Tagebuch aus Israel: Krankenhaus hinter Kairo

Die Journalistin Miriam Sachs ist für »nd« in Israel unterwegs – und schildert hier ihre Eindrücke

Israel und Palästina – Tagebuch aus Israel: Krankenhaus hinter Kairo

13. März 2025: Von der grünen Grenzlinie zwischen der Westbank und Israel geträumt. Im Traum war sie ein verknotetes neongrünes Garn, das in der Nacht geleuchtet hat, was ich praktisch fand. Aber es war natürlich ein Trick. Jemand wickelte den Faden zu einem Knäuel und machte hässliche Taschen daraus. Das Garn schien Giftstoffe zu enthalten oder radioaktiv zu sein. Früh aufgewacht. Vom Ping einer Handy-Nachricht. Doch Hoffnung für Qais, den verletzten Sohn von meinem Freund Deeb? Ich nehme den roten Faden der Reise wieder auf. Nach Ägypten!

***

Die Stadt, wo Qais sich befindet, liegt zwei Stunden von Kairo entfernt. Booking.com bot ein ganzes Apartment für 15 Euro, direkt am Krankenhaus. Die Buchungsbestätigung im Handy nach dem Unique Apartment gesucht. Ohne Erfolg. Ein weiteres im Angebot hätte sich zwischen einem Seitenarm des Nils und einem Kreisverkehr befinden sollen. Taxifahrer dreht fast durch beim Rotieren um die Mittelinsel. Kein Hotel. Nirgends.

Alter Mann in einem Imbiss empfiehlt andere Bleibe. Schreibt Unleserliches auf ein Papier. Zückt dann doch sein Handy, aber nur, um Fotos aus seiner Jugend zu zeigen. Auf einem schüttelt Ex-Präsident Sadat ihm die Hand. Konservierte Jugend im Mobilfunkgerät. Unfassbarer Bodybuilding-Typ (der Imbissmann, nicht Sadat). Vielleicht hätte »sein« Hotel existiert. Immerhin habe ich es schwarz auf weiß. Der Taxifahrer findet ein anderes: Ein schmales Haus mit überraschend weiten Gängen. Das Zimmerchen mit einem riesigen Fernseher. Endlich warmes Wasser. Warmes Licht. Blick in einen Innenhofschacht hinter 60er-Jahre-Streifenvorhang. Allah aus dem Lautsprecher der Moschee. Leider kein W-LAN; das gibt’s nur in der Lobby.

Tagebuch aus Israel

Miriam Sachs ist Autorin und Theatermacherin. Ihre Arbeit brachte sie immer wieder nach Gaza. Als im August 2024 der neunjährige Sohn ihres Kollegen Deeb von einer Drohne angeschossen wurde, versuchte sie vergeblich, das Kind zur Behandlung nach Deutschland zu bringen. Ebenso wenig hatte ihr Versuch Erfolg, einen Koffer mit Hilfsmitteln nach Gaza zu bringen. Nun ist sie für einige Wochen wieder in Israel unterwegs – nicht nur, aber auch, um den rosa Rollkoffer doch noch an sein Ziel zu befördern. Für »nd« führt sie ein Tagebuch.

Habe mich nicht getraut zu sagen, dass ich hier bin wegen Leuten aus Gaza. Dachte, die Ägypter hätten was gegen die Palästinenser. Das Gegenteil ist der Fall: Hotelbesitzer fährt mich zum Krankenhaus, in dem Qais liegt, und wünscht alles Gute. Könnte heulen. Er auch. Ein Apotheker, bei dem ich Medikamente kaufe, bekommt ebenfalls feuchte Augen. Und der Taxifahrer, der im Kreisverkehr fast durchgedreht war, hält inne und sagt, sein Traum sei immer gewesen, nach Gaza zu gehen. Es gäbe eine große Verbundenheit zwischen Ägypten und dem schmalen Küstenstreifen. Er sagt, es gäbe einen großen Unterschied zwischen den Gefühlen der Zivilbevölkerung und der Agenda der Regierung in Kairo.

Auf dem weitläufigen Gelände schillert das Krankenhaus bläulich in der Nachmittagssonne. Nie würde die Security mich ins Innere lassen, hatte eine NGO-Frau gesagt. Die ARD jedenfalls sei wieder weggeschickt worden. Aber vielleicht hatten die keinen persönlichen Grund.

»Ich will zu Rola und Qais«, sage ich, als der Sicherheitsmann mich stoppt. Rola ist Qais’ Großmutter. Er bringt mich erst in ein Wachhäuschen mit noch mehr schimpfender Security. Scharadeartige Erklärung mit Händen und Füßen, wer Qais ist: neun Jahre, soooo klein, von einer Drohne angeschossen, jetzt im Rollstuhl. Ratlose Gesichter. »Come with me«, sagt der Sicherheitsmann und führt mich vom Gelände. Will protestieren, aber er lächelt unter seinem Schnurrbart. Er bringt mich viele Straßen weiter, vorbei am »National Liver Institute«, hin zu einer Häuserzeile, die wie ein Wohnblock wirkt. Dort seien die Patienten aus Gaza.

»Wo?« Das »Life Insurence«-Schild neben dem Krankenhauseingang fällt mehr ins Auge als der Name der Klinik. Davor steht eine Krankenliege, treibgutartiges Holz unter aufgerissenem Schaumstoff-Futter. Dürre Katzen streunen durch die Flure. Der Aufzug kommt nicht. Auf der Treppe sitzt eine Gruppe Frauen, ihre Schleiergewänder scheinen ineinander überzugehen. Weinend, inbrünstig schluchzend. Eine putzt sich die Nase. Weil jemand sie vertreiben will, schwillt der Ton der Frauen an zu Geschrei.

Vom siebten Stock schaut man ins Grüne. Verkeiltes Gerümpel vor der Fensterfront aber macht selbst die schönere Aussicht zu keiner Perspektive.

Herzklopfen, als ich das Zimmer finde, in dem Qais und Rula liegen. Endlich.

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