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- Frauenkampftag
Von Berlin nach Eisenhüttenstadt
Die Gruppe Women in Exile mobilisiert zum 8. März nach Brandenburg – dort soll ein Dublin-Zentrum für Abschiebungen entstehen
In Ihrem Aufruf zum Frauenkampftag schreiben Sie, dass die Bundestagswahl die politische Richtung bestimmen werde. In welche Richtung zeigt das Wahlergebnis Ihrer Meinung nach?
Fast alle Parteien, außer Linke und Grüne vielleicht, reden über Deportationen und darüber, dass die Grenze weiter geschlossen werden soll. Viel kann ich zum Ergebnis der Bundestagswahl also nicht sagen.
Was kann Ihre Demonstration am 8. März dagegen ausrichten?
Wir wollten nur mit einem Bus aus Berlin anreisen, aber nun kommen wir mit zwei. Wir sind sehr glücklich, dass so viele aus Berlin anreisen. Politiker*innen stellen Geflüchtete als Kriminelle dar und schieben ihnen die Schuld für die ökonomische Krise zu. Wir zeigen, dass es auch Menschen gibt, die nicht so denken, dass es Menschen in dieser Gesellschaft gibt, die sich für die Rechte von Geflüchteten und Menschenwürde einsetzen.
Warum mobilisieren Sie dieses Jahr nach Eisenhüttenstadt?
Frauen in Eisenhüttenstadt klagen über institutionellen und alltäglichen Rassismus. Diejenigen, die in Wohnungen leben, beklagen sich über feindselige Nachbar*innen und diejenigen, die in Lagern leben, beschweren sich über Sozialarbeiter*innen und Sicherheitskräfte – vor allem wenn sie krank sind. Diese sollen ihnen gesagt haben, sie sollen warten, und ihnen empfohlen haben, nicht zum Arzt zu gehen. Eine Frau erzählte uns, dass der Arzt ihr sagte, sie solle Schmerzmittel nehmen, weil er sie nicht behandeln könne, weil sie Asylbewerberin sei. Die Atmosphäre in Bussen soll auch sehr schlimm sein: Die Frauen sagen uns, dass sie aus Angst nicht mit Bussen fahren wollen. Hinzu kommt die Planung des Dublin-Zentrums in Eisenhüttenstadt, um Geflüchtete besser abzuschieben. Den Geflüchteten im Dublin-Verfahren wurde angedroht, keine soziale Hilfe mehr zu bekommen. Geflüchtete werden durch solche Drohungen gespalten. Die einzelnen Fälle von Gewalt im öffentlichen Raum und die steigende Angst vor Deportation retraumatisiert Geflüchtete in Eisenhüttenstadt.
War die Situation für Geflüchtete in Eisenhüttenstadt schon mal besser?
Ich würde sagen, dass es nie besser war, es gab immer physische und sexuelle Verletzungen für die Frauen. Aber nun nimmt die Zahl der Abschiebungen zu, genauso wie die der Tode auf dem Fluchtweg nach Deutschland. Einige Frauen erzählen uns, dass sie bereits seit einem Jahr in Eisenhüttenstadt leben, obwohl Geflüchtete dort nur temporär bleiben sollen. Es ist deprimierend, weil es mehr zur Normalität wird. Die Menschen warten dort und wissen nicht, was mit ihnen passiert. Sie warten nur und wissen nicht, wofür sie warten. Das ist sehr, sehr schwer.
Was bräuchte es, damit sich die Situation für geflüchtete Frauen in Brandenburg verbessert?
Lager sind eine Politik der Isolation. Als Frauen im Exil fordern wir, sie zu schließen und vor allem Frauen und Kindern die Möglichkeit zu geben, in Wohnungen zu ziehen. Das Geld, das verwendet wird, um die Lager zu bauen und zu betreiben, könnte für Wohnraum genutzt werden. Eine Verbesserung der Lager sehe ich nicht. Sie diskriminieren und sie spalten die Einwohner*innen von Gemeinden und die Menschen, die in Lagern leben. Nur, wenn wir Lager abschaffen, kann sich die Situation für Geflüchtete verbessern.
Sie besuchen in erster Linie isolierte Lager in Berlin und Brandenburg: Gibt es bessere oder schlechtere Lager?
Die Lager sind dieselben, manche bestehen aus Containern, insbesondere in Berlin. In Brandenburg haben wir einige mit Containern, aber auch mit festen Gebäuden. In Brandenburg sind die Lager besonders isoliert, einige sind sehr weit weg. Wir waren in einem Lager in Doberlug-Kirchhain: Das war in der Mitte eines Walds, zwei Kilometer von der Stadt entfernt, wohin Busse fahren.
Wenn der Bus überhaupt kommt...
Genau, dort fährt der Bus nur bis 18 Uhr.
Das Ziel Ihrer Besuche ist es, geflüchtete Frauen zu ermächtigen. Wie sieht das konkret aus?
Wir teilen unser Wissen als Frauen mit Fluchterfahrung. Wir versuchen, rechtliche Informationen zu teilen. Wenn es traumatisierte Menschen gibt, versuchen wir, Hilfe zu organisieren. Wir versuchen zu helfen, Deutsch-Kurse zu organisieren – ohne Kosten und viel Bürokratie. Wir haben Netzwerke mit medizinischen Kontakten. Es geht darum zu informieren, was in den Lagern passiert, was mit den Frauen in der Gesellschaft passiert, damit diese sehen, dass sie nicht allein sind. Es geht darum, rauszukommen aus dem Lager und Menschen zu treffen, die positiv auf die Frauen zugehen – das hilft auch der Integration.
Women in Exile gibt es seit über 20 Jahren: Was hat sich seitdem politisch verändert für geflüchtete Frauen in Deutschland?
Obwohl es für Asylsuchende immer noch schwierig ist, erhalten die meisten von ihnen heutzutage eine Arbeitserlaubnis, sobald sie die deutsche Sprache auf B1 beherrschen. In unserer Gruppe sehen wir viele Frauen, die sich später selbst organisieren und ihre eigenen Gruppen machen. Das sehen wir als eine positive Sache. Wir sehen auch, dass es viele Frauen gibt, die nur kurz bei uns sind und sich gut gesellschaftlich integrieren. Als wir angefangen haben, hatten wir viele Frauen aus anderen Ländern, zum Beispiel aus afghanischen Familien. Später kamen Frauen aus Syrien und aus der Ukraine.
Für viele Feminst*innen ist es wichtig, als lohnabhängige Frauen zusammen zu kämpfen, um das Patriarchat zu überwinden. Wo sind eure roten Linien in der Zusammenarbeit mit Frauen ohne Fluchtgeschichte?
Wir arbeiten sehr eng mit Frauen ohne Migrationsgeschichte zusammen, sie sind auch Teil unserer Gruppe. Eine rote Linie gibt es dennoch. Frauen mit Fluchtgeschichte sind marginalisiert und vulnerabler. Wenn wir nicht selbst unsere Stimme erheben und uns nur auf die Themen konzentrieren, die privilegiertere Frauen betreffen, reicht das nicht. Als geflüchtete Frauen müssen wir uns selbst organisieren. Wir müssen sagen: Auch wir haben Probleme und brauchen Solidarität.
Bethi Ngari ist Gründungsmitglied des Vereins Women in Exile, der 2002 in Brandenburg von Geflüchteten gegründet wurde. Der Verein thematisiert die Verschränkung von rassistischer und sexistischer Diskriminierung.
Feministischer Kampftag
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