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Rüstung als Milliardengrab

Mit dem »Plan zur Wiederaufrüstung Europas« sollen ausgerechnet Großprojekte gefördert werden, die bisher am meisten aus dem Ruder gelaufen sind

  • Jürgen Wagner
  • Lesedauer: 6 Min.
Panzermodernisierung geht schneller als Neuproduktion: sogenannte Wannen vom Kampfpanzer Leopard 2A4 zur Aufbereitung in einer Halle von Rheinmetall
Panzermodernisierung geht schneller als Neuproduktion: sogenannte Wannen vom Kampfpanzer Leopard 2A4 zur Aufbereitung in einer Halle von Rheinmetall

Seit Langem verspricht man sich von einem Ausbau der europäischen Kooperationsprogramme wahre Wunderdinge in Sachen effizienter Rüstung. Die aktuelle Stimmung, nun müssten die europäischen Reihen nicht nur gegen Russland und China, sondern auch gegen die USA militärisch geschlossen werden, verleiht derlei Bestrebungen zusätzlichen Rückenwind.

Betrachtet man zunächst einmal die Kostensteigerungen zentraler Rüstungsprojekte liegt es nahe, dass Änderungsbedarf besteht. Angesichts einer schier unglaublichen Pannenserie wurde bereits im Februar 2014 eine Untersuchung der Bundeswehr-Großprojekte in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse wenige Monate später von der damaligen Verteidigungsstaatssekretärin Katrin Suder mit folgenden Worten präsentiert wurden: »Waffensysteme kommen um Jahre zu spät, Milliarden teurer als geplant – und dann funktionieren sie oft nicht richtig oder haben Mängel.«

Kostensteigerungen in Milliardenhöhe

Seither legt die Bundeswehr in regelmäßigen Abständen Zeugnis über den Stand ihrer Großvorhaben ab. Gleich der erste Bericht zu Rüstungsangelegenheiten aus dem Jahr 2015 wies eine durchschnittliche Projektverspätung von 51 Monaten bei Kostensteigerungen von insgesamt 12,9 Milliarden Euro aus. Im letzten Bericht vor der vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz verkündeten »Zeitenwende« vom Dezember 2021 beliefen sich die Verspätungen auf 52 Monate und die Kostensteigerungen summierten sich auf 13,8 Milliarden Euro. Im aktuellen 19. Bericht vom Sommer 2024 wurde ein Preisanstieg von 14 Millarden Euro ausgewiesen, während sich der Rückgang der zeitlichen Verzögerungen auf durchschnittlich 26 Monate daraus erklärt, dass einige der problematischsten Projekte zum Abschluss gebracht worden waren. Gleichzeitig kamen eine Reihe neuer Projekte hinzu, die bislang kaum oder wenig Gelegenheit hatten, drastische Verspätungen oder Kostensteigerungen zu fabrizieren (z.B. der Kampfjet F-35A, der Radpanzer Boxer, das Raketenabwehrsystem Arrow 3).

Der Autor

Jürgen Wagner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI).

Vor diesem Hintergrund ist es völlig nachvollziehbar, wenn das Beschaffungswesen in die Kritik gerät. Weshalb allerdings ausgerechnet die EU-Ebene als Königsweg aus der Beschaffungsmisere gilt, ist einigermaßen schleierhaft. Ein Grund dürfte sein, dass interessierte Kreise seit Jahren hierfür die Werbetrommel rühren, wobei der Ausgangspunkt fast aller Plädoyers zum Ausbau der europäischen Rüstungskooperation zumeist die Feststellung ist, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Militärbereich zu wünschen übrig lasse. Verwiesen wird dabei gerne auf die USA, die aufgrund ihres riesigen einheitlichen Marktes, auf dem wenige Großkonzerne riesige Aufträge bedienen würden, nicht nur aufgrund der höheren Ausgaben deutlich mehr militärische Schlagkraft erzeugen würden. Die USA würden lediglich 30 große Waffensysteme unterhalten, in der auf viele Länder und vergleichsweise kleine Betriebe aufgeteilten Europäischen Union seien es 178. Eine »Bündelung« (Konsolidierung) des Sektors sei deshalb erforderlich: Europaweite Großprojekte, die von europäischen Großkonzernen bedient werden, könnten zu deutlich größeren Stückzahlen vergleichbar mit denen in den USA führen, so die Stückkosten beträchtlich senken und damit Einsparungen von bis zu 30 Prozent generieren, die in weitere Waffensysteme gesteckt werden könnten, so die Argumentation.

Europäische Großprojekte besonders ineffizient

Die Sache hat nur einen Haken: Es sind ausgerechnet die bisherigen europäischen Großprojekte, die zeitlich wie preislich am gründlichsten aus dem Ruder gelaufen sind. Hier einige wenige Beispiele: Verzögerungskönig ist mit inzwischen 204 Monaten der Militärtransporter A400M (plus 1,9 Milliarden Euro), der Eurofighter (AESA) bringt es dagegen »nur« auf 63 Monate setzt sich dafür aber bei den Kostensteigerungen an die Spitze (plus 9 Milliarden Euro). Selbst ein vergleichsweise frisches Projekt wie die von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien gebaute Eurodrohne (MALE RPAS) schaffte es, seit 2021 in relativ kurzer Zeit eine Verspätung von 18 Monaten bei einer Preiserhöhung von 1,4 Millarden Euro anzuhäufen.

Eine Reihe von Gründen sind ausschlaggebend dafür, dass die länderübergreifenden Projekte zum Milliardengrab wurden. Einer davon sind länderspezifische Sonderwünsche, wodurch sich Projekte erheblich aufblähen, wie Michael Brzoska in der Greenpeace-Studie »It’s not the money, stupid!« kritisierte: »In Gemeinschaftsvorhaben sollen eigentlich einheitliche Großwaffensysteme beschafft werden. In der Praxis fordern die beteiligten Staaten jedoch häufig eigene zusätzliche Fähigkeiten ein. Das führt neben den zusätzlichen Kosten in einfachen Gemeinschaftsvorhaben, in denen nur die Herstellung national aufgeteilt wird, zu manchmal deutlichen Erhöhungen der Kosten der Entwicklung sehr unterschiedlicher Varianten eines Waffensystems. In solchen variantenreichen Gemeinschaftsvorhaben entfällt durch mit der Zahl der Partner steigenden Fixkosten ein hoher Anteil der Vorteile der einfachen Gemeinschaftsproduktion.«

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Obwohl derlei Sonderwünsche durchaus auf real unterschiedliche Bedarfe wie auch teils Bedrohungseinschätzungen zurückgehen, ließen sich die daraus resultierenden Probleme womöglich noch überwinden. Dies gilt aber nicht für das wesentliche Hindernis, das sich schlicht und ergreifend aus unterschiedlichen nationalen Interessen ergibt. Europaweite Großprojekte erfordern eine europaweite Ausschreibung und damit verbunden die Aussetzung von Artikel 346 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der es bislang ermöglicht, die heimische Rüstungsindustrie vor europäischer Konkurrenz zu schützen. Während die größeren Länder europaweiten Ausschreibungen wohlwollend gegenüberstehen, weil sie sich davon versprechen, dass »ihr« Konzern aus den daraus resultierenden Fusionen und Übernahmen als Sieger hervorgehen würde, gilt das für Länder mit kleineren Rüstungsindustrien nicht. Sie sind sehr am Erhalt ihrer Rüstungsindustrien interessiert, weshalb sie staatliche Aufträge bevorzugt unter Berufung auf Artikel 346 AEUV ihren heimischen Unternehmen zuschustern.

Auch die Aushandlungsprozesse zwischen den großen Playern verlaufen, freundlich formuliert, alles andere als konfliktfrei. So konnte eine grundsätzliche deutsch-französische Einigung zum gemeinsamen Bau eines künftigen Luftkampfsystems (FCAS) und eines Kampfpanzersystems (MGCS) erst gefunden werden, nachdem Frankreich (Dassault) die FCAS-Führungsrolle erhielt, während beim MGCS Deutschland (KNDS) den Ton angibt. Doch diese bereits vor vielen Jahren getroffenen Vereinbarungen haben nicht dazu geführt, dass diese Projekte reibungslos verlaufen würden. Im Gegenteil, die Reibereien um Anteile und Know-How haben auch hier schon in frühen Projektphasen zu Verzögerungen von rund zehn Jahren geführt.

USA als Vorbild

Fiskalische Gründe lassen sich also kaum ins Feld führen, um plausibel für einen Ausbau der Rüstungskooperation zu plädieren. Deshalb wird inzwischen auch vermehrt auf sicherheitspolitische Gründe verwiesen, nämlich dass nur ein europäischer Rüstungskomplex in der Lage wäre, den Waffenbedarf unabhängig von den USA zu decken. Und genau vor diesem Hintergrund versucht die Kommission nun, zahlreiche Anreize zu setzen, um nationale Widerstände gegen die Auflage europaweiter Großprojekte zu überwinden. Mit dem »Plan zur Wiederaufrüstung Europas« sollen dafür jetzt schwindelerregende Milliardenbeträge mobilisiert werden.

Die überaus berechtigte Frage, inwieweit es zielführend ist, wenn mit der Europäischen Union ein weiterer hochmilitarisierter Akteur seinen Hut in den Ring wirft, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Aber so viel sei gesagt: Wer sich für den Ausbau des europäischen Rüstungssektors ausgerechnet die USA als Vorbild nimmt, ist schlecht beraten. Dort setzten ab 1993 politisch forcierte Konzentrationsprozesse ein, an deren Ende nur noch fünf große Systemanbieter mit enormer Marktmacht und Lobbyfähigkeit übrig blieben, was – wen wundert es – keineswegs zu mehr Effizienz und günstigeren Preisen geführt hat. Erfahrungen mit dem europaweit am weitesten konsolidierten Rüstungskonzern Airbus (früher: EADS) legen nahe, dass es hier zu ähnlichen Resultaten kommen würde.

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