Berlin sieht rot: Linke wird stärkste Kraft

Die Linke bekommt in der Hauptstadt die meisten Stimmen und gewinnt in Neukölln erstmals einen West-Wahlkreis

Ferat Koçak feiert am Sonntag, dass er das Direktmandat in Neukölln gewonnen hat.
Ferat Koçak feiert am Sonntag, dass er das Direktmandat in Neukölln gewonnen hat.

Es gibt nicht genügend Platz im Karl-Liebknecht-Haus. Die Berliner Linke hat am Montag zur Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Bundestagswahl geladen. Aber um neben den beiden Landeschef*innen auch alle sechs in den Bundestag gewählten Linke-Kandidat*innen unterzubringen, ist der aufgebaute Tresen mit Mikrofonen nicht lang genug. Zwei der neuen Abgeordneten müssen sich daneben aufstellen.

Linke wird stärkste Kraft

Die Hauptstadt ist insgesamt ein Lichtblick im Vergleich mit den ansonsten tristen Ergebnissen der Bundestagswahl. Bundesweit hat die immer weiter nach rechts abdriftende CDU die Wahl mit 28,5 Prozent mit Abstand gewonnen, die AfD ist mit 20,8 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Aber in Berlin hat Die Linke die meisten Stimmen geholt. 19,9 Prozent der Berliner*innen entschlossen sich dazu, der Linken ihre Stimme zu geben – ein Plus von 8,3 Prozentpunkten verglichen mit der Wahl 2021.

Zweitstärkste Kraft wurde in Berlin die CDU mit 18,3 Prozent, gefolgt von den Grünen mit 16,8. Während die CDU ihr Ergebnis um 1,1 Prozentpunkte ausbauen konnte, verloren die Grünen 5,2 Prozentpunkte. Die AfD kommt in Berlin auf 15,2 Prozent und verbessert sich um 5,8 Prozentpunkte. Größte Verliererin ist wie bundesweit die SPD. Sie holte in Berlin nur 15,1 Prozent. Das sind 7,1 Prozentpunkte weniger als 2021.

Erfolgsrezept Haustürwahlkampf

Die Gründe für den Erfolg der Berliner Linken liegen zum einen sicher in der Bundespolitik. Vor allem die von der CDU forcierte gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag über die Asylpolitik und auch die millionenfach gesehenen Rede von Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek haben Wähler*innen zur Linken geführt. Gleichzeitig rücken SPD und Grüne immer weiter nach rechts, nicht zuletzt in der Migrationspolitik. Die Linke konnte sich so als einzige konsequent nicht rechte und antifaschistische Partei etablieren.

Den Erfolg der Linken im bundesweiten Rechtsruck und den Fehlern der anderen Parteien zu suchen, greift allerdings zu kurz. Der Landesvorsitzende Maximilian Schirmer sagte am Montag, bei dieser Sichtweise kämen die sozialen Fragen der Hauptstadt zu kurz, insbesondere die immer weiter steigenden Mieten.

Dass die Mieten die Berliner*inen umtreiben, erfuhr Die Linke einmal mehr im Haustürwahlkampf. In den Gesprächen seien Mieten zusammen mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten das zentrale Thema gewesen, erklärte der Neuköllner Wahlkreissieger Ferat Koçak. Solche Gespräche wurden in Neukölln viele geführt. »Wir waren mit über 2000 Aktiven an 139 000 Haustüren und haben mit 50 000 Menschen das persönliche Gespräch gesucht«, erzählt Koçak.

In Neukölln und Lichtenberg, wo der Haustürwahlkampf am intensivsten betrieben wurde, machte sich diese Nähe zur Bevölkerung in Stimmen bezahlt. Koçak bekam in Neukölln genau 30 Prozent der Erststimmen und gewann damit erstmals für Die Linke einen westdeutschen Wahlkreis. Koçak übertraf das Zweitstimmenergebnis seiner Partei im Wahlkreis um fast 5 Prozent. Die Linke holte dort 25,3 Prozent. Noch deutlicher ist dieser Abstand in Lichtenberg, wo Ines Schwerdtner mit 34 Prozent der Erststimmen siegte, Die Linke aber lediglich 23,5 Prozent der Zweitstimmen holte. Zu ihrem Erfolg sagte Schwerdtner: »Ich kann auch nicht verhehlen, dass es mir eine besondere Freude ist, Beatrix von Storch vom Hof zu jagen.« Die vorher hoch eingeschätzte AfD-Kandidatin bekam in Lichtenberg nur 21,9 Prozent.

Das beste Ergebnis für Die Linke holte wie erwartet »Silberlocke« Gregor Gysi, der in Treptow-Köpenick 41,8 Prozent der Wähler*innen von sich überzeugen konnte. Er gewinnt damit zum neunten Mal seit 1990 ein Direktmandat. Im Vergleich zu Gysis Zustimmungswert bekam seine Partei in Treptow-Köpenick mit 21,7 Prozent relativ wenig Zweitstimmen.

Neben der Bekannt- und Beliebtheit von Gregor Gysi und dem erfolgreichen Haustürwahlkampf in Lichtenberg dürften die extrem guten Ergebnisse in diesen beiden Wahlkreisen auch daran liegen, dass dort aussichtsreiche AfD-Kandidat*innen antraten. Während das Erst- und Zweitstimmenergebnis für die Rechtsaußen-Partei weitestgehend gleich ist, konnten die Linke-Kandidat*innen als aussichtsreichste AfD-Gegner*innen Stimmen vor allem von Wähler*innen abziehen, die ihre Zweitstimmen der SPD und den Grünen gegeben haben.

Für die größte Berliner Überraschung der Wahl sorgte Pascal Meiser (Linke) im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost, einer traditionellen Grünen-Hochburg. Meiser siegte mit 34,7 Prozent – im Vergleich zur letzten Wahl bedeutet das einen Zuwachs von 16,6 Prozentpunkten. Am Montag ist ihm die Genugtuung anzumerken. »Das haben nicht alle vorher erwartet«, sagt er. Meiser setzte sich gegen Katrin Schmidberger (Grüne) durch, die mit 30,6 Prozent der Erststimmen 7,2 Prozentpunkte weniger bekam als ihre Parteifreundin Canan Bayram 2021. Auch bei den Zweitstimmen holte Die Linke in diesem Wahlkreis die meisten Stimmen. Mit 31,7 Prozent erzielte sie hier ihr bundesweit bestes Ergebnis.

Grüne gewinnen drei Wahlkreise

Im Wahlkreis Pankow hingegen konnte sich trotz parteiinterner Querelen Julia Schneider (Grüne) mit 25,8 Prozent gegen den Linke-Landesvorsitzenden Maximilian Schirmer (22,9 Prozent) durchsetzen. Sie war erst Anfang Januar als Direktkandidatin aufgestellt worden. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar (Grüne), der den Wahlkreis 2021 gewonnen hatte, war nach öffentlich gemachten Belästigungsvorwürfe gegen ihn auf einer eigens deswegen berufenen Wahlversammlung als Kandidat abgesägt worden. Die Vorwürfe entpuppten sich im Nachgang als teils erfunden.

Neben Pankow gewannen die Grünen auch die Wahlkreise Mitte und Tempelhof-Schöneberg. In Mitte sorgte Kandidatin Stella Merendino (Linke) mit 24 Prozent der Erststimmen fast für eine große Überraschung. Sie musste sich dann aber doch Hanna Steinmüller (Grüne) geschlagen geben, die 25,3 Prozent der Stimmen ergatterte. Merendino zieht trotz ihrer knappen Niederlage in den Bundestag ein – über die Landesliste ihrer Partei.

Denkbar knapp war der Sieg von Moritz Heuberger in Tempelhof-Schöneberg. Er holte 24,7 Prozent und hatte gegenüber seinem CDU-Mitbewerber Jan-Marco Luczak einen Vorsprung von nur 61 Stimmen. Luczak zieht als Spitzenkandidat der Berliner CDU dennoch erneut in den Bundestag ein. 2021 hatte Kevin Kühnert (SPD) den Wahlkreis gewonnen. Er hat allerdings aus gesundheitlichen Gründen seinen Abschied von politischen Ämtern genommen.

Anders als Jan-Marco Luczak wird Mario Czaja (CDU) nicht wieder im Bundestag sitzen. Der Lokalmatador aus Marzahn-Hellersdorf hatte keinen guten Listenplatz ergattern können und hätte seinen Wahlkreis gewinnen müssen. Doch dort siegte mit Gottfried Curio erstmals in Berlin ein AfD-Politiker. Er bekam 29,5 Prozent, Czaja nur 29,2. Katalin Gennburg (Linke) folgte mit 16,8 Prozent. Aber auch Gennburg zieht über die Landesliste in den Bundestag ein.

Die SPD konnte nur einen Wahlkreis gewinnen: Helmut Kleebank setzte sich in Spandau und Charlottenburg-Nord durch. In Reinickendorf (Marvin Schulz), Charlottenburg-Wilmersdorf (Lukas Krieger) und Steglitz-Zehlendorf (Adrian Grasse) bekam jeweils der CDU-Kandidat das Direktmandat.

Umbruch im Abgeordnetenhaus

Mit dem Wechsel von Katalin Gennburg und Ferat Koçak werden im Berliner Abgeordnetenhaus zwei Plätze in der Linksfraktion frei. Wer für sie nachrückt, ist noch nicht klar. Parteisprecherin Diana Buhe teilte »nd« mit, es werde in den nächsten Tagen Gespräche dazu geben. Laut Landesliste von 2021 wären Franziska Leschewitz und Hakan Taş dran.

Taş war im Sommer 2024 aus der Linken ausgetreten. Von einem möglichen Wechsel zum BSW nahm er Abstand und ist parteilos geblieben. Zur rechtlichen Situation könne er nichts sagen, erklärt Taş dem »nd« am Montag. Ihm gefalle Die Linke inzwischen wieder besser. Er habe auch aufgerufen, sie jetzt zu wählen, insbesondere Ferat Koçak und Pascal Meiser, aber auch mit der Zweitstimme. Er könne sich sogar vorstellen, wieder einzutreten. Dann aber nicht, um für kurze Zeit bis 2026 ins Parlament zu gelangen. »Vordringlich ist für mich nicht, wieder Abgeordneter zu sein.« Es gehe ihm um den Einsatz für Frieden und gegen Faschismus.

Die Richtung, in die die neuen Berliner Bundestagsabgeordneten gehen wollen, zeichnet sich schon jetzt ab: die Themen angehen, die die Berliner*innen im Haustürwahlkampf als die dringlichsten nannten. »Wir werden einen Antrag einbringen für einen bundesweiten Mietendeckel«, erklärte Pascal Meiser. Die Haustürgespräche sollen weitergeführt werden. Denn: »Die Menschen fühlen sich veräppelt, wenn man kurz vor dem Wahltag bei ihnen steht und fragt, wie es ihnen geht, und dann nicht mehr«, sagt Ines Schwerdtner.

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