Gewerkschaftsexpertin Zeise: »Neue Ansätze ausprobieren«

Organizing-Methoden verändern Gewerkschaften, Bewegungen und Die Linke

In den vergangenen Jahren haben sich mehr Menschen direkt am Arbeitskampf beteiligt, meint Fanny Zeise, Referentin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
In den vergangenen Jahren haben sich mehr Menschen direkt am Arbeitskampf beteiligt, meint Fanny Zeise, Referentin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Wir sind mitten in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Was ist diesmal anders als sonst?

Sie fallen mitten in den Regierungswechsel. Und da stellt sich natürlich die Frage, wie sie unter einem möglichen Kanzler Friedrich Merz ausgehen sollen. Die Arbeitgeber haben Roland Koch als Schlichter eingesetzt. Als hessischer Ministerpräsident hat Koch 2004 Tarifflucht begangen, ist also ein echter Hardliner. Es wird vermutlich auf einen harten Konflikt mit den Kolleg*innen hinauslaufen.

Sie arbeiten seit bald 15 Jahren zu Ihrem Schwerpunkt. Haben sich Gewerkschaften seitdem verändert?

Unbedingt. Als ich anfing, hatten sich die Bedingungen wegen der Agenda 2010 deutlich verschlechtert. Aus den linken Wissenschaften wurde der Aufbau gewerkschaftlicher Machtressourcen debattiert und der Blick unter anderem auf Organizing-Methoden in den USA geworfen. Bei vielen Gewerkschafter*innen setzte sich die Ansicht durch, dass man neue Ansätze ausprobieren müsse. Gemeinsam mit Verdi Stuttgart, die schon damals sehr auf Demokratisierung und Beteiligung setzte, haben wir als Rosa-Luxemburg-Stiftung 2013 die erste »Streikkonferenz« veranstaltet, um diese Debatten zusammenzuführen.

Interview

Fanny Zeise ist Referentin der Rosa-Luxemburg-Stiftung für den Bereich »Arbeit, Produktion, Gewerkschaften« und organisiert seit 2013 die Konferenzen »Gewerkschaftliche Erneuerung«.

Wenn von gewerkschaftlicher Erneuerung die Rede ist, fällt auch immer der Begriff »Demokratisierung von Arbeitskämpfen«. Was ist damit gemeint?

Das ist vielleicht die beeindruckendste Entwicklung der vergangenen Jahre: Tarifverhandlungen werden transparenter und mit größerer Beteiligung der Beschäftigten geführt. Vorreiter war die »Krankenhausbewegung«, die die Arbeitskämpfe in den Kliniken organisiert hat. Die Beschäftigten auf den Stationen haben Team-Delegierte gewählt, die ihre Forderungen einbrachten und den Verhandlungsstand rückkoppelten. Im öffentlichen Dienst und bei der Lufthansa hat man zuletzt ähnliche Instrumente eingesetzt. Wenn die Leute direkter am Arbeitskampf beteiligt sind, scheint das oft auch dazu zu führen, dass mehr Beschäftigte neu in die Gewerkschaft eintreten.

Bei den Verhandlungen im öffentlichen Dienst geht es um 2,6 Millionen Beschäftigte. Ist basisdemokratische Beteiligung da überhaupt möglich?

Hier gibt es die sogenanten Tarifbotschafter*innen. Bei »Arbeitsstreiks« – das sind Warnstreiks, an denen nur die Aktiven aus den Betrieben teilnehmen – übernehmen Beschäftigte die Vorbereitung des Streiks und die Ansprache der Kolleg*innen. Ich denke, es wird insgesamt mehr auf Transparenz geachtet als früher, und es gibt mehr Elemente für den gewerkschaftlichen Machtaufbau in den Betrieben.

Die nächste »Streikkonferenz« findet im Mai statt. Sie erwarten noch mehr Teilnehmende als 2023. Damals waren es 1550.

Wir gehen davon aus, dass sie sehr groß wird – wir haben zehn Wochen vor der Konferenz bereits mehr als 1300 Anmeldungen. Unser Motto lautet »Gegenmacht im Gegenwind. Gewerkschaftliche Kämpfe als Antwort auf Rechtsruck, Transformation und Kürzungspolitik.« Viele Kolleg*innen teilen das Gefühl, dass sich die Probleme zuspitzen: der Aufstieg der AfD, die Industrietransformation, der drohende Sozialabbau. Wir wollen wenige Monate nach der Wahl zusammen beraten, wie die Gewerkschaftsbewegung möglichen Angriffen auf Beschäftigteninteressen durch die neue Regierung begegnen kann.

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Das Entscheidende an der Konferenz ist, dass sie Austausch an der Gewerkschaftsbasis ermöglicht.

Ja, es sind zwar immer auch viele Hauptamtliche dabei, aber die Konferenz wird zunehmend auch von betrieblich Aktiven angenommen. Außerdem ist sie gewerkschaftsübergreifend. Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig Austausch es zwischen den Gewerkschaften gibt – also wie wenig ein IG Metaller über Verdi-Auseinandersetzungen weiß und umgekehrt. Dabei gibt es in allen Gewerkschaften Dinge, die es wert sind, entdeckt und verallgemeinert zu werden. Auch dazu dient die Konferenz.

Organizing-Methoden haben zuletzt ja bei vielen Kampagnen eine zentrale Rolle gespielt. Beim Berliner Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienkonzernen, beim Haustürwahlkampf der Linken, aber auch bei Arbeitskämpfen in Krankenhäusern. Befruchtet sich das eigentlich gegenseitig?

Ich denke, dass sich hier wirklich politische Formen verändern. Als ich 2011 in der Stiftung anfing, hat sich niemand für Gewerkschaften interessiert. Jetzt gibt es immer mehr junge Menschen, die sich intensiv mit Arbeitskämpfen beschäftigen und in Gewerkschaften eintreten. Ganz ähnlich ist es auch bei der Linken: Junge Leute, die dem Rechtsruck etwas entgegensetzen wollen, gehen zur Partei, um Haustürwahlkampf zu machen. Es geht ihnen darum, mit anderen Menschen zu sprechen und zu verstehen, wieso sie rechte Einstellungen haben und wie man damit umgehen kann. Zwischen diesen Sphären gibt es viele Überschneidungen.

Die RLS organisiert seit einigen Jahren ja auch eine globale Online-Schulung mit dem Titel »Organizing for Power«.

Die haben wir mit der US-Organizerin Jane McAlevey gestartet, die vergangenes Jahr leider verstorben ist. An der Online-Schulung nehmen nicht nur Gewerkschafter*innen teil, sondern zum Beispiel auch junge Leute aus der Mieten- und Klimabewegung oder Menschen, die gerade gegen den Rechtsruck auf der Straße sind. Bei McAleveys Methode geht es darum, wer von Beschäftigten oder Betroffenen in einem Betrieb oder einer Nachbarschaft als Führungsperson anerkannt ist und für ein Projekt gewonnen werden kann. Der Anspruch ist, beim Machtaufbau systematisch vorzugehen. Und das ist eine Frage, die sicher nicht nur in Gewerkschaften, sondern bei anderen Formen der Organisierung gestellt werden muss.

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