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Keine Stornierungswelle nach Wahlerfolgen der AfD
Die Zahl der Gäste und der Übernachtungen in Brandenburg geht nach oben. Doch die Gaststätten erleben Umsatzeinbußen
Die AfD erzielte bei der Bundestagswahl am 23. Februar in Mecklenburg-Vorpommern 37 Prozent der Stimmen. Danach stornierten viele Gäste den Urlaub, den sie auf der Ostseeinsel Usedom gebucht hatten. So meldete es die »Ostsee-Zeitung«.
Dass so etwas auch Brandenburg treffen könnte, befürchtet Wirtschaftsminister Daniel Keller (SPD) aber nicht. Hier in Brandenburg war die AfD bei der Bundestagswahl auf 32,5 Prozent gekommen und bei der Landtagswahl im September auf 29,1 Prozent. Keller weist am Montag darauf hin, dass zwei Drittel der Wähler in Brandenburg nicht diese Partei angekreuzt haben, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft ist. Eine Stornierungswelle hat es nach der Landtagswahl nicht gegeben und wird es vermutlich auch jetzt nicht geben, zeigt sich Keller ziemlich sicher. »Wir werden insbesondere im Tourismus nicht ohne ausländische Fachkräfte auskommen«, fügt er hinzu. Die Branche benötige Weltoffenheit und Toleranz.
5,4 Millionen Gäste begrüßte Brandenburg im vergangenen Jahr und damit 4,5 Prozent mehr als im Jahr 2023. Die Zahl der Übernachtungen in Hotels, Gasthöfen, Ferienwohnungen und Pensionen sowie auf Campingplätzen stieg um 1,2 Prozent auf 14,4 Millionen. Verglichen mit 2019, dem Jahr vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen, beträgt das Plus 3,1 Prozent. Allein 2,2 Millionen Übernachtungen entfielen 2024 auf den Spreewald, der damit wieder einmal das beliebteste Reiseziel in Brandenburg gewesen ist. Dicht dahinter folgt mit 2,1 Millionen Übernachtungen das Seenland Oder-Spree.
»Die Zahlen sind sehr erfreulich. Sie zeigen, dass Brandenburg als Urlaubsziel weiterhin sehr beliebt ist«, schlussfolgert der für den Tourismus zuständige Wirtschaftsminister. Für Gäste verlockend sind die ausgedehnten Wälder und und die vielen Seen und Flüsse. Der allein im Wassertourismus erzielte Jahresumsatz ist seit 2014 von 200 Millionen Euro auf 300 Millionen gestiegen. Insgesamt 6100 Beschäftigte finden dadurch inzwischen ihr Auskommen. Sie arbeiten beispielsweise an einem der 322 Sportboothäfen mit zusammen 21 000 Liegeplätzen oder in der Fahrgastschifffahrt. Sie vermieten Segelboote, Motorjachten, Kanus oder auch Paddelboote. 7100 Boote stehen für die Vermietung zur Verfügung.
Neben Licht gibt es allerdings auch Schatten. »Während die Umsätze in der Beherbergung wachsen, gibt es Einschnitte in der Gastronomie«, beklagt Daniel Keller. »Hier gilt es, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln, um die Branche wieder anzukurbeln.« Die am Freitag veröffentlichte Konjunkturstatistik vermerkt Einbußen beim Umsatz von 4,9 Prozent. Die Gründe dafür sollen in einer Studie näher untersucht werden, die dann auch Vorschläge machen soll, wie die Probleme gelöst werden könnten. Was die Probleme sind, lässt sich immerhin vermuten: Die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise begrenzen das Budget, das Urlauber für Restaurants noch übrig haben. In den Gaststätten sind die Preise ebenfalls gestiegen. Da müssen sich gerade Familien mit Kindern genau überlegen, ob und wie oft sie es sich noch leisten können, essen zu gehen. Es fehlt dafür schlicht die Kaufkraft.
Dann fehlt auch noch Personal. Etliche Köche und Kellner haben sich, als die Restaurants während der Corona-Lockdowns geschlossen waren, eine andere Arbeit gesucht. Sie sind nach dem Ende der Pandemie selten in ihren alten Beruf zurückgekehrt. Andere Jobs sind oft besser bezahlt und obendrein familienfreundlicher, weil nicht bis spätabends sowie an den Wochenenden und Feiertagen gearbeitet wird. Wegen Personalmangels hatten manche Landgasthöfe in der vergangenen Sommersaison nur noch von Donnerstag bis Sonntag geöffnet oder die Wirte haben gleich ganz aufgegeben.
Diese Situation bringt Minister Keller zu der Einschätzung, dass die Branche auf Arbeitskräfte angewiesen sei, die aus dem Ausland kommen. Bereits im Juni 2023 hatte der damalige Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) erläutert, dass versucht werde, Köche aus Usbekistan anzuwerben. Diese und andere Fachkräfte aus dem Ausland müssen sich allerdings genauso willkommen fühlen wie ausländische Gäste. Sehr schädlich ist die Wahrscheinlichkeit, schief angesehen, vielleicht sogar rassistisch beleidigt zu werden.
»Tourismus steht für Weltoffenheit und Toleranz«, beteuert Christian Woronka. Der Geschäftsführer der Tourismus-Marketing Brandenburg GmbH hat immerhin bisher nicht gehört, dass es wegen der Wahlergebnisse der AfD im Bundesland zu einer Welle von Stornierungen gekommen wäre.
Nach Ansicht des Landtagsabgeordneten Frank Bommert (CDU) dürfen die insgesamt guten Zahlen nicht über die Sorgen hinwegtäuschen, die insbesondere in der Gastronomie groß seien. »Die schlechte wirtschaftliche Lage führt dazu, dass die Menschen den Gürtel enger schnallen und als Erstes beim Restaurantbesuch sparen«, weiß auch Bommert. »Wenn wir den Tourismus in unserer schönen Heimat auf stabile Füße stellen wollen, reicht es nicht, auf innovative Geschäftsmodelle zu verweisen«, meint der Oppositionspolitiker. Brandenburg könnte Bommerts Ansicht nach mit einer »Arbeiten-und-bleiben-Agentur« dafür sorgen, »dass ausreichend qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen«.
- Im Jahr 2024 kamen 483 000 Urlaubsgäste aus dem Ausland nach Brandenburg und sorgten für 1,14 Millionen Übernachtungen. Das entspricht einem Plus von 4,3 Prozent bei den Gästen und einem Plus von 2,7 Prozent bei den Übernachtungen.
- Knapp 245 000 Übernachtungen gingen auf das Konto von Gästen aus Polen. Sie sind die ausländischen Gäste, die früher schon die meisten Übernachtungen buchten. Es waren jetzt noch einmal acht Prozent Übernachtungen mehr als im Jahr 2023.
- Auf Platz zwei der ausländischen Gäste liegen die aus den Niederlanden mit zusammen 116 700 Übernachtungen (plus 1,2 Prozent), auf den Plätzen drei und vier die Briten mit 61 100 Übernachtungen (plus 7,5 Prozent) und die Tschechen mit 59 600 Übernachtungen (plus 3,8 Prozent).
- Auf zusammen 56 300 Übernachtungen kommen die Gäste aus Dänemark (minus 8,2 Prozent) und auf 51 800 die Gäste aus den USA (plus 9,4 Prozent).
- Für 50 300 Übernachtungen sorgten die Österreicher. Diese Zahl bedeutet ein Plus von 14,3 Prozent.
- Ansonsten waren in nennenswerter Zahl noch Schweizer (46 900 Übernachtungen), Spanier (33 300) und Schweden (32 300) als Gäste zu verzeichnen. af
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