Kommune kürzt Kultur kaputt

Potsdamer Initiativen und Verein verlangen mehr Geld unter anderem auch für Sozialarbeit, Breitensport sowie Bus und Bahn

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
»Kultur ist jeder zweite Herzschlag unseres Lebens«, sagte der Schriftsteller Hans Marchwitza, der 1965 in Potsdam starb. Auch das Literaturfestival der Stadt benötigt Förderung.
»Kultur ist jeder zweite Herzschlag unseres Lebens«, sagte der Schriftsteller Hans Marchwitza, der 1965 in Potsdam starb. Auch das Literaturfestival der Stadt benötigt Förderung.

Im vergangenen Jahr spendierte die Stadt Potsdam 250 000 Euro für Kulturprojekte. Eine Jury wählte aus einer Fülle eingereichter Ideen aus. Es lagen Anträge im Volumen von insgesamt 500 000 Euro vor. Jetzt sollen angesichts von Sparmaßnahmen für das laufende Jahr lediglich noch 70 000 Euro zur Verfügung stehen. Die für die Vergabe zuständige Jury weigert sich aber, Mittel auszureichen, ehe die Stadt die Summe nicht erhöht.

Das berichtet Künstlerin Jenny Alten, die in die Jury berufen ist und sich nicht berufen fühlt, den Kahlschlag mitzumachen. Im Kreativhaus Rechenzentrum sitzen an Jenny Altens Seite am Donnerstag noch andere Frauen, die gegen ganz unterschiedliche Sparmaßnahmen Widerstand leisten wollen.

So wendet sich Anja Hänel vom Verkehrsclub VCD gegen weitere Einschränkungen im Nahverkehr. Die Verbindungen sind schon ausgedünnt. In abgelegene Ortsteile der Landeshauptstadt verkehren weniger Busse und in den frühen Morgenstunden verkehren weniger Straßenbahnen. Wenn dann noch der Umbau des Betriebshofs für Elektrobusse und die Verlängerung der Straßenbahnlinie 96 nach Krampnitz hinausgezögert werden solle ...

Anja Hänel erinnert daran, dass bei steigenden Baupreisen die Verlängerung der Linie 96 zu einem späteren Zeitpunkt nur teurer sein werde. »Wir müssen damit rechnen, dass der öffentliche Nahverkehr noch unzuverlässiger wird«, sagt sie. Bereits jetzt zwängen sich Fahrgäste im Berufsverkehr noch irgendwie in die überfüllten Straßenbahnen. Sind infolge von Einsparmaßnahmen künftig noch weniger Busse und Bahnen unterwegs und werden die Mittel für den Radverkehr tatsächlich halbiert, so werden wieder mehr Menschen das private Auto nehmen. Die Folge davon: mehr Staus, mehr Lärm, mehr Abgase und vermutlich auch mehr Unfälle. »Langsam wird es systemgefährdend«, sagt Hänel.

Von Kürzungen akut bedroht ist auch die Jugendsozialarbeit. Für Kathrin Finke-Jetschmannegg von der Stiftung SPI gefährdet die Stadt Potsdam damit ihr Siegel »kinderfreundliche Kommune«. Tausende Schüler wären davon betroffen. Katharina Tietz vom Stadtjugendring ergänzt, de facto sei schon vorher gekürzt worden, als es trotz steigender Preise nicht mehr Geld gegeben habe. Damit nicht genug. Eigentlich sollten die Asylheime der Stadt so umgebaut werden, dass sich nicht weiterhin Dutzende Menschen Bad und Toilette teilen müssen.

Doch statt besser werden die Verhältnisse schlechter, beklagt Imma Chienku vom Flüchtlingsselbsthilfeverein Refugees Emancipation. Geflüchtete, die schon Arbeit haben, aber noch keine Wohnung, sollen für ihren Schlafplatz bezahlen. Das wollen sie durchaus tun. Sie bekommen ja Lohn. Einfach unverschämt klingen jedoch die verlangten Summen: 412 Euro für ein Bett in einem Raum, den man sich mit vier Menschen teilt, berichtet Chienku.

Los ging die Auseinandersetzung mit einer im November präsentierten Kürzungsliste mit 180 Punkten. Nicht jeder Punkt sah eine Reduzierung der Ausgaben vor. Auch höhere Einnahmen sind beabsichtigt. Doch da, wo sie erzielt werden können, trifft es die Bevölkerung oft genauso: wenn etwa Gebühren für die Stadtbibliothek oder der Eintritt für Schwimmhallen erhöht werden. Wenn die kommunale Gesellschaft Pro Potsdam höhere Beträge an die Stadt abführen soll, so läuft das fast zwangsläufig auf Mieterhöhungen hinaus.

Das zumindest befürchten die Erstunterzeichner des Aufrufs »Die Stadt sind wir alle!«. Uwe Rühling vom Treffpunkt Freizeit hat den Aufruf unterschrieben. Treffpunkte wie seiner sollen übrigens auch einen Beitrag leisten, ein für die nächsten vier Jahre aufgerissenes Finanzloch von rund 200 Millionen Euro zu stopfen. Der Haushaltsentwurf für 2025 sieht Ausgaben von 1,12 Milliarden Euro vor und dabei einen von 15 auf 78 Millionen Euro erhöhten Fehlbetrag.

Die Streichliste habe für Unruhe gesorgt und werde weiter für Unruhe sorgen, wusste Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) bereits im Dezember. Für den 22. März ist nun eine Demonstration geplant. Starten soll sie um 14 Uhr am Platz der Einheit. »Wir wollen mit hoffentlich 2000 Menschen auf die Straße gehen«, sagt Uwe Rühling. Alle Beteiligten betonen, dass sie sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Bereits am Mittwoch protestierten rund 150 Beschäftigte von Sozial- und Kultureinrichtungen vor der Industrie- und Handelskammer (IHK), in der die Stadtverordnetenversammlung tagte.

In Anlehnung an den sogenannten Hammelsprung waren zwei Tore aufgebaut. Zum Hammelsprung kommt es im Bundestag bei unübersichtlichen Abstimmungen mit knapper Mehrheit. Um Klarheit zu schaffen, verlassen alle Abgeordneten den Saal und kommen dann – je nachdem, ob sie mit Ja oder Nein abstimmen – durch die eine oder andere Tür wieder herein. Dabei werden sie gezählt, um das korrekte Ergebnis festzustellen. Über den zwei Toren, durch die am Mittwoch die Stadtverordneten eintreten und sich zu den beabsichtigen Kürzungen positionieren sollten, stand »Nein« und »Ich bin mir der Konsequenzen bewusst«. Doch viele fuhren in die Tiefgarage oder benutzten einen anderen Eingang.

Linksfraktionschefin Isabelle Vandré jedoch machte ihre Haltung klar. Sie sagte: »Kürzungen bei Kindern, Jugendlichen und Kultur sind keine Option und müssen dringend abgewendet werden.«

»Langsam wird es systemgefährend.«

Anja Hänel Verkehrsclub VCD

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