Rainald Grebe: »Es ist gleich vorbei«

Bärbel Bieleks TV-Film »Der Tod im Leben« dokumentiert Rainald Grebes Kampf gegen »Das Schwarz«

  • Tim Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Krankenbett auf die Bühne: Rainald Grebe, 2023
Im Krankenbett auf die Bühne: Rainald Grebe, 2023

In Düsseldorf begann es. Vor dem Auftritt mit seiner »Kapelle der Versöhnung« am 26. März 2017 gingen dem Sänger und Kabarettisten Rainald Grebe in der Pause buchstäblich die Lichter aus: Ischämischer Schlaganfall. Für ihn, dessen Werk seit den späten 90ern aus unermüdlicher Kunstproduktion bestand, kam alles zum Stehen, so als müsste man auf der Autobahn eine Vollbremsung hinlegen. Texte, Kompositionen, Instrumente, Sanifair-Coupons – alles flog dem Ausnahmekünstler wie in einem Tourbus durch die Synapsen. Statt wie bisher auf Deutschlands Brettern und Straßen weiter Gas zu geben, muss Grebe runterschalten, um nicht die Ausfahrten zur Charité oder zu seiner Datsche in der Uckermark zu verpassen. Die Tourpausen wurden länger, Aussetzer alltäglicher, Auftritte schwieriger.

Sechs Jahre später, im Juni 2023, spielt sein »Orchester der Versöhnung« in Berlin »Knockin’ On Heavens Door«, gesungen unter anderem von der Dresdner Komikerin Anna Mateur sowie dem Chor »The Singing Shrinks« der Charité. Der damals 52-Jährige spricht auf der Waldbühne in einem Klinikbett über seine Erfahrungen mit seiner offiziell »seltenen Erkrankung«, die ihm über ein Dutzend Schlaganfälle bescherte. Bis zum Ende des Auftrittes wissen seine Bandkollegen und seine prominenten Gäste, weiß sein Publikum, weiß sein bester Freund und Tontechniker Franz Schumacher, weiß vielleicht Grebe selber nicht, was passieren wird. Bestimmt »Das Schwarz«, wie er es nennt, den Abend, oder schafft man es bis zu dem Moment, in dem alle Lichter angehen?

Am Abend des 12. Februar 2025 zumindest scheint der Patient zurechtzukommen. Mit Waldbühnen-Outfit sitzt Grebe im inzwischen legendären Bürostuhl auf dem roten Teppich im Foyer des Colosseums in Prenzlauer Berg (»Schwarz-Grün wird die Republik, hier ist sie es schon«, sang er 2011). Hinter der Kordel für den Sicherheitsabstand rotieren die Kinobesucher für Fan-Fotos mit ihm. Anlass ist die Präsentation von Bärbel Bieleks Dokumentation »Der Tod im Leben. Unheilbar krank zum größten Auftritt«, die diesen Samstag auf 3Sat läuft.

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Über ein Jahr begleitete sie Grebe, Schumacher und die Kapelle bei der Vorbereitung für jenes große Open-Air-Konzert namens »Hallelujah Berlin!«, der berühmten Parole aus seinem Hit »Brandenburg« (2005). Zwischen dem ersten Schlaganfall und diesem Auftritt muss der Künstler, statt wie bisher Kabarettprogramme, Theaterstücke, Bücher, Hörspiele, Filme, Kunstabende und vieles mehr am Stück zu produzieren, sein Leben neu sortieren: regelmäßige Charité-Aufenthalte, Erholung auf der Datsche, viel Familie und ein neuer Alltag »in der Gesundheitsdiktatur«, wie es in seinem Song »Raucher« (2008) hieß. Mancher Kenner der Admiralspalast-DVD »Die besten Lieder meines Lebens« (2010) erinnert sich noch an Grebes wichtige Bühnenrequisiten: Zigarette und Wein.

Bieleks Film pendelt entspannt strukturiert, humorvoll und auch emotional berührt zwischen den Konzert-Vorbereitungen, Interviews mit den Beteiligten sowie Gästen (etwa Bodo Wartke), der Uckermark und anderweitigen Auftritten, dem Faden zur Waldbühne 2023 folgend. Bei allen Scherzen nebenbei: Zur Besetzung gehört auch der Tod, den Grebe nicht nur aufgrund der Schlaganfälle als nahenden Begleiter kennt. 2021 stirbt für alle völlig schockierend sein langjähriger Freund und Bandkollege am Schlagzeug, der Rostocker Martin Brauer. Ein weiterer Schicksalsschlag, die Corona-Pandemie, durchkreuzt zusätzliche Pläne für große Auftritte.

Mit Bieleks Dokumentation wollten Franz Schumacher und Jan-Marc Ramm, Lichttechnik, vor dem Waldbühnen-Konzert »ein Denkmal« für Grebe setzen. Man könnte daher die Aufnahmen des Auftritts 2023 im Filmfinale als ein Ende eines langen Leidensweges interpretieren. Oder wie er es schon 2004 gesungen hat: »Es ist gleich vorbei,/ Kein Tamtam und kein Haiopei./ Es ist gut, ich zähle Schafe,/ Bis ich endlich schlafe.«

Beim Fototermin vor der Filmvorführung spürt man manchmal bei aller Freude und Dankbarkeit auch seine Anstrengung und Belastung. Doch Rainald Grebe hat Ziele, er will weiter auftreten. Ihn beschäftigt und ermutigt die gleiche Frage, die ein Pfleger der Intensivstation ihm einst stellte: »Wie geht’s weiter?«

22.2., 3Sat, 21.15 Uhr: »Der Tod im Leben. Unheilbar krank zum größten Auftritt«, danach läuft ein Liveauftritt von Grebe aus 2023

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