Amnesty kritisiert Folter mit Elektroschockwaffen

Weltweite Todesfälle nach polizeilichem Taser-Einsatz sollen untersucht werden

Die angeblich »nicht tödlichen« Distanzwaffen werden auch willkürlich und ohne medizinische Rücksicht genutzt, manche Einsätze verlaufen tödlich.
Die angeblich »nicht tödlichen« Distanzwaffen werden auch willkürlich und ohne medizinische Rücksicht genutzt, manche Einsätze verlaufen tödlich.

Taser sind elektrische Distanzwaffen, die mit drahtgebundenen Pfeilen einen Stromstoß in den Körper abgeben. Ursprünglich als Alternative zu Schusswaffen entwickelt, sollen sie Gewaltanwendungen reduzieren und Polizist*innen ermöglichen, Verdächtige zu überwältigen, ohne ihnen nahekommen zu müssen. Daneben gibt es auch Elektroschockgeräte wie Schlagstöcke, Handschellen oder Westen, die direkt am Körper Stromschläge abgeben. Die internationale Sektion von Amnesty International weist in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht darauf hin, dass diese Waffen weltweit für Misshandlungen und Folter missbraucht werden und in einigen Fällen tödliche Verletzungen verursachten.

Für den Bericht hat Amnesty im Zeitraum von 2014 bis 2024 Untersuchungen in mehr als 40 Ländern der Welt vorgenommen. Während Hersteller und Polizeibehörden die Waffen als angeblich »nicht tödliche« Distanzgeräte vermarkten, zeigen zahlreiche dokumentierte Fälle, dass sie oft willkürlich und ohne medizinische Rücksicht genutzt werden und manche Einsätze tödlich verlaufen. Der Bericht dokumentiert, dass sie auch gegen Gefangene, Oppositionelle, Demonstrierende und besonders schutzbedürftige Gruppen wie Kinder gerichtet werden – selbst gegen bereits Wehrlose. Besonders kritisiert die Menschenrechtsorganisation die Nutzung von Tasern gegen Personen in psychischen Krisen – statt Hilfe zu erhalten, werden die Betroffenen attackiert, was ihren Zustand weiter verschlechtert.

Einsatz mit fatalen Folgen

Amnesty kritisiert, dass die Polizei Elektroschockwaffen auch zur Bestrafung und Schmerzzufügung nutzt. Einfach möglich ist dies im »Drive-Stun«-Modus, bei dem der Taser ohne die meterlangen Drähte direkt an den Körper einer Person gehalten wird. Dieser Modus werde oft bei bereits gefesselten oder bewegungsunfähigen Personen angewendet.

Dokumentiert werden etwa Fälle in Polen, wo Migrant*innen gezwungen worden seien, Papiere zu unterschreiben, während sie mit Elektroschocks traktiert wurden. In chinesischen Internierungslagern soll das Personal Taser und Elektroschockgeräte systematisch zur Folter gegen Uiguren einsetzen. In den USA werden die Waffen besonders oft gegen rassistisch diskriminierte und marginalisierte Gruppen gerichtet. In Kolumbien wurde ein Anwalt laut dem Bericht minutenlang mit einem Taser im »Drive-Stun«-Modus misshandelt und starb später an den Folgen.

Ein erster Schritt könnte sein, Todesfälle oder schwere Verletzungen nach einem Taser-Einsatz wenigstens deutschlandweit zu dokumentieren.

Auch medizinische Risiken bei der Anwendung der Geräte sind laut Amnesty nicht ausreichend untersucht: Studien zeigen, dass Elektroschocks insbesondere für ältere Menschen oder Personen mit Vorerkrankungen schwere gesundheitliche Folgen haben können. Sie verursachen Verbrennungen, Taubheitsgefühle, Fehlgeburten, Harnstörungen, Schlaflosigkeit, Erschöpfung oder schwere Traumata, außerdem können sich die Getaserten bei Stürzen schwer verletzen. In Australien wurde etwa eine 95-jährige Frau mit Demenz getasert, die dabei stürzte und ihren Verletzungen erlag.

In den USA wurden laut Amnesty über 1000 Todesfälle nach Taser-Einsätzen dokumentiert, bei denen Elektroschocks als direkte oder indirekte Ursache eine Rolle spielten. In Deutschland wird eine solche Statistik von der Zeitschrift »Bürgerrechte und Polizei/Cilip« geführt. Demnach sind seit 2018 mindestens zehn Personen im Zusammenhang mit Taser-Einsätzen der Polizei gestorben, oft waren dies Menschen in psychischen Krisen. Die Opfer starben meist an Herz- oder Kreislaufstillstand oder Organversagen. Von den Behörden wird die Todesursache aber in keinem der Fälle offiziell den Tasern zugeschrieben.

Amnesty International fordert Regulierung

Weltweit sind laut Amnesty International mehr als 18 000 Polizeibehörden in über 80 Ländern mit Taser-Waffen ausgestattet – die tatsächliche Zahl der eingesetzten Geräte liegt vermutlich bei über einer Million. Um den Missbrauch mit den Geräten zu stoppen, fordert Amnesty ein sofortiges Verbot besonders grausamer Elektroschockwaffen, darunter deren Einbau in Handschellen und Gürtel. Zudem fordert die Organisation die Entfernung der »Drive-Stun«-Funktion aus allen neuen Taser-Modellen.

Auch soll der Export in Länder, in denen Missbrauch dokumentiert wurde, untersagt werden. Amnesty verlangt dazu ein internationales Kontrollsystem für Elektroschockwaffen, ähnlich wie es für Schusswaffen existiert. »Trotz der eindeutigen Menschenrechtsrisiken gibt es keine globalen Vorschriften zur Kontrolle der Herstellung und des Handels«, kritisiert Mathias John, Rüstungsexperte bei Amnesty Deutschland. Zwischen 2018 und 2023 stellten laut Amnesty International weltweit mindestens 197 Unternehmen Elektroschockgeräte für Strafverfolgungsbehörden her oder bewarben diese, die meisten davon in Ländern wie China, Indien und den USA.

»Die Schwelle für den Einsatz von Tasern muss angesichts des hohen Risikos von Primär- und Sekundärverletzungen sehr hoch angesetzt werden. Sie sollten nur dann eingesetzt werden, wenn Lebensgefahr besteht oder schwere Verletzungen drohen, die nicht durch weniger drastische Maßnahmen abgewehrt werden können«, sagt John. Deshalb fordert die Organisation auch eine unabhängige Untersuchung jedes Todesfalls nach einem Taser-Einsatz mit strafrechtlichen Konsequenzen für übermäßige Gewaltanwendung.

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Für Deutschland ist diese Forderung vermutlich nicht durchsetzbar – die Polizeigewerkschaften dürften sie als Generalverdacht gegen Taser und die sie einsetzenden Beamt*innen betrachten. Ein erster Schritt könnte aber sein, Todesfälle oder schwere Verletzungen nach einem Taser-Einsatz wenigstens bundesweit zu dokumentieren und damit untersuchbar zu machen. Eine solche offizielle Statistik hatte die Innenministerkonferenz im Jahr 1984 zu tödlichen Schusswaffen-Einsätzen beschlossen und mit ihrer jährlichen Erstellung die Deutsche Polizeihochschule (DHPol) beauftragt.

Bislang wurde die Forderung, diese DHPol-Statistik auf Taser auszuweiten, aber nicht von Amnesty International oder anderen Menschenrechtsorganisationen in Deutschland erhoben.

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