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Saskia Ludwig: Links vom Laden, rechts von der Mitte
CDU-Kandidatin Saskia Ludwig macht Wahlkampf vor einem Supermarkt in Brandenburg/Havel
Streufahrzeuge kurven die Autobahnen hoch und runter. Die Straßen sind geräumt, aber die Landschaft ist schneebedeckt bis hinein nach Brandenburg/Havel. Es ist mit rund 74 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt im Bundesland. Im Rewe-Markt an der Neuendorfer Straße 52 ist am Samstag ordentlich Betrieb, der Parkplatz voller Autos. Rein und raus rasseln die Einkaufswagen.
Links vom Eingang haben sich bei Temperaturen um den Gefrierpunkt warm angezogene Mitglieder der CDU postiert. Sie werben um Stimmen bei der Bundestagswahl am 23. Februar. Der CDU-Landesvorsitzende Jan Redmann ist gegen 9.30 Uhr schon da, die ehemalige Oberbürgermeisterin Dietlind Thiemann stößt noch dazu und begrüßt per Handschlag die aktuelle Landtagsabgeordnete Saskia Ludwig, die bald in den Bundestag wechseln wird. Mit Platz drei auf der Landesliste dürfte Ludwig sicher ins Parlament einziehen, auch wenn sie den hiesigen Bundestagswahlkreis 60 nicht gewinnt.
Wer den Wahlkreis holen wird, steht für Ludwig schon fest: Nicht sie selbst und auch nicht die Bundestagsabgeordnete Sonja Eichwede (SPD), der das 2021 gelungen war. Stattdessen werde es mit Blick auf die aktuellen Prognosen diesmal Arne Raue machen – der Bürgermeister von Jüterbog, der bereits vor der Landtagswahl am 22. September offen mit der AfD sympathisiert hatte und inzwischen in die Partei eingetreten ist.
Das wäre kaum der Rede wert. Schließlich ist vorhergesagt, dass die AfD in Ostdeutschland abräumt. Außerhalb von Berlin gibt es lediglich zwei Wahlkreise, in denen nicht ihre Kandidaten vorn gesehen werden, sondern Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Potsdam und der Abgeordnete Sören Pellmann (Linke) in Leipzig.
Der Fall von Arne Raue in Brandenburg/Havel und Umgebung ist aber insofern ein besonderer, als er es mit einer CDU-Politikerin Saskia Ludwig zu tun hat, die offen für eine Koalition mit der AfD geworben haben soll. Sie selbst bittet, sich das Interview anzusehen, das sie dem Sender Berlin TV gegeben hat, um zu hören, was sie wirklich gesagt habe. Tatsächlich legen die Äußerungen von Ludwig den Gedanken nahe, sie rate dem CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz zu einer Koalition mit der AfD. Wenn sich eine Mehrheit der Bevölkerung eine Mitte-rechts-Regierung wünsche, dann sollte sie eine bekommen, findet Ludwig. Und dass sie die Brandmauer zur AfD für »höchst undemokratisch« hält, ist nicht erst jetzt bekannt geworden.
2016 hatte sie in Werder/Havel mit dem damaligen AfD-Landtagsabgeordneten Steffen Königer öffentlich über die Asylpolitik und ein geplantes Flüchtlingsheim in der Stadt diskutiert – nur drei Tage, nachdem der CDU-Landesvorstand sich klar von der AfD abgegrenzt hatte. Königer hatte auch Politiker anderer Parteien zu dieser AfD-Veranstaltung eingeladen, doch nur Ludwig war darauf eingegangen.
Dass sie die Brandmauer zur AfD für höchst undemokratisch halte, hat Ludwig bereits vor der Landtagswahl 2024 wissen lassen. Das alles passt zusammen mit der Idee einer Koalition von CDU und AfD. Wahr bleibt aber: Im wörtlichen Sinne hat Saskia Ludwig bei Berlin TV dem CDU-Chef Merz nicht dazu geraten.
»Wir müssen in den nächsten vier Jahren beweisen, dass wir es ernst meinen.«
Saskia Ludwig CDU-Bundestagskandidatin
Wenn die Bevölkerung eine Mitte-rechts-Politik wolle, dann sollte sie eine Mitte-rechts-Politik bekommen, sagt Ludwig dem »nd« am Samstag. Das müsste man von der SPD erwarten dürfen, dass diese sich inhaltlich bewegt für eine gemeinsame Regierung mit der CDU nach der Bundestagswahl. So sei das gemeint. Wenn die SPD sich einer Kursänderung verweigere, müsste die CDU sehen, wie sie das durchsetzt.
Ein Kunde des Rewe-Marktes hört AfD und kommt noch einmal zurück. Er hatte vorher schon persönlich mit Ludwig geschimpft, die CDU wolle wieder mit der SPD koalieren und dann werde wieder nichts Vernünftiges dabei herauskommen. Jetzt strahlt der Mann kurz übers ganze Gesicht und sagt: »Ja, wenn ihr mit der AfD eine Koalition macht, dann könnte was gehen!«
Er sei Unternehmer und habe früher immer CDU gewählt, inzwischen nur noch AfD, sagt der Mann. »Wenn jedes Jahr 300 000 Flüchtlinge ankommen: Wer bezahlt die ganze Scheiße?« Er fordert, die Grenze zu schließen und niemanden reinzulassen, der den Steuerzahlern auf der Tasche liegen würde. Den Namen seiner Firma will er nicht verraten und nicht einmal die Branche sagen. Aber er berichtet, er beschäftige Iraner, Araber, Türken und Kubaner und sei mit ihnen sehr zufrieden. Dagegen sollten alle, die nicht arbeiten, Deutschland verlassen.
Saskia Ludwig schaut dem Mann hinterher und sagt: »Wir müssen in den nächsten vier Jahren beweisen, dass wir es ernst meinen.« Dass die CDU einen Politikwechsel wolle, verspricht David Simon, der sich kommunalpolitisch engagiert. Bundespolitik ist nicht so sein Thema. Aber er sagt, dass es mit der Wirtschaft wieder aufwärtsgehen müsse.
Der Infostand ist vor einem Supermarkt genau richtig, da jeder Kunde die gestiegenen Preise bemerkt und so mancher zusehen muss, wie er mit seinem Einkommen noch klarkommen soll. »Migration ist natürlich ein Thema. Jeder spricht darüber«, schildert Saskia Ludwigs junger Mitarbeiter Tim Leonhardt seine Eindrücke aus dem Wahlkampf. »Aber es ist nur ein Punkt.«
Zur allgemeinen Unzufriedenheit komme die Migration nur hinzu, denkt Waldemar Bauer. »Wenn die Wirtschaft brummt, meckert niemand«, ist der 72-jährige Forstingenieur überzeugt. Er kam 1992 als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland und gründete 1998 in Brandenburg/Havel den Verein »Neue Zeit«, der sich im Bürgerhaus Hohenstücken trifft. In den Verein aufgenommen wurden alle, die aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion stammen und daher Russisch sprechen – Wolgadeutsche, Juden, zuletzt Ukrainer. Sie müssen innerhalb von sechs Monaten eine Arbeit annehmen und wenn sie keine Stelle finden, wenigstens ehrenamtlich arbeiten. Sozialleistungen beziehen und gar nichts tun, das wird bei erwerbsfähigen Vereinsmitgliedern nicht akzeptiert.
Dass manche Ukrainer Bürgergeld beziehen, das sie eigentlich nicht nötig hätten, weil sie in die alte Heimat pendeln und mehr dort als hier leben, ist Waldemar Bauer bewusst. Er hat sogar von einem Mann erfahren, der sich Bürgergeld auszahlen ließ, obwohl seine Firma in der Ukraine genug Gewinn abwirft, um ihn zu ernähren. Doch viele Ukrainer gehen einer ehrlichen Arbeit nach, versichert Bauer. Dass sie allerdings besser behandelt werden als andere Flüchtlinge, besser auch als einst die Spätaussiedler, sorgt Bauer zufolge für Unzufriedenheit. »Die Spätaussiedler wählen alle AfD«, sagt Bauer. Dabei weiß er, dass es nicht alle sein können. Er selbst ist ja in der CDU und stimmt selbstverständlich für seine eigene Partei.
Aus dem Bürgerhaus Hohenstücken kennt Waldemar Bauer die 38-jährige Christin Willnat. »Wir verstehen uns gut«, schwärmt er. Willnat kandidiert für die Linken und ist auf ihrer Internetseite vor dem Bürgerhaus zu sehen. »Jeder Mensch verdient ein Leben in Würde und Respekt«, sagt Willnat. Sie will im Bundestag »eine starke Stimme für ein Miteinander auf Augenhöhe« sein. Wie Saskia Ludwig bei der CDU, so hat Christin Willnat bei der Linken Platz drei auf der Landesliste. Doch wenn das für Willnat in Brandenburg reichen sollte, wäre das eine Überraschung – obgleich die Sozialisten derzeit Auftrieb haben und inzwischen die Chance, bundesweit sechs oder sogar sieben Prozent zu erzielen.
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