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Ukrainer auf dem Berliner Arbeitsmarkt: Integration braucht Zeit

Eine langfristige Integration von ukrainischen Geflüchteten in den Arbeitsmarkt erfordert Geduld, das ist noch nicht überall angekommen

Nicht alle Ukrainer*innen haben so viel Glück wie diese Eisenbahnerin und finden einen qualifizierungsadäquaten Job in Deutschland.
Nicht alle Ukrainer*innen haben so viel Glück wie diese Eisenbahnerin und finden einen qualifizierungsadäquaten Job in Deutschland.

Seit drei Jahren ist Krieg in der Ukraine. Auch wenn sich heute immer noch Menschen auf den Weg machen, in Deutschland und in Berlin sind die meisten geflüchteten Ukrainer*innen schon seit fast drei Jahren.

Der Alltag der meisten Geflüchteten dreht sich nach wie vor darum, sich hier fern von der Heimat ein halbwegs normales Leben aufzubauen und überhaupt erst einmal Fuß zu fassen. Währenddessen ist die Geduld mancher Politiker*innen mittlerweile erschöpft. Dabei wird häufig entlang einer vermeintlich volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung über die Beschäftigungsquote debattiert. »Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der Westukraine«, erklärte beispielsweise im vergangenen Sommer der Bundestagsabgeordnete Alexander Dobrindt (CSU).

Im sozialpolitischen Berlin ist man von dieser Ansicht weit weg, zumindest weitestgehend. Arbeit ist nicht gleich Arbeit, weder für die Menschen, die sie ausüben, noch für die Volkswirtschaft. »Unter den fachpolitischen Sprecher*innen im Abgeordnetenhaus herrscht von Linke bis SPD Einigkeit, dass wir bei der Integration nicht die Prämisse verfolgen, Geflüchtete möglichst schnell in Arbeit zu bringen, sondern in Arbeit, die ihrer Qualifikation angemessen ist«, sagt Christoph Wapler. Im Berliner Abgeordnetenhaus ist Wapler arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Grünen.

In der Frage der Integration von Geflüchteten haben Fachleute zwei Ansätze herausgearbeitet: »Arbeit zuerst« und »Sprache zuerst«. Der laut Wapler in Berlin mehrheitsfähige Ansatz »Sprache zuerst« wird von Wissenschaftler*innen wie Kseniia Gatskova gestützt. Am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit forscht Gatskova zu Migration, Integration und Arbeitsmärkten im internationalen Vergleich. »Die Fachliteratur weist darauf hin, dass eine schnelle Jobaufnahme ohne entsprechende Investitionen in den Spracherwerb und weitere Qualifikationen oft zu prekären Beschäftigungsbedingungen in niedrigqualifizierten Berufen führt«, sagt sie. Die Geflüchteten würden dann langfristig mit niedrigeren Löhnen und Nachteilen bei der sozialen Integration konfrontiert. »Umgekehrt«, sagt die Forscherin, »kann ein zügiger Spracherwerb und der Erwerb weiterer Qualifikationen langfristig zu stabileren Arbeitsmarktverläufen und höheren Einkommen führen.«

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Die Berliner Jobcenter beobachten für die Hauptstadt ganz ähnliche Entwicklungen wie für das gesamte Bundesgebiet. Im Dezember lebten 57 000 Ukrainer*innen im erwerbsfähigen Alter in Berlin – darunter 35 000 Frauen. Davon gingen im November 2022 noch 23,5 Prozent einer Beschäftigung nach, im November 2024 waren es 31,6 Prozent. Gatskova hebt diesen Trend als positiv hervor.

Für eine nachhaltige Integration seien oft mehr als zwei Jahre Vorarbeit nötig, sagt Gatskova. Sie hat sich in einem internationalen Vergleich die Integrationsquote von Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern angeschaut. Die Erkenntnis: Einige andere europäische Länder erreichten zwar schneller eine Beschäftigungsquote von 45 bis 55 Prozent, »diese stagnierte jedoch langfristig«. In Deutschland werde dieser Wert deutlich übertroffen. Acht Jahre nach der Ankunft seien 68 Prozent der Geflüchteten in Arbeit. »Der nachhaltige Integrationsansatz führt langfristig nicht nur zu höheren Beschäftigungsquoten, sondern auch zu besserer Arbeitsqualität«, resümiert Gatskova.

Doch der nachhaltige Ansatz setzte sich nicht nur bei Alexander Dobrindt nicht durch. Auch die vom Bundesarbeitsministerium aufgesetzten Maßnahmen zur Integration in Arbeit legen mit dem übergreifenden Titel »Job-Turbo« nahe, was Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) als Ziel ausgibt: »Geflüchtete schnell und möglichst nachhaltig in den Arbeitsmarkt« integrieren. Das setzt sich in den Berliner Jobcentern laut einer Sprecherin wie folgt um: »Das Ziel ist, die Menschen nach dem Erwerb grundständiger Deutschkenntnisse zügig in Arbeit zu bringen und parallel weiter an der Sprache und der Anerkennung der Qualifikation zu arbeiten.«

Der Ansatz der Gleichzeitigkeit von Beruf und Qualifizierung geht laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) an der Arbeitswirklichkeit vorbei. »Wenn wir uns angucken, wo der Großteil der Geflüchteten eingesetzt wird, nämlich in der Gastronomie, Hotelbranche, Logistik, dann denken wir nur mal an die DHL-Paketausfahrer, die ungefähr einen Zwölf- bis 14-Stunden-Tag haben: Wann sollen die noch einen Sprachkurs machen?«, fragte die DGB-Landesbezirksvorsitzende Katja Karger im vergangenen September im Arbeitsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Nicht nur für ukrainische, auch für deutsche Beschäftigte, die in solchen Jobs arbeiten, gibt es Karger zufolge keine »Exit-Option«.

2023 arbeiteten laut IAB 57 Prozent der ukrainischen Berufstätigen in Deutschland unterhalb ihrer Qualifikation. Dem DGB zufolge hat daran auch der im Oktober 2023 eingeführt »Job-Turbo« nichts geändert. Katja Karger spricht gar von einer »Dequalifizierung« und einem »Lock-In-Effekt« in prekären Beschäftigungen. »Aus unserer Sicht ist dieser Job-Turbo weniger eine fachliche Begründung, sondern eine Reaktion auf die Diskussion um eine restriktivere Migrationspolitik, die verbunden wird mit einer Kritik am Bürgergeld«, sagt Karger.

»Der nachhaltige Integrationsansatz führt langfristig zu höheren Beschäftigungsquoten und besserer Arbeitsqualität.«

Kseniia Gatskova
Sozialwissenschaftlerin am IAB

Der Grünen-Abgeordnete Wapler sieht es ähnlich. Der Druck in der Bürgergelddebatte befeuere den Trend, »dass Menschen zwar schneller, aber oft nur auf Zeit und in Helfertätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt unterkommen«. Für die Stimmung sieht Wapler »zuvorderst die CDU und auch deren Protagonist*innen in Berlin« verantwortlich. Die Verwaltung von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) sieht Wapler zwar bemüht, Errungenschaften aus der vorangegangenen Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei fortzuführen. »Doch stehen mit jeder angekündigten Haushaltskürzung eben auch Angebote von Kinderbetreuung, von Sprachkursen, von Jobcoaching und von Beratungen aller Art zur Disposition.« Der Etat der Arbeitsverwaltung war bei den letzten Haushaltskürzungen vergleichsweise gut weggekommen. Gegenwärtig stehen die diskutierten schwarz-roten Sparpläne für 2026/2027 unter kritischer Beobachtung.

Neben der grundsätzlichen Prämisse, ob nun »Sprache zuerst« oder »Arbeit zuerst«, gibt es eine Reihe weiterer Verbesserungsmaßnahmen, die Fachleute vorschlagen. »Wie eine Kollegin festgestellt hat, benötigen wir in Deutschland statt eines Job-Turbos einen Kita-Turbo«, sagt IAB-Forscherin Gatskova. Damit lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die große Gruppe der geflüchteten Ukrainerinnen mit Kindern. Aufgrund der Beschränkungen für die Ausreise ukrainischer Männer im wehrfähigen Alter aus ihrer Heimat seien 80 Prozent der Geflüchteten zwischen 18 und 70 Jahren Frauen. 77 Prozent dieser Frauen leben ohne Partner in Deutschland und zirka die Hälfte hat minderjährige Kinder.

Die Infrastruktur der Kinderbetreuung sei in anderen Ländern, beispielsweise in den Niederlanden, in Dänemark, Frankreich und Großbritannien, besser aufgestellt, sagt Gastkova. »Insbesondere über das Vorschulalter hinaus braucht es Öffnungszeiten, die mit Vollzeitjobs kompatibel sind.« Gut findet sie, dass es für Teilnehmer*innen mit Kindern bei manchen Integrationskursen bereits die Möglichkeit gibt, Kurse mit weniger Stunden am Tag oder mit integrierter Kinderbetreuung zu besuchen.

Dringenden Änderungsbedarf sieht Gatskova bei der Bürokratie, durch die sich die Integration unnötig lange hinziehe. »Die integrativen Abläufe müssen vor allem zu Beginn des Aufenthalts schneller anlaufen. Die Behörden müssen besser zusammenarbeiten und der Zugang zu behördlichen Leistungen muss vereinfacht werden.« Ganz zentral sei daneben der Spracherwerb. Die Förderung müsse über das Niveau von A2 oder B1 hinausgehen.

Weitere Defizite bestünden in der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Auch diese Verfahren führten durch erhebliche bürokratische Hürden zu sehr langen Wartezeiten. »Beispielsweise warten medizinische Fachkräfte oft zwischen 15 Monaten und drei Jahren allein auf die Anerkennung der Qualifikationen, die sie bereits mitbringen.« Zudem müssten die Geflüchten hier besser beraten werden. Denn viel zu wenige stellten überhaupt einen Antrag, sagt die Forscherin.

Die Berliner Sozialverwaltung sieht die Hauptstadt auf einem guten Weg. Eine Sprecherin führt dennoch selbstkritisch viele der von Gatskova genannte Punkte auf und ergänzt noch einen weiteren, für Berlin typischen: den angespannten Wohnungsmarkt und die damit einhergehende oftmals lange Unterbringungszeit in staatlichen Flüchtlingsunterkünften.

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