BSW behält Berlinwahl im Blick

Einzelkämpfer Alexander King will ein zweites Büro im Ostteil der Stadt eröffnen – Brandenburg hat dagegen eine ganze Landtagsfraktion

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 7 Min.
Aus dem Schatten des drohenden Desinteresses herauszutreten, wird nicht einfach für das Bündnis Sahra Wagenknecht.
Aus dem Schatten des drohenden Desinteresses herauszutreten, wird nicht einfach für das Bündnis Sahra Wagenknecht.

Im gemütlichen »Café Bilderbuch« an der Akazienstraße im Berliner Ortsteil Schöneberg bestellt Alexander King ein Stück Kuchen. Völlig unbeschwert genießen kann es der BSW-Landesvorsitzende nicht. Er setzt zwischendurch immer wieder die Gabel ab, hebt die Stimme, redet sich in Rage. Die letzten Wochen vor der Bundestagswahl am 23. Februar waren anstrengend, aufregend, aufreibend. Am Ende verpasste das Bündnis Sahra Wagenknecht mit bundesweit 4,97 Prozent der Stimmen den Einzug ins Parlament denkbar knapp.

Noch im November, als Alexander King den Fußballmanager Oliver Ruhnert als Spitzenkandidaten auf der Berliner Landesliste präsentierte, hatte es mit Umfragewerten zwischen 5 und 8 Prozent nach einer mehr oder weniger sicheren Sache ausgesehen. Stattdessen musste seinerzeit Die Linke mit einer schweren Niederlage rechnen. Viele von Kings ehemaligen Genossen hatten insgeheim schon aufgegeben, bevor der ungeahnte Wiederaufstieg mit letztendlich 8,8 Prozent gelang. Wie das möglich war?

»Ich habe noch nie erlebt, und ich bin schon seit 30 Jahren in der Politik, dass eine Partei so hochgejubelt wurde wie Die Linke«, sagt Alexander King. Aber das ist ihm eigentlich nicht so wichtig. Viel mehr ärgert ihn, wie Journalisten mit dem BSW umgegangen seien. Seit Herbst habe es ausschließlich negative Berichte gegeben. King sitzt als Einzelkämpfer des BSW im Berliner Abgeordnetenhaus und sagt, er sei bis gegen Jahresende drei- bis viermal in der Woche in den Zeitungen zitiert worden – und dann plötzlich überhaupt nicht mehr.

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King glaubt nicht, dass die eigene Politik dem BSW das Genick gebrochen haben könnte, die Zustimmung der zehn BSW-Bundestagsabgeordeten zum umstrittenen Zustrombegrenzungsgesetz der CDU. Auch die AfD hatte für das Gesetz gestimmt – und diese Gemeinsamkeit wurde als Einreißen der Brandmauer gegen rechts verstanden. Alexander King weist jedoch darauf hin, in den Umfragen habe sich dies nicht niedergeschlagen. In Berlin habe das BSW von den Briefwählern, die ihre Stimmzettel vorher ausgefüllt und abgegeben hatten, 6 Prozent erhalten, von den Urnenwählern am 23. Februar 7 Prozent. Da sei kein Trend nach unten abzulesen.

Aber der Streit um die Brandmauer habe einen Geist der Intoleranz entfesselt, der einem schon Angst machen könne. »Unsere Plakate wurden entlang ganzer Straßenzüge systematisch abgerissen und zertrampelt oder einfach geklaut.« Auf Großflächen seien die Gesichter der Kandidaten mit Hitler-Bärtchen beschmiert worden. Dass auch Plakate anderer Parteien beschädigt wurden, weiß King. Er gesteht zu, derartiger Vandalismus habe insgesamt zugenommen. So sehr und so gezielt wie das BSW jetzt habe es jedoch niemand anders getroffen, sagt der Politiker.

Wahlkämpfer des BSW sollen an einem Infostand von Wahlkämpfern der Linken bedrängt worden sein. Wie King berichtet, waren die Linken ihrer Partei an den Lastenfahrrädern zuzuordnen, auf denen sie vorbeikamen. King zufolge riefen sie: »Killt die Nazis!« Zu einer tätlichen Auseinandersetzung sei es zwar nicht gekommen. Doch habe die Polizei Hilfe angeboten. Aktenkundig ist der Vorfall allerdings nicht. Das BSW habe auf eine Anzeige verzichtet. Diese Dinge möchte Alexander King wenigstens erwähnt haben.

»Viele Kommentatoren stehen jetzt bereit, uns zu erklären, was wir alles falsch gemacht haben«, sagt der 55-Jährige. »Wir werden zuhören«, verspricht er. »Es werden gute Argumente dabei sein – und ein paar selbstgefällige, oberschlaue. Wir müssen natürlich eigene Fehler aufarbeiten und besser werden. Das sind wir den Mitgliedern, Unterstützern und Wählern schuldig.«

Hätte das BSW bundesweit nur 3 Prozent bekommen, wäre die erst vor einem Jahr gegründete Partei womöglich auseinandergelaufen. Diese Vermutung bestätigt Alexander King ohne Zögern. »Das glaube ich auch«, sagt er. Die Parteigründerin Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter hätten sich fragen müssen, ob sie sich irrten, als sie meinten, es gebe in der Bevölkerung eine große Repräsentationslücke für Anschauungen, die keine der alten Parteien abdecke.

Da das BSW nun aber so ultraknapp unter der Fünf-Prozent-Marke landete, liegen die Dinge anders. Der verpasste Einzug in den Bundestag könnte frustrieren und entmutigen, ist Alexander King bewusst. Dort werde das BSW als »Stimme der Vernunft« fehlen, auch als Stimme gegen die für Deutschland schädlichen Russland-Sanktionen und gegen Waffenlieferungen in die Ukraine. Wenn die AfD sich als einzige Opposition dagegen inszenieren könne, so sei das katastrophal. Aber 2,5 Millionen Deutsche und darunter 130 000 Berliner »haben für einen anderen Weg gestimmt, und ihnen sind wir es schuldig, weiterzumachen«.

Es nicht in den Bundestag geschafft zu haben, sei »natürlich ein Rückschlag«. Aber 6,6 Prozent der Stimmen in der Hauptstadt seien durchaus eine Bestätigung und eine gute Ausgangslage für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr. »Wären wir auch in Berlin unter 5 Prozent gelandet, wäre das problematisch gewesen«, gesteht King bereitwillig ein. »Aber so haben wir immer noch eine gute Ausgangsbasis.«

Der 55-Jährige möchte für das Abgeordnetenhaus kandidieren. Dies fest im Blick, hatte er gleich von vornherein darauf verzichtet, bei der Bundestagswahl anzutreten. Auf Ticket der Linken ins Landesparlament gewählt, hätte ja auch niemand vom BSW für ihn dort nachrücken dürfen, wenn King in den Bundestag gewechselt wäre. Darum war es die klügste mögliche Entscheidung, die einmal eingenommene Stellung zu halten.

»Wären wir auch in Berlin unter fünf Prozent gelandet, wäre es problematisch gewesen.«

Alexander King BSW-Landeschef

Wer sonst noch für das Abgeordnetenhaus kandidieren sollte, will und kann Alexander King nicht verraten. Es sei noch zu früh dafür, sagt er. Es müssten erst Gespräche geführt werden. Es gehört allerdings nicht viel Fantasie dazu, sich den einen oder anderen als Kandidaten vorzustellen. Da Norman Wolf, BSW-Fraktionschef in der Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg, nicht in den Bundestag eingezogen ist, könnte er es gut und gerne bei der Abgeordnetenhauswahl versuchen. Auch an Oliver Ruhnert zu denken, wäre sicher nicht verkehrt – verfügt er doch über kommunalpolitische Erfahrung im Stadtrat seiner nordrhein-westfälischen Heimat Iserlohn.

Der BSW-Landesverband zählt aktuell 122 Mitglieder und rund 2000 registrierte Unterstützer. Nicht alle Unterstützer haben einen Aufnahmeantrag gestellt, aber viele – und sie warten teilweise schon monatelang ungeduldig, endlich richtig dazugehören zu dürfen. Der Wahlkampf habe Zeit und Energie gefressen, entschuldigt King den Rückstau. Wäre die Bundestagswahl nicht vom September auf den Februar vorgezogen worden, würde der Landesverband sicher schon größer sein. »In Zukunft werden wir schneller und mehr Mitglieder aufnehmen«, verspricht King. »Aber es bleibt dabei: Wir müssen sie vorher persönlich kennenlernen.«

Auch in Brandenburg sollen Unterstützer viel schneller aufgenommen werden. 60 Mitglieder zähle der Landesverband aktuell, und es gebe mehr als 2000 Unterstützer, sagt Landesgeschäftsführer Stefan Roth.

Würde sich die Wagenknecht-Partei nach ihrem Scheitern bei der Bundestagswahl auflösen, hätte dies schwerwiegende Folgen für Brandenburg. Denn ein anderer Koalitionspartner steht für Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nicht zur Verfügung. Doch Woidke kommen da keine Zweifel. »Die Koalition steht«, versichert er. Von 88 Landtagsabgeordneten gehören 32 der SPD und 14 dem BSW an. Selbst ein Abgang des BSW-Abgeordneten Sven Hornauf wäre zu verkraften. Sein Ausschluss aus der Fraktion stand im Raum, nachdem er am Mittwoch für einen Antrag der AfD gestimmt hatte. Am Donnerstag warb AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt um eventuelle Abweichler. Es gebe Abgeordnete mit gutem Herzen beim BSW. Die sollten zur AfD wechseln, sagte er. Doch die Deutsche Presse-Agentur zitiert BSW-Landeschef Robert Crumbach am Freitag mit den Worten, Hornauf habe Einsicht gezeigt, dass sein Verhalten der Fraktion schadete, und »es gibt eine Zusage, der Fraktion nicht weiter zu schaden«.

Bei der Bundestagswahl erzielte das BSW in Brandenburg mit 10,7 Prozent ein überdurchschnittliches Ergebnis. Auch in Ostberlin schnitt die Partei besser ab als im Westteil der Stadt. Als erste Reaktion darauf möchte King so schnell wie möglich im Osten ein zweites Büro eröffnen. »Meine Mitarbeiter suchen schon.« Vielleicht werden sie in Treptow fündig, hofft der Chef. Ganz einfach wird das nicht. Die zusätzlichen Räumlichkeiten müssen bezahlbar sein. Denn das Parlament finanziert dem Abgeordneten nur sein angestammtes Wahlkreisbüro in Marienfelde. Miete und Betriebskosten für einen zweiten Stützpunkt muss er aus eigener Tasche bezahlen.

Nach zweieinhalb Stunden Gesprächs steht der in Tübingen geborene King auf und geht vor die Tür des Cafés. Er raucht eine Zigarette. Dann macht er sich auf den Heimweg. Es ist wieder spät geworden.

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