Zwei Drittel der Deutschen halten ›Fridays for Future‹ für gescheitert.«
Bereits das Design der Umfrage muss man wohl als Teil der rechten Gegenkampagne bezeichnen. Denn der Umstand, dass sich in Deutschland keine Klimapolitik durchsetzen ließ, lag natürlich nicht an den Defiziten einer Jugendbewegung, sondern am Wirtschaftssystem. Grenzenloses Wachstum und ökologische Nachhaltigkeit passen nicht zusammen. So einfach ist das.
Wenn sich die Klimabewegung selbstkritische Fragen stellen möchte, dann am besten jene zuerst, ob sie den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und ökologischer Krise nur unzureichend thematisiert hat. Anstatt sich mit höflichen Appellen an Regierende aufzuhalten, hätte sie wahrscheinlich besser die Konzernzentralen fossiler Unternehmen attackiert. Luisa Neubauer und Maja Göpel, als zwei prominente Stimmen der Bewegung, haben sich diesem Anliegen immer widersetzt. Es sei nicht die Zeit, um Systemfragen zu stellen, glaubten sie.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat immer auf die internationale Ungleichheit zwischen reichem Norden und armem Süden verwiesen. Aber auch bei uns ist der Klimawandel zwischen den Klassen ausdifferenziert.
Mittlerweile allerdings ist offensichtlich geworden, dass die Klimakrise nicht nur mit dem Kapitalismus zu tun hat, sondern sich auch als Klassenfrage äußert. Wenn Ernten ausfallen und sich Extremwetter häufen, verschärft sich die soziale Not der Armen. Sie können sich Lebensmittel nicht mehr leisten und verlieren ihre Häuser. Die Vorstellung, bei der Klimakrise säßen »alle im selben Boot«, ist großer Unfug. Gerade in Krisen nehmen die sozialen Unterschiede rasant zu.
Doch auch wenn man die soziale Dimension erkennt, stellt sich natürlich die Frage, was damit genau gemeint ist. Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat immer wieder auf die internationale Ungleichheit verwiesen: Der globale Süden wird von einer Umweltkrise zerstört, die der Norden verursacht. Diese völlig richtige Beobachtung hat allerdings ein Problem: Es schließt sich die Frage an, mit wem und gegen wen die Klimakämpfe eigentlich geführt werden sollen. Mit all denjenigen, die »ungerecht« finden, was geschieht? Das sind in der Regel genau jene Mittelklassen, die von der Krise viel weniger hart getroffen werden.
Nicht zuletzt deshalb haben Linke, die auch weiter an die Bedeutung von Arbeitskämpfen glauben, stattdessen die Begriffe »Klimapopulismus« bzw. »ökologische Klassenpolitik« stark gemacht. Die Idee des Linkspopulismus, wie er von US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders geprägt wurde, besteht darin, soziale Spaltung und Gegner offensiv zu benennen. Denn Solidarität »von unten« entsteht erfahrungsgemäß immer auch aus der Abgrenzung von »denen da oben«.
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Wie sehr der Klimawandel auch im Norden nach Klassen ausdifferenziert ist, belegen mittlerweile viele Studien. Die CO2-Emissionen der reichsten 10 Prozent sind um ein Vielfaches höher als die des ärmsten Drittels der Deutschen, und umgekehrt wird der Klimawandel auch hierzulande für Arme zunehmend zu einer materiellen Bedrohung. Die »Students for Future« oder das Netzwerk »Marx 21« bemühen sich deshalb schon lang um eine Vernetzung zwischen Klimaaktivist*innen und Gewerkschafter*innen aus dem öffentlichen Nahverkehr. Die Kämpfe um materielle Umverteilung, den Ausbau öffentlicher Infrastrukturen und ökologische Transformation kann man nur gemeinsam gewinnen.
So sieht sie aus die Zukunft einer Klimabewegung, die die Herrschenden wirklich herausfordern kann: eine ökologische Klassenpolitik, die von der Klimagerechtigkeitsbewegung den Internationalismus und vom Klimapopulismus die Bereitschaft übernimmt, den Gegner zu adressieren. Wer den ökologischen Kollaps verhindern will, wird sich mit den Unternehmen und ihren Regierungen anlegen müssen.
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