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Heiterkeit und Zuversicht

Alex Demirović fragt, welche Aufgaben sich für die Linke jetzt stellen

Die Linke ist wieder da – vor allem wegen der vielen Tausend Menschen, die an Haustüren den Kampf gegen die Rechte aufgenommen haben.
Die Linke ist wieder da – vor allem wegen der vielen Tausend Menschen, die an Haustüren den Kampf gegen die Rechte aufgenommen haben.

Gerade komme ich von einer dreitägigen Konferenz über Brechts »Große Methode« in Augsburg zurück. Meinen eigenen Beitrag habe ich mit einem Zitat aus dem »Buch der Wendungen« beendet. »Die Klassiker lebten in den finstersten und blutigsten Zeiten. Sie waren die heitersten und zuversichtlichsten Menschen.« Es ist jetzt 13.16 Uhr und noch zu früh für die Freude über den Wahlerfolg der Partei Die Linke. Aber ich bin zuversichtlich und gratuliere der Partei schon jetzt. Bereits seit Wochen wette ich darauf, dass die Linke 7,5 Prozent der Wähler*innenstimmen erhalten wird. Ich fand mich selbst etwas irre. Nun bin ich seit Wochen überzeugt davon, dass die Linke 8,1 Prozent erreichen wird. Und ich hoffe, dass mich das Ergebnis heute Abend nicht blamiert, aber ich bin heiter und zuversichtlich. Also herzliche Gratulation für diesen tollen Erfolg, der doch unerwartet ist.

Denn die Partei wurde über Jahre hinweg in den Talkshows heruntergeredet, von den Medien bekämpft, von führenden Politiker*innen der Linken mit vermeintlich linken Phrasen denunziert und verraten, von anderen aufgegeben. In den vergangenen Monaten haben viele Mitglieder der Partei und in der gesellschaftlichen Linken gezeigt, dass sie sich das nicht gefallen lassen wollen, weil es sich um einen grundsätzlichen Angriff der herrschenden Kräfte von den Grünen bis zur AfD auf die Linke gehandelt hat.

Alex Demirović

Alex Demirović stammt aus einer jugoslawisch-deutschen Familie; der Vater wurde von den Nazis als Zwangsarbeiter verschleppt. Wegen eines politisch motivierten Vetos des hessischen Wissenschaftsministeriums durfte Demirović in Frankfurt nicht Professor werden. Seitdem bewegt er sich an der Schnittstelle von Theorie und Politik. Jeden vierten Montag im Monat streitet er im »nd« um die Wirklichkeit.

Dieser Angriff berührt nahezu jedes konkrete Thema der bundesdeutschen und europäischen Gesellschaft: sozial-ökologischer Umbau, Migration, Frieden, Anti-Antisemitismus, Arbeitsverhältnisse, Vermögensverteilung, Gesundheits- und Pflegeversorgung, Wohnen, Bildung, Verkehr, Kultur. In nahezu jeder Hinsicht kommt es zur Verschlechterung der Lebensverhältnisse für die Vielen – und die wenigen Reichen werden reicher. Absurderweise auch die Eigentümer des Einzelhandels, die den Billigkonsum der Unteren ermöglichen: Aldi, Lidl.

In den vergangenen Monaten und Wochen haben sich viele Tausende für die Partei Die Linke und deren Wahlkampf engagiert. Viele Intellektuelle und Wissenschafterl*innen waren bereit, sich für die Wahl der Linken einzusetzen. Beeindruckend sind die Berichte vom Haustürwahlkampf. Das war eine Erfahrung für die, die ihn durchgeführt haben. Immer wieder konnten sie von der konkreten Lebenslage in Not hören und lernen. Die Gesprächsbereitschaft in den Stadtteilen war groß.

Es ist aber auch ein Lehrstück gewesen. Die Behauptung, die Linke bestehe aus urbanen, gebildeten Mittelschichten, die in ihrer woken, queeren Blase lebten und sich für die unteren Klassen und die reale Armut der Menschen nicht interessierten, wurde in der Praxis widerlegt. Endlich war Wagenknecht weg mit ihren Angriffen auf Woke, Gender, Bildung, Wissenschaft, Internationalismus; Zehntausende sind neu in die Partei eingetreten, um sich konkret vor Ort, im Gespräch, für eine linke Agenda einzusetzen.

Die Linke ist eine neue Partei. Nicht mehr die Kümmerer-Partei, die als Volkspartei ihren Schwerpunkt in den ostdeutschen Bundesländern hatte, auch nicht die Partei, die sich im Protest gegen die neoliberale Agenda 2010 bildete. Versuche, diese Partei auch nach innen zu formieren und politisch zu bilden, stießen auf große Vorbehalte, letztlich wurde die Partei auf eine Parlamentspartei reduziert. Fraktion und Parteivorstand standen im Politikverständnis und in den Zielen vielfach gegeneinander, die gesellschaftliche Linke, die sozialen Bewegungen wurden als Vorfeld angesehen, also als etwas, das man im Parlament vertritt. Das Parlament war das eigentlich Wichtige. Hier schien man dazu zu gehören: hohe Einkommen, Fahrdienst, feine Kleidung, Talkshows, Wichtigkeit vor den Kameras.

Die neuen Abgeordneten der Linken müssen ein selbstkritisches Verhältnis zu sich und ihrer Funktion als Mandatsträger entwickeln. (...) Es wäre so viel an Veränderung zu wünschen.

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Es war von einigen Funktionären unverantwortlich, die Politikfähigkeit der Partei und die Existenz derart aufs Spiel zu setzen: möglichst nicht anecken, den Zynismus der Alternativlosigkeit pflegen: programmatisch nichts versprechen, weil man eh nichts einlösen wollte, lieber die Parteimitglieder kritisieren als die Bourgeoisie. Solche Funktionäre wurden geleitet von der falschen Vorstellung, dass die Partei ihr Eigentum sei und sie Teil der bundesdeutschen Regierungselite sein sollten, die es besser machen würde - nicht aber eine kritische gesellschaftliche Kraft, die von vielen getragen wird, um eine Alternative zu verwirklichen. Auch dieses Bild wurde nun durch die zahlreichen Aktivitäten gegen die Rechte, gegen faschistische Tendenzen, gegen den Rassismus, gegen die Feindseligkeit gegenüber Migrant*innen widerlegt.

Die Linke hat Verantwortung für die Zukunft. Denn es ist von Bedeutung, die Partei zu erhalten und fortzuentwickeln. Von allein wird das nicht passieren. Der Erfolg wird die Herrschenden herausfordern. Sie werden kaum zuschauen, wie sich die Linke konsolidiert, und sie angreifen mit allen schmutzigen Tricks und weniger schmutzigen Argumenten. Sich widersprechende Positionen werden ausgenutzt werden, um aus Konflikten schlechte Widersprüche zu machen, die an den Kräften der Linken zehren werden. Aktuell gilt das für die richtige und notwendige Einsicht in das »Nie wieder jetzt ist«. Ja, selbstverständlich dürfen Juden in Deutschland nicht gefährdeter leben müssen als andere, dürfen nicht verfolgt werden, die Verbrechen der Nazis müssen Teil des kollektiven Selbstverständnisses sein. Da gibt es keine Normalität, es handelt sich um eine Aufgabe für alle.

Aber zu erinnern ist auch daran, dass der Sozial-Rassismus in Deutschland historisch nicht nur zum Mord an Juden geführt hat, sondern auch an Arbeiter*innen, an vielen Menschen aus den osteuropäischen Ländern, Sinti und Roma, an denen, die als minderwertiges Leben betrachtet wurden. Die Bekämpfung des Antisemitismus darf auch nicht autoritär gegen die Grundrechte gewendet werden, gegen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ausgespielt werden, gegen diejenigen, die für Solidarität für die Menschen in Palästina eintreten, die von der Gewalt der Hamas wie von der der israelischen Regierung betroffen sind und zurecht einen gerechten Frieden einfordern.

Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie die Linke sich spalten lassen kann. Dabei muss die Linke als anti-rassistische Kraft ihre Stimme erheben. Sie muss deutlich machen, dass die deutsche Gesellschaft eine migrantische Gesellschaft ist. Es gibt nicht das schöne und sichere Deutschland, von dem Friedrich Merz träumt, und dann die Migrant*innen, die Geflüchteten, die Asylsuchenden. Die Migration durchzieht alle Bereiche der Gesellschaft, ohne diejenigen, die in Deutschland eingewandert sind und hier seit Jahrzehnten leben, würde die deutsche Gesellschaft vielfach nicht funktionieren: in der Industrie, in den Alters- und Pflegeheimen, im öffentlichen Transport.

Die Linke hat die Aufgabe, die Bilder von der Klasse, von der gesellschaftlichen Arbeit zu korrigieren und sich dem rechten Wahn eines reinen Deutschlands entgegenzustellen. Die unerlässliche Infragestellung der Klassen muss auch die Migrant*innen mitdenken. »Rasse« ist eine Modalität der Klasse; Klassenherrschaft funktioniert als rassistische Entwürdigung, Verfolgung, Entrechtung von Menschen.

Die Linke muss auch eine Kraft sein, gegen die Ausbeutung der Natur zu sprechen. Denn Zerstörung und Ausbeutung der Natur gehören zum Kapitalismus wie die Ausbeutung von Menschen. Aber bevor ich weiter davon spreche, welche Spaltungslinien die die Linke antizipieren muss, möchte ich gern noch eine Sache betonen. Es wäre gut, die neuen, zahlreichen Abgeordneten der Linken würden ein selbstkritisches Verhältnis zu sich und ihrer Funktion als Mandatsträger entwickeln; und sie alle würden zur Entwicklung der Linken als einer demokratisch-sozialistischen Kraft beitragen, die der Demokratie und Gesellschaft eine Zukunft gibt, die durch Naturzerstörung oder Faschisierung akut infrage gestellt ist. Es wäre so viel an Veränderung zu wünschen. Damit dies realistischer wird, braucht es weit mehr als 8,1 Prozent der Stimmen.

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