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Gewobag verhindert Zentrum für Sexarbeitende und Wohnungslose
Die Gewobag streicht Pläne für eine Wohnungslosenberatung und ein Nachtcafé
Seit ein paar Jahren schon stehen die Gewerberäume an der Froben-, Ecke Bülowstraße im Berliner Ortsteil Schöneberg leer. Früher war hier ein 23-Stunden-Café beheimatet, in dem sich des Nachts regelmäßig auch Sexarbeiter*innen zum zeitweiligen Ausruhen aufhielten. Nachdem das kommerzielle Café schließen musste, sei unter den Arbeiter*innen des angrenzenden Straßenstrichs die Frage aufgekommen: Warum sollten wir ein solches Café nicht selber betreiben?, sagt Caspar Tate zu »nd«. Tate ist Mitglied bei Trans*Sexwork, einem Projekt »von und für trans, inter und nicht binäre (TIN*) Sexarbeiter*innen«, das die Idee der Arbeiter*innen aufgriff und das Projekt eines Nachtcafés federführend vorantrieb.
Ende des Jahres schien das Projekt auf der Zielgeraden: Der Senat hatte einen Zuwendungsbescheid über 100 000 Euro für die nötige Sanierung freigegeben. »Offenbar fehlten Ende letzten Jahres nur noch einige Unterschriften unter dem bereits ausgehandelten Vertrag«, sagt Tate. Dann allerdings kam die Hiobsbotschaft. Am 21. Januar 2025 teilte die Eigentümerin, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag dem Bezirk mit, dass der Mietvertrag mit einem Zahnlabor abgeschlossen wurde.
Mit der Entscheidung komme die Gewobag laut eigener Aussage »dem ausdrücklichen Wunsch des Gesellschafters nach, den Leerstand der Fläche langfristig und mehrwertschaffend für das Quartier zu beenden«, heißt es in einem Bericht des Wirtschaftsausschusses an das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg. Ironischerweise ist der hundertprozentige Eigentümer der Gewobag das Land Berlin, dessen Regierung das soziale Projekt gar bezuschussen wollte.
Auf Nachfrage von »nd« erklärt die Gewobag, dass man die Räumlichkeiten dem Bezirk vor einem Jahr exklusiv angeboten habe. Trotz mehrfacher Versicherung habe der Bezirk bis zuletzt kein überzeugendes Konzept für ein 24/7-Angebot zur Unterstützung drogenabhängiger Wohnungsloser vorgelegt. Außerdem sei die Finanzierung nicht langfristig gesichert gewesen. »Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots wurde die Fläche zu Beginn dieses Jahres langfristig vermietet«, teilt die Gewobag weiter mit. Die Nutzung der Ladenfläche schaffe für die Weiterentwicklung des Quartiers im Sinne der Anwohner*innen einen Mehrwert.
Laut Caspar Tate von Trans*Sexwork sei eine »Mischnutzung« geplant gewesen. Das Nachtcafé hätte zwischen 22 und 4 Uhr öffnen sollen. Von 10 bis 16 Uhr war eine Wohnraumberatung für Wohnungslose durch die Berliner Stadtmission angedacht. Weitere Träger hätten ihr Interesse an einer Nutzung signalisiert. Für die Arbeiter*innen vom Straßenstrich hätte das Café vor allem einen sicheren Rückzugsort bedeutet. »Wir bekommen immer wieder berichtet, dass kommerzielle Nachtcafés keinen ausreichenden Schutz vor Übergriffen bieten können«, sagt Tate.
Katharina Marg, Bezirksverordnete der Linken, bezeichnet die Absage als eine »katastrophale Entscheidung«. Das landeseigene Wohnungsunternehmen komme seiner sozialen Verantwortung nicht nach. Gleichzeitig beobachte Die Linke Leerstand und Gentrifizierung im Bestand der Gewobag. »Es ist der Eindruck entstanden, so wurde es auch im Ausschuss für Frauen, Queer und Inklusion deutlich, dass die Gewobag das Bezirksamt benutzt hat, um die eigene Verhandlungsposition gegenüber dem Zahnlabor zu stärken«, sagt Marg.
Die Gewobag hat laut eigener Aussage dem Bezirk schriftlich zugesagt, eine andere geeignete Fläche zu suchen. Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne), der am Mittwoch für »nd« nicht zu erreichen war, hat nach Angaben von Trans*Sexworks, die genehmigten Gelder verlängert, doch bleiben die grundlegenden Streitpunkte unausgeräumt. Zuwendungen mit öffentlichen Geldern sind immer zeitlich befristet. Die beteiligten Akteure betonen darüber hinaus die überaus günstige Lage für die soziale Versorgung ihrer jeweiligen Klientel.
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