Kolumbien: Alles, was das Wasser stoppt

In Kolumbiens Pazifikregion bedrohen Abholzung und Überflutungen ganze Dörfer. Diese setzen auf Mauern, Mangroven und vor allem: Kakao

  • Fabian Grieger, Tumaco
  • Lesedauer: 8 Min.
Die Ausweitung des Kakaoanbaus ist eine Möglichkeit, um den Menschen eine Alternative zum illegalen Holzeinschlag zu verschaffen.
Die Ausweitung des Kakaoanbaus ist eine Möglichkeit, um den Menschen eine Alternative zum illegalen Holzeinschlag zu verschaffen.

Rund um Tumaco gibt es viel, viel Wasser. Wenn der Pegel der Lagune steigt, dann gibt es auch in der Stadt Überflutungen, deshalb haben die Tumaqueños in den Außenbezirken ihre Häuser auf Holzpfählen gebaut, um vor dem Wasser geschützt zu sein. Das war schon immer so.

Aber jetzt sind die Dürren länger und der Niederschlag extremer geworden – und damit die Überschwemmungen bedrohlicher. Deswegen zeigt Jovanni Landazuri, einer der Gemeindesprecher im Dorf Imbili, eine Stunde südlich von Tumaco, auf die Mitte des Flusses Río Mirá und sagt: »Dort vorne war unser Fußballplatz und bis dahin standen Häuser.« Nun ist da nur noch trübgrünes Wasser. Einige der ehemaligen Bewohner haben ihre Häuser am anderen Ende des Dorfes wieder aufgebaut. Andere haben die Region verlassen. Die, die jetzt auf einmal am Flussufer wohnen, machen sich Sorgen, dass es sie als Nächstes treffen wird.

Dass sich der Río Mira immer weiter ausbreitet, hängt mit dem Absterben der Uferböschung wegen den veränderten Klimabedingungen – aktuell eine monatelange Dürre – zusammen: Vegetation geht ein, der Boden erodiert, und eine natürliche Schutzbarriere zum Fluss geht verloren. Der Río Mirá ist für die Menschen in Imbili vom Ernährer zur Gefahr geworden. »Vor 20 Jahren war der Fluss so sauber, dass wir das Wasser getrunken haben«, erzählt Landazuri.

Gegen die drohenden Überflutungen gibt es einen Plan: »Wir versuchen mit Wiederaufforstung den Boden zu stabilisieren«, erklärt Estiven Martinez, der im Auftrag des UN-Welternährungsprogramms für die Wiederaufforstung in Imbili zuständig ist. Er zeigt einige der rund 200 Bäume, die sie in Ufernähe gepflanzt haben. »So schützen wir unser Dorf, die Biodiversität und die Ernährungssicherheit vor den Auswirkungen des Klimawandels.«

»Wenn wir hier nicht die Umwelt schützen, wer sonst?«, sagt Pamela Quiñonez. Die Muschelsammlerin kümmert sich mit Kolleginnen um die Aufforstung der Mangrovenwälder.
»Wenn wir hier nicht die Umwelt schützen, wer sonst?«, sagt Pamela Quiñonez. Die Muschelsammlerin kümmert sich mit Kolleginnen um die Aufforstung der Mangrovenwälder.

Klingt gut. »Aber das Wasser tritt bei Fluten trotzdem über«, sagt Jovanni Landazuri. »Das einzige, was wirklich hilft, ist eine Betonmauer.« Doch da Zement nicht als nachhaltig gilt, gibt es dafür kein UN-Geld. »Wir haben dann bei anderen NGOs rund 6000 Euro zusammengesammelt und damit die ersten 40 Meter Mauer gebaut.« Und tatsächlich: Die Mauer hält das Wasser zurück, doch wo sie aufhört, hat der Fluss den sandigen Boden bereits einige Meter weiter abgetragen. Dort, wo sich unter einem großen Guavenbaum ältere Herren zum Dominospiel treffen. Einer von ihnen ist überrascht vom internationalen Besuch: »Die meisten Schutzvorrichtungen haben wir ohne irgendeine NGO selbst gebaut«, erzählt er. »Einer hat sein Kanu zur Verfügung gestellt, ein Anderer Benzin für die Kettensäge, und dann haben wir auf der anderen Uferseite einen Baum gefällt, um hier diese Barriere zu bauen.« Hinter ihm liegt ein Zaun aus Holzpfählen, der das Wasser und seine Sedimente stoppen soll.

Wegen des Geldmangels gibt es in Imbili nun drei verschiedene Barrieren am Flussufer: die UN-finanzierten Obstbäume, die Betonmauer von anderen Geldgebern und der selbstgebaute Holzzaun. »Wir wollen die Mauer unbedingt mindestens noch 350 Meter weiterbauen, aber dafür fehlt das Geld«, sagt Gemeindesprecher Jovanni Landazuri. Der Kampf gegen die globale Klimakrise endet in Imbili nach 40 Metern.

Etwa 300 Kilometer nördlich rangen bis Anfang November im vorigen Jahr die Vertreter der UN-Mitgliedsstaaten bei der Konferenz COP16 um den Schutz der Biodiversität. Im kolumbianischen Cali forderten die Länder des globalen Südens konkrete Zusagen für Geld aus dem Norden zur Finanzierung des Umweltschutzes. Die EU und weitere Industriestaaten, die nicht nur einen großen Teil der eigenen Biodiversität ihrer Industrialisierung geopfert, sondern auch über ihren Emissionsausstoß die globalen Probleme mitverursacht haben, stellten sich quer.

Eine Einigung gab es erst auf der Folgekonferenz vergangene Woche in Rom. Die UN-Mitgliedsstaaten wollen sukzessive mehr Geld in die Hand nehmen, um die vorhandenen Ökosysteme zu schützen, und die Länder aus dem globalen Süden bekommen mehr Zugang und Mitspracherecht. Ab 2030 will die internationale Gemeinschaft jährlich 200 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellen.

Was auf den Konferenzen abstrakt klingt, wird in den Dörfern rund um Tumaco konkret. Zum Beispiel in Bajito Vaqueria, das nur mit einem Boot über eine Lagune zu erreichen ist. Unter einem Guavenbaum in der Mitte des Dorfes sitzt Omar Revelo und trägt die grüne Weste eines Gemeinderats: »Hier gab es fünf Männer, die Mangroven abgeholzt haben, um sie als Holzkohle zu verkaufen. Mit denen haben wir uns hingesetzt und überlegt, was sie brauchen, damit sie nicht mehr abholzen müssen«, erzählt er. Gegenleistungen für einen Rodungsstopp – das ist das Konzept, mit dem Institutionen mithilfe internationaler Gelder in Kolumbien versuchen, die kleinteilige Abholzung zu stoppen. In Bajito Vaqueria sprang für eine Familie ein Bootsmotor raus, um fischen gehen zu können, und für andere finanzielle Starthilfe für einen Kiosk.

Man kennt sich, es funktioniere gut, erklärt Omar Revelo. Schwieriger sei es mit den Menschen von außerhalb, die nachts mit Booten aus den marginalisierten Vierteln von Tumaco kommen, um Mangroven zu fällen. Das ist zwar illegal, »aber wir können ihnen das Holz nicht wegnehmen, sonst fragen sie: ›Wie soll ich meine Familie ernähren?‹«, erzählt Revelo. Da die Abholzung wohl nicht gestoppt, sondern nur gebremst werden kann, entwickelt sich in Bajito Vaqueria ein Wettlauf: schneller aufforsten, als andere abholzen.

Gegenleistungen für einen Rodungsstopp – das ist das Konzept der Institutionen: In Bajito Vaqueria sprang für eine Familie ein Bootsmotor raus, um fischen gehen zu können, und für andere finanzielle Starthilfe für einen Kiosk.

Das haben 30 Frauen in die Hand genommen, die sich in der Vereinigung der Muschelsammlerinnen organisieren. »Wenn wir hier nicht die Umwelt schützen, wer sonst?«, fragt Pamela Quiñonez. Ohne die Mangroven drohen dem Ort Überschwemmungen – wie in Imbili. Da das Wasser des Brunnens versalzt, gibt es keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Außerdem: »Zwischen den Wurzeln der Mangroven haben die Muscheln ihre Höhle. Wegen der Abholzung und den Klimaveränderungen ist es viel schwieriger geworden, Muscheln zu finden«, erzählt Quiñonez, die schon als Grundschulkind mit ihren Eltern nach der Schule durch schlammige Böden zum Muschelsammeln stapfte und nun selbst zweifache Mutter ist. Gemeinsam mit anderen Frauen kümmern sie sich um die Pflege des Saatgutes für die Mangroven, ziehen die kleinen Bäume vor und pflanzen sie dann dort, wo Motorsägen bereits Breschen in die einst dichte Mangrovenwand gefressen haben. Insgesamt 60 000 Bäume haben sie in den letzten drei Jahren gepflanzt. »Dort wo wir aufgeforstet haben, gibt es auch wieder mehr Muscheln – auch wenn das sehr langsame Prozesse sind.«

Muscheln und Mangroven, das funktioniert gut zusammen. Aber das Modell steht unter Druck – durch Krebse, bewaffnete Gruppen und den Markt. Die Krebse fressen die jungen, gerade gepflanzten Bäume. Die illegalen Gruppen, die rund um Tumaco großen Einfluss haben, nutzen das Mangrovenholz zum Bauen ihrer Drogenlabore im Wald und bedrohen Gemeindevertreter wie Omar Revelo, die die Abholzung stoppen wollen. Und das aktuell effektivste Instrument gegen die Abholzung – die Ausgleichszahlungen – funktioniert nur, solange der Marktpreis des Mangrovenholzes nicht lukrativer ist. Sollte das Muschelsammeln auch nicht mehr auskömmlich sein, verliert selbst Bajito Vaqueria seine wichtigsten Waldschützerinnen – die Muschelsammlerinnen um Pamela Quiñonez.

Waldschutz funktioniert dann, wenn er sich lohnt, resümiert Omar Revelo. Dabei setzt er auf eine recht schwere gelbe fleischige Frucht mit großen bitteren Kernen: Kakao. »Unser Ziel ist, dass möglichst viele Kleinbauern auf Kakao umsteigen.« Warum – das wird bei einem Besuch auf einer kleinen Kakaoplantage klar. Auf dem Boden rascheln die trockenen Blätter unter jedem Schritt, durch die Luft gleitet ein riesiger blau schimmernder Schmetterling. Zwischen den Kakaobäumen, deren Früchte mit der Reife in violett, rot oder gelb übergehen, stehen Zitronen- oder Guavenbäume. »Kakao braucht Schatten, Schutz vor Feuchtigkeit und wird deshalb immer mit anderen Obstbäumen angebaut und niemals in Monokulturen«, erklärt Kakaobäuerin Digna Fuente. Ganz anders als die großindustriellen Ölplantagen nebenan, die die Böden austrocken, auf massiven Pestizideinsatz angewiesen sind und für deren Errichtung Wald abgeholzt wurde.

Der Kakaoanbau ermöglicht eher den Erhalt der Biodiversität als Ölplamen, und er hat weitere Vorteile: Er ist nicht so investitionsintensiv, sodass sich ihn auch Kleinbauern leisten können. »Außerdem kann man den Kakao im Gegensatz zum Palmöl selbst konsumieren, und die Arbeit im Kakaoanbau ist körperlich nicht so verschleißend, weshalb sie auch eine Einkommenschance für Frauen ist«, sagt Bäuerin Fuente.

Damit sich das auch finanziell lohnt, hat Omar Revelos Gemeinderat mit UN-Unterstützung eine kleine Fabrik aufgebaut, um den Kakao zu Schokolade weiterzuverarbeiten, selbst an Exporteure zu verkaufen und damit einen größeren Teil des Gewinns in der Gemeinde zu halten. Bis zu täglich drei Tonnen frische Kakaobahnen können über den Río Mira angeliefert werden, bevor sie in Holzkästen fermentiert, getrocknet und dann zu Schokolade verarbeitet werden, über die Revelo ins Schwärmen kommt: »Unser Kakao hier schmeckt nach Zimt und hat etwas Orangen- und Zitronenaroma.«

Am Geschmack wird’s nicht scheitern. Auch sonst stehen die Chancen für das Projekt »Kakao statt Abholzung« so gut wie nie, denn der internationale Kakaopreis ist im Höhenflug. Weil es in der Elfenbeinküste hohe Ernteausfälle gab, steigen Bauern in Dörfern an der kolumbianischen Pazifikküste, die nur über kleine Motorboote zu erreichen sind, nun vom Koka- oder Palmölanbau auf Kakao um.

Sollte der Weltmarktpreis wieder fallen, wird auch Revelos Schokoladenansatz unter Druck geraten – so wie die Muschelpopulation in den Mangroven von Bajito Vaqueria oder die Mauer gegen das Hochwasser in Imbili.

Die Recherche fand im Rahmen einer Recherchereise der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. statt.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.