Linkspartei: Protest und Perspektive

Wohin geht die neue Linke? Die veränderte strategische Situation erfordert Antworten

  • Heinz Bierbaum, Michael Brie
  • Lesedauer: 8 Min.
Wahlerfolg – Linkspartei: Protest und Perspektive

Bei den Bundestagswahlen hat Die Linke mit fast neun Prozent ein hervorragendes Ergebnis erreicht und ist damit erneut mit einer Fraktion im Bundestag vertreten. Die Linke hat in kürzester Zeit ein fulminantes Comeback hingelegt. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament war sie de facto bedeutungslos geblieben und Wahlumfragen fingen an, sie gar nicht mehr zu berücksichtigen. Aber personelle Erneuerung an der Spitze und damit der Beginn des Aufbaus eines ernsthaften strategischen Zentrums, Glaubwürdigkeit oben wie bei Einsatz an der Basis beim Zuhören und Zugehen auf die, die diese Partei verspricht zu vertreten, sowie klare Hinwendung zu wichtigsten sozialen Themen – das waren die Voraussetzung für den vor wenigen Wochen noch von fast allen nahezu für unmöglich gehaltenen Wiedereinzug in den Bundestag.

Der Wahlerfolg stellt jedoch nicht den Endpunkt, sondern den Ausgangspunkt dafür dar, die Partei neu aufzubauen und ihren strategischen Gebrauchswert neu zu bestimmen. Die phänomenale Zahl der Neueintritte ist Ermutigung und Herausforderung zugleich. Es gilt, sich im Parteiensystem der Bundesrepublik zu positionieren und sich den veränderten ökonomischen wie gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen zu stellen.

Wohin geht die neue Linke?

Die Linkspartei ist nicht mehr die, die sie noch im vergangenen Jahr war. Von den nun über 100.000 Mitgliedern kam die Hälfte im letzten halben Jahr dazu. Wie stellt sich diese neue Linke gegen den politischen Rechtsruck? Wie setzt sie sich mit neuen gesellschaftlichen Konflikten auseinander? Fragen, denen wir in der Serie »Wohin geht die neue Linke?« nachgehen.

Die Linke ist mit einer neuen strategischen Situation konfrontiert, gekennzeichnet durch die Neuordnung des politischen Parteiensystems in der Bundesrepublik und durch geopolitische Umwälzungen. Die Tatsache, dass die CDU/CSU unter Friedrich Merz wie die FDP erstmals Mehrheiten im Bundestag gemeinsam mit der AfD gesucht haben, hat gezeigt, dass der liberale Block zerbricht, der über mehr als zwei Jahrzehnte von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP gebildet worden war. Zwar versuchte Merz zurückzurudern, indem er jede Koalition mit der AfD ausschloss, doch die Absicht, auch mit der extremen Rechten Politik zu machen, bleibt. Inhaltlich wird er dabei von der großen Mehrheit seiner Partei unterstützt.

Auch das BSW war bereit, mit der AfD zu stimmen und versuchte es dadurch zu rechtfertigen, dass es allein auf die Inhalte ankomme. Dies ist nicht nur inhaltlich inakzeptabel, sondern auch politisch mehr als fragwürdig, bietet man doch damit der extremen Rechten eine politische Bühne. Überhaupt hat sich das BSW mit seiner Politik nicht nur im Hinblick auf die Migrationsfrage, sondern auch wirtschaftspolitisch mit der Verkennung der großen ökologischen Herausforderungen ins politische Abseits begeben. Bleibt allein das anerkennenswerte Engagement für den Frieden. Mit dem knapp verfehlten Einzug in den Bundestag hat es die Quittung erhalten und dürfte politisch stark an Bedeutung verlieren, zumal zu erwarten ist, dass sich Wagenknecht zurückzieht.

Sowohl der Aufstieg der AfD als auch der Zerfall der Mitte zeigen, dass in der Bundesrepublik das nachgeholt wird, was in anderen Ländern der EU schon Selbstverständlichkeit ist. Verwiesen sei nur auf Frankreich, wo ein immer stärker werdender Aufstieg der extremen Rechten und gleichzeitig ein Zerfall republikanischer Kräfte festzustellen sind. Auf der anderen Seite ist freilich auch ein in sich jedoch sehr widersprüchlicher Prozess des Erstarkens linker Kräfte zu beobachten.

Die Autoren

Heinz Bierbaum, Jahrgang 1946, ist Vor­sitzen­der der Rosa-Luxem­burg-Stiftung.
Michael Brie, Jahrgang 1954, ist Sozial­philo­soph und Mitglied des Vereins der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die Partei Die Linke muss eine Antwort finden auf das Zerbrechen des liberalen Blocks. Die 16 Jahre Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel waren Blüte und Niedergang des liberalen Machtblocks in der deutschen Politik, apostrophiert als Parteienkartell »der demokratischen Mitte«. Die Ampel-Regierung, die als Fortschrittskoalition antrat, hat diesen Niedergang noch einmal verwaltet. Die Tiefenprozesse der Gesellschaft, ausgesetzt einem erschöpften Neoliberalismus und einer tiefen Strukturkrise im globalen Umbruch der Konkurrenzverhältnisse, zerreißen diese Mitte. Der globale Aufstieg einer neuen, sehr selbstbewussten marktorientierten Rechten mit nationalistischer Orientierung und faschistoiden Elementen ist die Folge. Die Konservativen übernehmen zunehmend das Programm der Neuen Rechten und versuchen damit krampfhaft ihre vermeintliche Vormachtstellung zu behaupten.

Der Versuch eines gemeinsamen Votums von konservativen und extrem rechten Kräften, unterstützt von den Liberalen, hat massiven Protest ausgelöst. Hunderttausende gingen in ganz Deutschland auf die Straße und riefen unter der Losung »Wir sind die Brandmauer« zur Verteidigung der Demokratie auf. Ein solch breites Bündnis, insbesondere unterstützt von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, ist begrüßenswert und ermutigend. Doch es reicht nicht. Es ist zwar durchaus politisch wirksam und hat nicht zuletzt zum Aufstieg der Linken beigetragen, sind ihr doch infolge des Driftens der Politik nach extrem rechts zahlreiche, vor allem junge Menschen beigetreten.

Es bedarf einer über den Protest hinausgehenden politischen Perspektive. Der Erfolg der Rechten hängt doch vor allem mit der Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik zusammen, die unfähig ist, auf die drängenden Probleme der steigenden Lebenshaltungskosten, der sich zuspitzenden Klimakrise, der wirtschaftlichen Rezession, der Sicherheitsängste und den Kriegsgefahren überzeugende Antworten zu geben. Es ist daher notwendig, die Proteste mit einem anderen Politikangebot zu verbinden, das an die Ursachen geht.

Die sozialliberalen und liberal-ökologischen Kräfte sind geschwächt und verfügen über keine überzeugende Agenda. Die SPD ist bei den Bundestagswahlen auf gerade einmal 16,4 Prozent gekommen, ein historischer Tiefpunkt. Und die Grünen landeten bei für sie enttäuschenden 11,6 Prozent. Die Liberalen scheiterten. Sie müssen sich erneuern oder werden untergehen. Die Linke kann mit ihrem hervorragenden Ergebnis in dieser Situation eine politisch wichtige Funktion übernehmen, die drei Momente in sich vereinigt – die besondere Betonung sozialer Anliegen der großen Mehrheit der lohnarbeitenden Bevölkerung, die Entwicklung eines umfassenden sozial-ökologischen Transformationsansatzes, der über den Kapitalismus hinausweist, und die damit verbundene sozialistische Perspektive. Sie wäre damit eine in der Gesellschaft verankerte sozialistische Partei – als vor Ort tätige Kümmererpartei und als Partei einer Transformation, die die Eigentumsfrage konkret angeht – sowohl auf dem Feld des Wohnens, genauso wie bei der Energie und den Produktionsbereichen.

Die zweite Frage, auf die Die Linke, eine Antwort finden muss, ist die veränderte globale Situation, in der sich die EU und die Bundesrepublik befinden Die jüngsten Erklärungen der USA haben deutlich gemacht, dass die USA aufgehört haben, ein verlässlicher Vormund der EU zu sein und sich ab jetzt ganz und im sehr engen Sinne auf ihre eigenen Interessen konzentrieren. Der unipolar ausgerichtete Moment der Weltgeschichte nach dem Ende des alten Kalten Krieges ist vorbei und damit zugleich auch die bedingungslose Bindung an die USA, die seit 1949 (west)deutsche Politik bestimmt hatte, auch wenn dies die herrschenden politischen Kräfte nicht wahrhaben wollen und verstört reagieren.

Die Linke muss eine Antwort finden auf das Zerbrechen des liberalen Blocks.

Die Unterordnung unter die Hegemonie der USA, wie sie sich nach 1990 besonders auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik, aber auch mit Blick auf den Finanzmarktkapitalismus verschärft hatte, ist spätestens mit der Wiederwahl von Trump in den USA Geschichte, wie dessen Außenminister Rubio deutlich machte. Die USA selbst haben nur noch ein Interesse – sich selbst. Dies zeigt auch Trumps Ankündigungen zur Beendigung des Ukraine-Krieges durch einen Deal mit Putin, ohne die Ukraine und die EU zu fragen. Die EU und die Bundesrepublik tragen die Folgen. Das Vasallentum gegenüber den USA hat eine eigenständige europäische Strategie verhindert. Jetzt wird hektisch versucht, zu einer gemeinsamen Politik zu kommen, allerdings mit der gefährlichen Stoßrichtung einer weiteren Militarisierung, anstatt die Initiative für eine gemeinsame Sicherheit durch Abrüstung und internationale Kooperation zu ergreifen.

Auf diese Situation muss Die Linke eine Antwort finden. Es wachsen die Gefahren interimperialistischer Konflikte und Kriege, und es wächst damit auch die Notwendigkeit, sich für gemeinsame Sicherheit in Europa und den Nachbarregionen einzusetzen. Es ist an der Zeit, endlich das Hin und Her in der Position zum Ukraine-Krieg zu beenden und zu einer tiefgreifenden Analyse zu kommen. Wir sind uns einig, dass der Angriff Russlands völkerrechtswidrig und zu verurteilen ist. Doch es ist offensichtlich, dass der Krieg aus falschen Weichenstellungen 2014 und 2022 erwuchs und sich in einen Stellvertreterkrieg transformiert hat und in Zusammenhang mit dem Kampf um globale Hegemonie bewertet werden muss.

Die Linke muss sich der immer weiter fortschreitenden Militarisierung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene entgegenstellen. Anstelle von Kriegsfähigkeit geht es um die Verbindung von einem Konzept umfassender Sicherheit und offensiver Unterstützung der Opfer von Kriegen und Vertreibung sowie Umweltkatastrophen. Die Partei Die Linke darf sich auch nicht um die Fragen militärischer Sicherheit und geregelter Migration drücken, will sie glaubwürdiger Vertreter einer solidarischen und humanen Politik sein. Im Gegenteil: Im Zeitalter eines neuen Militarismus und der Ausgrenzung ist sie gefordert, überzeugende Gegenangebote zu entwickeln.

Im Schnittpunkt eines Umbruchs des parteipolitischen Systems und der Frage, wie auf die anstehende Weichenstellung nach innen und außen eingegriffen werden kann, muss Die Linke sich konstruktiv erneuern. Erstens geht es darum, den programmatischen Grundkonsens der Gründung der Partei ausgehend von hier dargestellten Fragen nicht ab-, sondern weiterzuentwickeln. Dies sollte sie unverzüglich angehen. Zweitens braucht sie auf dieser Grundlage strategische Klarheit aus einem Zentrum heraus, das die Einheit der Partei genauso sichert wie die Fähigkeit, sich den Widersprüchen linker Politik glaubwürdig zu stellen und nicht diesen mit Leerformeln auszuweichen.

Drittens, und vielleicht sogar am wichtigsten wird es sein, die Partei, die in den letzten Monaten ihre Mitgliedschaft fast verdoppelt hat, als lebendige, vor Ort wirksame und sich kümmernde, programmatisch wie strategisch diskutierende, konkrete Antworten entwickelnde Partei neu aufzubauen. Der beeindruckende Aufbruch der Partei, den wir in der Wahlkampagne erlebt haben, ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass in den Gesprächen von Haustür zu Haustür mit den Menschen über ihre Sorgen und Nöte gesprochen und ihnen zugehört wurde. Damit wurde Klassenorientierung praktisch. Das herausragende Wahlergebnis ist ein guter Ausgangspunkt für eine erneuerte und politisch wirksame Linke. Das stärkt zugleich die Linke auf der europäischen Ebene.

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