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Ukraine: Endgültig kolonisiert
Wie ukrainische Linke auf den Trump-Putin-Deal blicken
Das linke »European Network for Solidarity with Ukraine« vergleicht den sich abzeichnenden Deal zwischen den USA und Russland mit dem Münchner Abkommen von 1938, das Nazi-Deutschland ein Drittel des tschechoslowakischen Territoriums überließ. In einem aktuellen Statement erklärt das Netzwerk die fatale Lage der Ukraine mit mangelnder internationaler Unterstützung. Zwar hätten westliche Staaten immer wieder bekräftigt, »an der Seite der Ukraine zu stehen«, doch in der Realität habe sich das als leeres Versprechen entpuppt. Dementsprechend fordert die Initiative einen Ausbau der Militärhilfe und eine Streichung der ukrainischen Auslandsschulden.
Ganz ähnlich wird die Situation auch von vielen osteuropäischen Linken beurteilt. Die feministische Philosophin Tereza Hendl beispielsweise, die der westlichen Linken schon seit Ausbruch des Krieges »Westsplaining« vorwirft, also ein besserwisserisches Erklären der Rolle Russlands aus westlicher Sicht, ist der Ansicht, dass die Annäherung von Trump und Putin als rechtsextremer Pakt verstanden werden muss.
Bei X schreibt sie: »Die Faschisten verbünden sich – von den USA über Russland … bis nach Deutschland. Und ein großer Teil der Linken bereitet ihnen das Terrain, weil sie den rechtsextremen russischen Imperialismus nicht zur Kenntnis nehmen (...). Das ist Folge der Unfähigkeit der Linken, sich mit dem antiimperialistischen Wissen Osteuropas zu beschäftigen.« Die historischen Erfahrungen und materiellen Realitäten osteuropäischer Gesellschaften würden von der West-Linken nicht verstanden. Diese Arroganz gegenüber osteuropäischen Stimmen steht für Hendl in der Tradition einer deutschen Herrenmenschenmentalität.
Trübe Aussichten für das Land – auch wenn die meisten Ukrainer über einen Waffenstillstand erst einmal erleichtert sein dürften.
Deutlich andere Schwerpunkte setzt der in Dresden lebende Soziologe Volodymyr Ishchenko, der seit Kriegsbeginn immer wieder Kritik an der befreiungsnationalistischen Erzählung der Ukraine geäußert hat. »Meine Eltern sind in Kiew, mein Cousin ist in Charkiw, ein weiterer Verwandter in der Armee, zwei Freunde verstecken sich vor der Einberufung«, erläutert er. »Umso schneller der Krieg vorbei ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie überleben.« Ishchenko zufolge ist diese Wahrnehmung in der Bevölkerung sehr viel verbreiteter als gemeinhin angenommen.
Von der Einschätzung, die Ukrainer fühlten sich verraten, ist der Soziologe deshalb auch nicht wirklich überzeugt. »Einer Umfrage zufolge ist Trump – wie übrigens in den meisten Ländern Osteuropas – relativ populär.« Die Forderung des US-Präsidenten, die Ukraine müsse seinem Land Rohstoffe im Wert von 500 Milliarden US-Dollar überlassen, fänden die Ukrainer natürlich empörend. Doch die Verhandlungen würden von Teilen der Bevölkerung durchaus mit »vorsichtigem Optimismus« verfolgt.
»Eine Umfrage vor einigen Monaten hat gezeigt, dass eine Mehrheit der Ukrainer einem territorialen Kompromiss zustimmen würde, wenn es im Gegenzug starke Sicherheitsgarantien oder eine Nato-Mitgliedschaft gäbe«, sagt Ishchenko. Zwar sei kaum jemand mit der Annexion der Krim und des Donezbeckens einverstanden, aber es gebe so etwas wie eine realistische Einschätzung der Lage. »Eine ganze Reihe von Indikatoren zeigt, dass die Menschen nicht weiter sterben wollen. Die Zahl der Männer, die illegal das Land verlassen, steigt. Und das Verhalten der Menschen ist vielleicht eine stärkere Evidenz für die Stimmung als das, was sie sagen.«
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Ishchenko betont, dass die US-Politik schon unter Biden hochproblematisch gewesen sei. »Die USA haben zwar vor der Invasion gewarnt, aber keine diplomatischen Anstrengungen unternommen, um den Krieg zu verhindern oder zu stoppen.« Ihre Strategie sei es vielmehr gewesen, Russland auf Kosten der Ukraine zu erschöpfen. »Die Biden-Administration hat nicht genug Mittel bereitgestellt, damit die Ukraine gewinnen kann, aber auch nichts versucht, um Verhandlungen zu starten.«
Auf die Frage, ob das zu erwartende Einfrieren des Krieges gefährlich sei, weil es nichts zur Lösung des Konflikts beitrage, erwidert der Soziologe: »In Zeiten des Imperialismus ist keine Friedensvereinbarung dauerhaft angelegt.« Wer den Krieg nachhaltig beenden wolle, müsse die ökonomischen Mechanismen außer Kraft setzen, die die Staaten in Richtung Krieg treiben.
Auf mittlere Sicht ist Ishchenko wenig zuversichtlich. Beim Wiederaufbau würden vor allem westliche Unternehmen verdienen. »Es werden sich ähnliche Fragen stellen, wie man sie aus kolonialen oder postkolonialen Staaten in Afrika, Asien oder Lateinamerika kennt. Nämlich, wie man dafür sorgen kann, dass im Land getroffene Entscheidungen auch wieder eine Wirkung haben.« Von einer nationalistischen Perspektive hält Ishchenko dennoch nichts. »In der sich verändernden Welt müssen wir uns wirklich wieder über eine internationalistische Organisierung Gedanken machen.«
Gemein ist den unterschiedlichen Einschätzungen nur die Beobachtung, dass sich die Ukraine in einer Art Kolonisierungsprozess befindet. Trübe Aussichten für das osteuropäische Land also – auch wenn die meisten Ukrainer über einen Waffenstillstand erst einmal erleichtert sein dürften.
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